Die erneute Veröffentlichung geheimer Depeschen auf WIKILEADS sorgt noch immer für reichlich internationalen Wirbel. Doch die deutsche Medienwelt reduziert ihre Berichterstattung auf einen Sturm im Wasserglas und berichtet zumeist nur über Trivialitäten und den Haftbefehl, den Interpol für Initiator Julian Assange erlassen hat. US-Politiker und konservative Medien rufen sogar offen zum Mord auf. Kein Wunder,  denn was auch noch in den diplomatischen Dossiers steht, wirft kein gutes Licht auf das politische Geschäft der USA. Die Meinungen sind geteilt: Handelt es sich hier um einen besonders krassen Fall von Geheimnisverrat, eine amerikanische Nebelbombe  oder schlichtweg um die neue investigative Journalismus-Form, als Antwort auf  zahnlos gewordene Mainstream-Medien? Ein Gedankenspiel.

WIKILEAKS hat wieder einmal zugeschlagen und Hunderttausende von Unterlagen veröffentlicht, die für reichlich Medienwirbel sorgen. Es geht um 250.000 Depeschen aus dem US-amerikanischen Außenministerium – Protokolle die die Haltung Amerikas gegenüber verbündeten und verfeindeten Ländern, aber auch noch andere politische Machenschaften weltweit beinhalten. Und die Politik kommt gar nicht gut weg dabei. Doch obwohl die Geheimnisse hinreichend Zündstoff freilegen und jeden Journalisten in die Hände spucken lassen sollten, geht es in den selbsternannten Leitmedien fast ausschließlich um den Haftbefehl. Wie man sich auch immer zu den Informationen stellt die nun nach und nach ans Licht kommen, das ist entschieden zu wenig. Denn aus den „großen Blättern“ erfährt man jedoch nur noch zur Sache auf Schülerzeitungsniveau.

Der Lauscher an der Wand

Zunächst einmal gibt es solche und solche Geheimnisse… Die einen gehören zum diplomatischen Alltag und sind ganz sicher wichtig, um auf der politischen Ebene Vertrauen zu erzeugen. Wenn also ein Politiker auf einen anderen trifft, so wird er versuchen, dieses Vertrauen durch den Austausch vertraulicher Gesprächsinhalte aufzubauen. Nicht jedes dieser Worte ist sicher ernst gemeint und nicht jedes hat so viel Bedeutung, dass die Welt davon erfahren müsste. Diese Art von Geheimnissen stellt zunächst keine echte Gefährdung für die Öffentlichkeit, für die Menschen, für die Weltbevölkerung dar. Zunächst… Denn es gibt eben auch die andere Art Geheimnisse, bei der das sehr wohl der Fall ist. Wenn ein Politiker sich mit einem anderen verabredet und zu mauscheln beginnt, wenn er sich zum Beispiel mit ihm gegen die Bevölkerung verschwört, wenn er mit anderen politische Absprachen zum Nachteil der Menschen trifft, wenn Ränke geschmiedet werden, die gefährliche Konsequenzen für ganze Länder haben, dann reicht es nicht, wenn wir nur die offizielle Version glauben sollen. Dann muss die Wahrheit an den Tag.

Was zurzeit in Deutschland geschieht, beschämt jedoch wieder einmal die journalistische Zunft. Denn was interessiert es, ob der Außenminister eitel und die Kanzlerin zögerlich ist? Das ist trivial. Das sind keine Geheimnisse. Viel interessanter ist doch die Frage, wie offen eine Weltpolitik zu sein hat, damit sie die Probleme der Zeit wirklich angehen kann – und ob es irgendeiner Macht auf diesem Planeten möglich sein darf, Probleme zu schaffen, zu instrumentalisieren, zu verschärfen und zum eigenen Vorteil zu nutzen… In den letzten Jahren, in denen die Probleme weltweit nur zugenommen haben und man den Eindruck bekam, dass die Politik keinesfalls ernsthaft daran arbeitet sie zu lösen, haben Millionen Menschen weltweit ihr Vertrauen verloren und – mehr noch – großes Misstrauen gegenüber der politischen Kaste entwickelt. Und auch der größte Teil der Medien, der offensichtlich seine Kritikfähigkeit komplett verloren hat, und sich vor den Karren spannen ließ, verlor erheblich an Glaubwürdigkeit. Hier hätte er an seinem Ruf arbeiten können, hat aber sehenden Auges darauf verzichtet.

