Die Arbeitswelt steht an einem Scheideweg. Grund genug, sie radikal neu zu denken. In ihrem Manifest für ein bedingungsloses Grundeinkommen liefern Daniel Häni und Philip Kovce 95 Thesen, die uns in die Idee einführen. Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor?
Es waren 95 Thesen, mit denen dereinst Martin Luther gegen den kommerziellen Handel mit Ablassbriefen wetterte. Jenen verheißungsvollen Eintrittskarten für den Himmel, die einem fleißigen Sünder doch noch den Weg ins Jenseits ermöglichen sollten. Thesen, die die Kirche erschütterte und nachhaltig reformierte. Das war im Jahr 1517… Es ist also kein Zufall und durchaus beabsichtigt, dass genau 500 Jahre später in dem „Manifest zum Grundeinkommen“ von Daniel Häni und Philip Kovce eben wieder 95 Thesen eine Rolle spielen und eine ebenso radikale Idee untermauern sollen: Das bedingungslose Grundeinkommen.
Was würdest Du tun?
Man hört einiges darüber und findet schnell erbitterte Gegner wie auch leidenschaftliche Befürworter. Und sie können sich vortrefflich darüber streiten, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen der Faulheit und Dekadenz Vorschub böte oder unglaubliche Potenziale und Talente freizusetzen in der Lage wäre. So stellt denn auch das Buch die entscheidende Frage: „Was würdest Du tun, wenn für Dein Einkommen gesorgt wäre?“ Faul und träge in der Ecke sitzen oder sich endlich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentrieren, wie die Gemeinschaft, das Wohlergehen aller oder eben eine Neusortierung der Arbeitswelt, die für immer weniger Menschen genug zu bieten hat?
Das Buch beginnt mit der Menschheitsidee und zeigt auf, dass sich schon einige große Köpfe mit dem Thema auseinandergesetzt haben. So dachte der englische Staatsmann und Humanist Thomas Morus (1478 – 1535) bereits: „Es wäre besser, jeden mit einer Art Lebensunterhalt zu versorgen, damit niemand zu der grausigen Not gezwungen wird, zuerst ein Dieb und dann eine Leiche zu werden.“ Hört hört. Doch auch bei anderen kühnen Geistern drehten sich die Gedanken um diese Idee. Erich Fromm, Martin Luther King oder Joseph Beuys zum Beispiel.
Am 14. Mai 2016 präsentierte die „Generation Grundeinkommen“ auf dem Genfer Plaine de Plainpalais das größte Plakat der Welt als Guinness-Weltrekord: „Was würdest Du arbeiten, wenn für dein Grundeinkommen gesorgt wäre?“ Wahrlich eine große Frage also. Eine Frage, die ganz Europa beschäftigt. Doch die Autoren machen klar, dass sich viele vor der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens fürchten, würde sie doch mit einem Verlust an Macht einhergehen. Denn was wäre, wenn all der Druck von den Menschen abfiele? Im Moment ist ein Job, ist der Verdienst, notwendig, um seine Existenz zu sichern – um davon leben zu können. Das macht abhängig und vor allem enorm viel Druck und schafft Angst. Denn es gibt nun mal nicht genug Arbeit für alle. Arbeit, von der man leben kann. Doch was wäre, wenn diese Existenzsicherung von der Arbeit entkoppelt würde? Ein Einkommen, in „existenzsichernder Höhe, von der Wiege bis zur Bahre, ohne Arbeitspflicht und Bedürftigkeitsprüfung…“? Das würde nicht nur die Arbeitswelt komplett umkrempeln, sondern die gesamte Gesellschaft.
Rückbesinnung auf individuelle Verantwortung
Keine Abschaffung des Sozialstaates wäre damit verbunden, sondern eine Erweiterung desselben. Man bräuchte nicht mehr Geld drucken, so die Autoren, sondern weniger misstrauen. Die Schlüsselfrage sei, was man mit sich anfangen wolle. Was will ich eigentlich tun?“ Eine Frage, die in Zeiten in denen so viele Jobs sinnentleert erscheinen, nur dem Lebensunterhalt dienen und die Menschen nicht eben glücklicher machen, eine große gesellschaftliche Tragweite entfacht. Die über falsche Abhängigkeiten entscheide und freie Verbindlichkeiten eingehen. Eine Rückbesinnung auf die individuelle Verantwortung, aber eben auch auf das persönliche Lebensglück. Denn so wie man sich zu Luthers Zeiten von Sünden freizukaufen vermochte, so frohlockt der Konsum, um in unseren unerfüllten Leben Sinn zu stiften. Doch kann er das wirklich leisten?
Arbeit ist eben nicht nur Erwerbsarbeit. Sie ist Identifikation und Sinnstiftung – zumindest sollte sie das sein.
