Kann Kunst Gesellschaften verändern? Ich kenne viele, die – vor allem mit konzeptioneller – Kunst nicht so viel anfangen können: zu abgehoben, praxisfern, verstiegen. Doch wenn man sich die Sache genauer anschaut, entdeckt man schon, dass Künstler seit Jahrzehnten Praktiken subversiver Aktivisten vorweggenommen haben. Das gilt natürlich vor allem für die Künstler, die in Diktaturen die Zensur und Repression austricksen mussten. Als wie bedrohlich solche Systeme Künstler empfinden können, sieht man schließlich auch an der Verhaftung Ai WeiWeis…

Das Buch „Subversive – Kunst unter Bedingungen politischer Repression“ versucht einen Überblick über die Geschichte von den 1960er bis zu den 1980er Jahren zu geben. Zu entdecken sind über 300 experimentelle Arbeiten von rund 80 Künstlern aus der ehemaligen DDR, Ungarn, Rumänien, der UdSSR, Spanien, Chile, Brasilien, Argentinien und Peru.

Eine interessante Einleitung führt zunächst einmal grundsätzlich ein in die Hintergründe und Bedingungen, unter denen die Künstler ihre Arbeiten erschufen: Sie zeigt, wie die Konzeptions- und Aktionskunst zu wichtigen Möglichkeiten dieser Künstler wurden – letztere vor allem aufgrund ihrer Zeitbegrenzung eine Möglichkeit, sich Repressionen zu entziehen. Allerdings auch eine Form, die die Kunst logischerweise vergänglicher macht. Insofern ist es toll, dass das Buch die Arbeiten zusammen getragen und somit für die Nachwelt erhalten hat.

In weiteren acht Kapiteln widmet sich das rund 580 Seiten starke Buch dann den einzelnen Künstlern und Künstlergruppen aus den verschiedenen Ländern. Hier ein paar Kunstwerke, die mir besonders gut gefallen haben:

 

1 Samlientos

>>Angesichts einer Gesellschaft, die auf Form-Funktion basiert, deren Ziel und Zweck es ist, Nutzen aus dem ‚Besitz der Dinge‘ zu ziehen, und die sich der Kommunikationsmedien nicht nur bedient, um sich weiterzuentwickeln, sondern auch, um für sich zu werben, werden die ‚Salmientos‘ Folgendes bewirken: EIN INNEHALTEN<<. schreibt der argentinische Künstler Edgardo Antonio Vigo. Was er damit meint?

Nun, er rief damit dazu auf, sich Alltagsgegenstände ganz bewusst unter ästhetischen Gesichtspunkten anzuschauen und aufzunehmen. So lud er zum Beispiel im Oktober 1968 über eine Zeitungsannonce dazu auf, sich auf einer Kreuzung zu treffen, um die unten gezeigte Ampel-„Installation“ zu bewundern. Dadurch sollte auch ein Entfremdungprozess einsetzen, die die festgelegte Ordnung der Stadt hinterfragt – und damit auch die Machtbeziehungen, die von der urbanen Ökonomie etabliert, Hierarchien errichtet, Wege und Grenzen verwaltet und die Bewegung der Subjekte vorgibt, wie die Autoren schreiben.

 

2 Protestschilderwald

Der Ungar Gyula Pauer fand von der Bildhauerei zur sogenannten >>anti-bildhauerischen Pseudo-Kunst<<, bei der der Schein, das >>Als ob…<< konzeptionell wichtig war. So entwickelte Pauer den Protestschilderwald als eine imaginäre Demonstration: auf 400 Quadratmetern stellte er Schilder mit Parolen auf, wie >>Je Größer etwas ist von desto Entfernterem erscheint es klein<< oder >>Jeder kann es verrichten<< oder >>Das Größengefühl des Sehens<<. Der Wald wurde jedoch schon nach einem Tag von den Behörden abgerissen.

 

3 Solidaritätsaktion

Miklos Erdelys Erläuterung zur Solidaritätsaktion spricht für sich, sodass ich daraus zitieren möchte: >>Wenn alle Menschen gleichzeitig dieselbe Geste vollziehen, manifestiert sich darin eine Form der Solidarität, die über die Opposition von Führer und Geführtem … Wächter und Gefangenem hinausreicht …<<

Gemäß der Logik des Massakers kann die Menscheit, wenn jeder zwei Menschen tötet, in 32 Schritten vernichtet werden … Wenn jeder Soldat zwei Menschen tötet, ist mindestens jeder zweite Opfer … (Die Zahl der unschuldigen Opfer bleibt auch dann unverändert, wenn der, der tötet, immer einen Mörder und einen Unschuldigen vernichtet – was deutlich macht, wie absurd Rache ist). Mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen verzerrt sich dieses Verhältnis in unvorstellbarem Maße.

Verteidigungsmaßnahme: Im Notfall benachrichtigt jeder zweite andere über die Gefahr. Nach dem Prinzip ‚ein Mensch kann nicht zweimal getötet werden‘ werden sie markiert … Wenn jeder nur zwei andere Menschen markiert und dabei auf jegliche institutionelle oder Kommunikationsmittel verzichtet, kann in kürzester Zeit die gesamte Menschheit informiert werden, und die Menschen können sich gemeinsam verteidigen.