Es kann einem übel werden, wenn man sich das ansieht. Denn diese traurig anzuschauende Nachrichtenlage hat rein gar nichts mit echtem Journalismus zu tun. Wichtig wäre ein öffentlicher Diskurs. Doch während man sich im Fall Sarrazin kaum satt schreiben konnte und sich „konservative“ Medien geradezu überschlugen die Thesen zu übernehmen, wird die Berichterstattung hier rein an der Person Julian Assange festgemacht. Dabei gäbe es genug zu berichten, zu fragen, zu diskutieren. So ist es doch durchaus ein Thema, wenn das US-amerikanische Außenministerium anordnet, führende Beamte der UN nachrichtendienstlich zu überwachen und womöglich auch abzuhören – den Staatssekretären, den Vorsitzenden von Fachbehörden und ihre Chefberater, Spitzen-Berater des Generalsekretärs, Leiter von Friedensoperationen und politischen Feldmissionen, einschließlich der Befehlshaber der Truppen… wenn nur ein Hauch da dran sein sollte, so wäre das doch ein ähnlich großer Skandal wie seinerzeit Watergate, oder? Rücktritte inklusive. Und hätten unsere heimischen Medien und Politiker auch etwas gegen eine Aufklärung in diesem großen politischen Skandal der US-Politik gehabt? Wahrscheinlich.

WIKILEAKS wirft mit Schmutz, macht ihn aber nicht – oder doch?

Nun fällt natürlich auf, dass gerade die Politiker von denen wir ohnehin annehmen, dass sie nicht unbedingt auf unserer Seite sind, am meisten aufschreien, wenn wir ihren Geheimnissen zu nahe kommen. Wenn es nach ihnen ginge, blieben diese gut verschlossen und niemand würde von den Absprachen in den Hinterzimmern erfahren. Sie haben nicht so viele Probleme damit, Geheimnisse vor ihren Wählern zu haben, als damit, dass diese womöglich ruchbar werden. Sie fordern die Strafverfolgung der Initiatoren und fluchen somit auf die Überbringer der Geheimnisse. Weniger aufregen wollen sie sich über die Tatsache, dass es diese Geheimnisse und somit die gezielte Täuschung überhaupt gibt. Der Schmutz entsteht also im politischen Haus, in diesem Fall beim amerikanischen Außenministerium, und nicht danach. Hier wird anscheinend die zeitliche Abfolge etwas durcheinander gebracht; bekanntlich bestraft man nun mal lieber den Boten schlechter Nachrichten.

Doch auch WIKILEADS-Befürworter sollten in sich gehen und fragen, wie weit sie den Quellen vertrauen können. Bisher gab es ja meist nur eher belangloses Futter von der Presse – zumindest hier in Deutschland. Was die USA über heimische Politiker denkt, erscheint mir ohnehin verhältnismäßig klar und keine Überraschung zu sein. Mich interessiert nicht das Psychogramm eines deutschen Außenministers, sondern all das was die Sicherheit der internationalen Gemeinschaft gefährdet. Und hier können wir wohl mehr Schmutz erwarten, als wir jemals fressen können.

Genauso möglich ist auch ein gezieltes Täuschungsmanöver. Entweder wäre hier die ursprüngliche Information von WIKILEAKS authentisch und man kann nun gezielt falsche Informationen nachschießen. Hierbei reicht es ja, einen Mitarbeiter aus den eigenen Reihen gezielt zum Maulwurf zu machen und ihn mit den (gewünschten) falschen Informationen auszustatten. Informationen die den Interessen der USA dienen. Oder – was noch grotesker wäre – man hat die Organisation selbst ins Leben gerufen, zumindest aber über geheimdienstliche Kanäle unterstützt, um den Anschein der Objektivität zu wahren. In beiden Fällen wäre das Resultat geeignet, um sich weitere öffentliche Maßnahmen herauszunehmen, da sie die „Nachrichtenlage“ nun mal verlangen.

Jetzt erfahren wir, dass die FDP einen Maulwurf besaß der die Interna nach den USA kabelte. Der Büroleiter des Außenministers hatte bei Sitzungen und Verhandlungen fleißig mitgeschrieben und die Daten dann weiter gleitet. Wenn man mal etwas zurück denkt, dann fällt einem der Guillaume-Fall ein, bei dem 1974 einer der engsten Mitarbeiter des deutschen Bundeskanzlers Willi Brand, Günter Guillaume, Informationen an die DDR weiter gab. Brandt stolperte über die Affäre und trat zurück. Können wir so etwas nun auch vom FDP-Vorsitzenden und Außenminister erwarten? Oder ist das etwas gaaaanz anderes, da ja hier die Daten an den großen Bruder Deutschlands, die USA, lanciert wurde?

Ist die Einschränkung der Pressefreiheit das eigentliche Ziel?

Noch eine weitere Möglichkeit ist nicht absolut unwahrscheinlich: Ein neuer Versuch die Pressefreiheit als solches zu unterhöhlen. Vor kurzem gab es bereits einen Vorstoß eines CDU-Politikers der, angesichts der postulierten Terrorgefahr, die Pressefreiheit einschränken – und sich damit über das Grundgesetz hinwegsetzen wollte. Die aktuelle WIKILEAKS-Affäre könnte nochmals neues Wasser auf die Argumentationsmühlen der Befürworter gießen.

