Die Netzsperre erhitzt die Gemüter. Gleich mehrfach brisant wird es dadurch, dass sie am Thema Kinderpornografie aufgehängt wurde und daher jede Diskussion zu einem Drahtseilakt wird – zumindest publizistisch.

Denn wer sich gegen eine Liste auf der die zurecht verhassten Pornoseiten gesammelt werden und das rote Stoppschild davor deshalb aufregt, weil allzu schnell auch andere unliebsame Webinhalte geächtet werden könnten, gerät schnell in den Verdacht selbst Pornoseiten zu konsumieren. Eine simple, aber Diskussion tötende Logik. Es scheint ganz gleich, dass es hier nicht wirklich um eine Sperrung der Seiten, sondern um die Registrierung ihrer Besucher geht. Und es scheint ebenso uninteressant, dass die einschlägigen Interessenten und Konsumenten dieser Seiten, die „Sperre“ mit nur geringem Aufwand umgehen und sich der Verfolgung damit entziehen können. Wer sich aber mal zufällig verklickt oder durch eine PopUp-Werbung auf solche Seiten gelangt, wer also ahnungslos ist, landet auf der schwarzen Liste.

Diskussion Fehlanzeige

In der öffentlichen Diskussion, sofern man überhaupt davon sprechen mag, kamen die Kritiker kaum zu Wort. Ihre Argumente wurden nicht diskutiert. Politiker, auf Unstimmigkeiten des Netzsperrenkonzeptes angesprochen, lavierten sich mit dem Killerargument – wie könne man das Leid dieser Kinder wollen – aus der Affaire.

Warum man aber lediglich ein Warnhinweis vor die schändlichen Seiten hänge, aber nicht den Betreibern zuleibe rücke, diese Frage wurde überhört, genauso wie man auf die ausgesprochene Befürchtung, was geschähe, wenn irgendwann eine solche Sperre auch auf unliebsame, kritische Seiten ausgeweitet würde, gab es nicht mehr als vorwurfsvolle Blicke. Doch tatsächlich, das Instrumentarium könnte sehr schnell dazu missbraucht werden – insbesondere vor den Bundestagswahlen – kritische Webinhalte los zu werden. Da spielt es auch keine Rolle, dass jetzt in den Mainstreammedien kommuniziert wird, dass niemand mit Strafverfolgungen zu rechnen habe. Ja, warum aber denn das alles?

Man fragt sich, ob die hierfür verantwortlichen Politiker, welche sich für Netzsperre ausgesprochen haben, überhaupt so weit gedacht und die Stimmen der Kritik in ihre Überlegungen einbezogen haben. Fest steht, dass es hier nicht allein um den Kampf gegen Kinderpornografie handelt. Kaum ein Politiker hat sich für ein Verbot von Sextourismus oder eine internationale Regelung zur schärfsten Verfolgung der Betreiber ebensolcher Seiten ausgesprochen. Kaum einer hat sich darüber geäußert, wie verhindert werden soll, dass dieses Überwachungsinstrumentarium in falsche Hände fällt. Entweder also wurde nicht weit genug gedacht – oder noch weiter als wir uns vorstellen…

Unwissenheit ist Stärke

Der freie Meinungsaustausch und das Recht auf freie Meinungsäußerung, welches das Deutsche Grundgesetz gewährt, ist vielen Politikern und noch mehr Wirtschaftsstrategen ein Dorn im Auge. „Unwissenheit ist Stärke“, dieser Satz drängt sich einem auf – und er kommt einem doch von irgendwo her bekannt vor. Das Volk soll lieber Talkshows gucken und in den Läden unnützes Zeugs kaufen, anstatt sich zu informieren, kritisch zu hinterfragen, zu diskutieren oder gar auf ihre Recht zu bestehen.

Da sich die Politik mal wieder vor der öffentlichen Diskussion gedrückt hat, uns jedoch mit der Forderung und Durchsetzung nach einer Überwachung und womöglich weitreichenden Internetzensur alle zu potenziellen Feinden des Systems erklärt, die es zu überwachen und notfalls mundtot zu machen gilt, haben sich einige an den kommenden 27. September erinnert – den Tag der Bundestagswahl. Mögen sie auch vorher noch etwas Kreide fressen und sich uns im Wahlkampf freundlich, fürsorglich und wohlmeinend von der besten Seite zeigen… An ihren Taten erkennen wir sie. Selbst wenn sie ihr Handeln nicht überschauen sollten und vielleicht aus gutem Gewissen handeln, so setzen sie sich doch über unsere Köpfe hinweg und leisten – möglichen – kommenden, restriktiven (europäischen) Regierungen den Steigbügel und ihrem Volk einen Bärendienst.

Wer ist dafür?

Auf der Website „Hat mein Abgeordneter für Netzsperren gestimmt“ macht sich jemand die Mühe, sich die Stimme eines jeden Abgeordneten näher anzuschauen und ihn dazu noch seinem Wahlkreis zuzuordnen. So kann jeder sehen, wer von ihnen für oder gegen die Sperren ist. Immerhin will JEDER von ihnen gewählt werden.

Die einzige Möglichkeit einer gerechten Lösung – erscheint zumindest mir – wäre eine öffentliche Diskussion, in der auch die Kritiker, Fachleute und Menschen aus anderen Ländern (in denen es solche und ähnliche Sperrlisten bereits gibt) zu Wort kommen. Weiterhin gäbe es die dringende Notwendigkeit, sich die technische Effizienz der Technologie näher anzusehen, zu fragen, wie wirksam sie ist, ob man sie leicht umgehen kann und wen sie tatsächlich trifft. Und nicht zuletzt scheint ein juristisches wie auch gesellschaftliches Instrumentarium, um den Betreibern dieser Pornoseiten das Handwerk zu legen.

Wie sieht es aus mit Kinderprostitution (auch bei uns in Europa!), wie mit dem Menschenhandel, Zwangsprostitution oder pädophilen Tendenzen innerhalb der Gesellschaft, die die Politik hier vorgibt schützen zu wollen. Wie ich gelesen habe, ist es einigen Hackern gelungen einige der Seiten einfach aus dem Netz zu fegen. Ein verschämtes Schild davor zu halten, aber das Geschehen selbst nicht zu bekämpfen, erscheint mir sehr fragwürdig und… doppelmoralisch.

Wie gesagt: Am 27. September sind Wahlen und bis dahin können die Politiker nicht anders als so zu tun, als sei ihnen unsere Meinungen und Sorgen, unsere Wünsche und Warnungen etwas wert. Also sollte man sie ganz persönlich darauf ansprechen und sie zur Rede stellen. Warum tragen sie dazu bei, das Internet zu kontrollieren? Warum geben sie sich und ihren Namen dafür her? Und nicht zuletzt: Warum sollten wir sie dann wählen?

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Bildquelle: Gerd Altmann (geralt), Pixelio.de