Diesem Ansinnen muss jedoch massiv entgegen getreten werden. Das zeigt bereits die aktuelle Berichterstattung. Denn hier wird einerseits trivialisiert und darüber hinaus eine Hexenjagd betrieben. Es wird jedoch nicht hinterfragt, nicht einmal hypothetisch, wie verdorben das politische Geschäft heute ist. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass hier mit allen Tricks gearbeitet wird, um Organisationen wie die UN zu schwächen und schädigen, auszuhorchen, zu hintergehen und in Misskredit zu bringen. Es wird nicht über die verlogenen Winkelzüge diskutiert, mit denen Supermächte Krisen- und Kriegsherde schaffen – und das aus ganz trivialen machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen. Übrigens unterscheiden sich Amerika und Russland hier keinesfalls. Es ist also keine Sache des politischen Systems, sondern der Machtstrukturen wie sie überall herrschen. Eine abgehobene Clique mauschelt sich durch und greift jeden an, der darauf anspricht. Umso unfassbarer das wir in Deutschland, wo wir doch die „freie Presse“ so gern hervorheben eben nicht massiv auf derartige politische Verhaltensweisen ansprechen.

Investigativer Journalismus sieht anders aus. Doch der höchste (moralische) Auftrag der sogenannten vierten Kraft, den Medien, scheint von den meisten Medienmachern dieser Tage nicht ernst genommen zu werden. Unsere Medien verkommen mehr und mehr zu Meinungsmedien, die sich ohne Murren, dafür mit dem aggressiven Brustton der Überzeugung vor den Karren spannen lassen. Und genau das ist derart durchschaubar, dass die Menschen in Scharen den „Vertrauensvertrag“ aufkündigen – ihnen einfach nicht mehr glauben wollen. Da hilft es auch nicht, wenn „öffentlich, rechtliche“ Fernseh- und Radiostationen jede Menge Dunkelmänner als Experten auffahren, die die offizielle Linie untermauern. Auch denen wird nicht mehr geglaubt. Warum auch?

Der beste Weg um hier voran zu kommen ist, diese Medienvertreter und „Experten“ wieder und wieder auf ihre Scheuklappen aufmerksam zu machen und heraus zu finden, ob sie sich diese absichtlich oder aus Unkenntnis aufgesetzt haben – so wie es in zahlreichen Foren bereits geschieht. Man sollte ihre Namen in Listen führen und sich auch an sie erinnern, wenn die durch ihr Wirken unterstützte Agenda der Politik und Wirtschaft den nächsten Schaden verursacht. Zwar stellen sich diese Journalisten ungern bis gar nicht der Kritik, doch sie wissen insgeheim, dass Arroganz und Ignoranz ihre Glaubwürdigkeit nicht erhöhen. Da helfen auch nicht die aus Steuergeldern finanzierten Medienberater die ihnen sagen, welche Krawatten sie tragen sollen, wann und wie sie lächeln, sich zurück halten oder aggressiv vorpreschen sollen. Sie erscheinen nur noch wie verschlagene Autoverkäufer, die uns eine alte, rostige, kaputte und überteuerte  Scheese andrehen wollen.

Wenn jedoch andere Journalisten, Journalisten die ihren Job ernst nehmen hier weiter graben und am Ende die Wahrheit (zumindest mancher) der Geheimnisse bestätigen können, sollte man sich an sie erinnern; sie die in das Propagandahorn stießen. Ihnen wird in der Zukunft nicht mehr zu glauben sein.

Was wird aus WIKILEAKS?

Mittlerweile ist der Server nicht mehr erreichbar. Amazon, die ursprünglich das Hosting der Website mit ihrem Webdienst übernommen hatten, hat sie raus geschmissen (so wie übrigens einen großen Teil kritischer Literatur aus dem Angebot). Der Bezahldienst Paypal stellt seinen Dienst ein und kappt die Geldzufuhr. Amerikanische Politiker fordern die Todesstrafe und machen aus Julian Assange einen neuen Bin Laden. Zu ihren Missetaten nehmen sie allerdings nicht so aggressiv Stellung. Zudem wird der WIKILEAKS-Macher wegen Vergewaltigung von Interpol international gesucht (gab es da s schon mal?).

Man wird also sehen was aus der Sache wird. Was wir jetzt schon sehen können ist das totale Versagen unserer Medien. denn sollten die Geheimnisse echt sein, so würde das umso deutlicher zeigen, wie zahnlos sie geworden sind. Sollte Wikileaks eine amerikanische Geheimdienstoperation sein, so ist sie dieser komplett auf den Leim gegangen. Auch wenn sich die Informationen als unwahr herausstellen sollten, hätten eben diese Medien gut daran getan hier nicht den Stab zu brechen, bevor es Beweise dafür gibt. So oder so, mit Ruhm haben sie sich nicht bekleckert und das lässt tief blicken, wenn man an die Berichterstattung der letzten Jahre denkt. Wenn die Medien wirklich so frei, unabhängig und überparteilich sind wie sie das gern behaupten, dann haben sie jetzt (noch) die Gelegenheit das zu zeigen. Ansonsten wird bald der Nächste ihren Job machen müssen. Schon heute gibt es Millionen von Stimmen im Netz, Millionen von Menschen die sich ernsthafter und seriöser verhalten als die „Meinungselite“. Sie warten nur darauf das Staffelholz zu übernehmen. Und den großen scheint so nach und nach die Puste auszugehen.