In unterhaltsamer Weise führt das Manifest also durch die Geschichte und Geschichten rund um eine „postideologische Idee“. Das bedingungslose Grundeinkommen, befinden Häni und Kovce, „…sichert die Existenz und ermöglicht Exzellenz. Es steht jedem zu, weil er ein Mensch ist, und es lässt jeden frei, weil er ein Mensch ist.“ Und so liegt im eigentlich Selbstverständlichen eben genau das Radikale. Denn, so scheint es doch, das Menschliche findet immer weniger Platz in unserer Arbeitswelt. Es zurückzuholen und das System aus Unterwerfung, Existenznot, Konkurrenz und Macht zu entzerren, ist mindestens so radikal wie die Forderungen des katholischen Mönchs vor 500 Jahren.
95 Thesen wie dereinst Luther
Und so folgen die 95 Thesen des Manifestes und die haben es in sich. Von der ersten: „Ich arbeite, also bin ich“ bis zur letzten „Das Experiment – Wer tut, was er will, und andere nicht daran hindert, zu tun, was sie wollen, der führt das bedingungslose Grundeinkommen ein“, spannt sich ein weiter Bogen durch die gesellschaftlichen Mythen und packt sie teilweise heftig am Kragen. Doch direkt danach – und auch bei der Lektüre – stellt sich die Frage, warum bloß haben wir es denn noch nicht, dass bedingungslose Grundeinkommen? Denn es gibt immerhin genug Fürsprache, wie die Volksabstimmung 2016 in der Schweiz oder tatsächliche Experimente in den Niederlanden und Finnland zeigen. Daniel Häni und Philip Kovce gehen dieser Frage nach und zeigen eine Reihe von Alltagserfahrungen von Menschen die ihre Abhängigen und Hürden in der bestehenden Arbeitswelt schildern. Beispiele die man sofort versteht und so erfüllt das Manifest am Ende seinen Anspruch. Es rüttelt auf, macht nachdenklich, stellt Fragen in den Raum und liefert eine Vision von einer Welt, die soviel besser sein könnte, würden wir ein System schaffen, in dem wir eben das tun könnten was wir wollen.
Würde die Gesellschaft zusammenbrechen? Würden sich alle nur noch um die Erfüllung ihrer Sinnesfreuden und Selbstverwirklichung kümmern? Kann sein, doch eben diese Sorge scheint so weit wie nur möglich am Menschen vorbei gedacht. Denn im Grunde ist der Mensch ein soziales Wesen und darum bemüht, sich sozial einzubringen. Erst unsere Arbeitswelt und die Ökonomisierung der Gemeinschaft hat diese natürliche Neigung ins Hintertreffen geraten lassen. Denn wenn aus jeder menschlichen Handlung, aus jeder Regung und jedem Handeln nur Gewinnstreben spricht, dann verliert der Mensch genau das was ihn ausmacht. Das Menschliche.
Warum also, probieren wir es nicht aus und wagen das Experiment, vertrauen in das Menschliche und damit in uns selbst?
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Bibliografische Angaben zum Buch
Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen
Manifest zum Grundeinkommen
Daniel Häni/Philip Kovce
Verlag: ecowin
64 Seiten
ISBN 978-3-8312-0424-3
Preis 8,00
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Ich glaube, dass es grundsätzlich nicht in der Natur des Menschen liegt, untätig zu sein. Ich kenne, ehrlich gesagt auch niemanden, der nicht gern mehr Zeit hätte, um seine Träume zu verwirklichen, sich zu engagieren oder einfach nur mehr mit Menschen zusammen zu sein, die ihm wichtig sind. Im Gegenteil: Das System des permanenten Gelderwerbs und die schleichende Durchkommerzialisierung aller Lebensbereiche nimmt ihnen die Zeit für die eigene Entfaltung, für das soziale Miteinander und letztlich auch das Engagement für größere, wichtigere Themen… Und wenn man es mal von der Kostenseite her betrachtet, so wurde in den letzten Jahren ein Vielfaches von dem an Geld „verbrannt“, was man eben genau diesem Zweck hätte zuführen können.
Es würde auf jeden Fall viel mehr Möglichkeit geben, sich für das Umfeld und andere Menschen sowie Problemlösungen zu engagieren und mit Kraft einzusetzen. Die Menschen hätten auch Zeit, sich gegenseitig mehr auseinanderzusetzen, mit anderen / neuen Leute etwas zu unternehmen. Wenn man nicht darauf angewiesen wäre, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, könnte das Soziale und das Zusammenleben profitieren, eben aufgrund sinkender Verwirtschaftlichung. Es kann gut gehen, solange es Menschen mit verschiedensten Interessen und Bereitschaft zur Arbeit für die Versorgung / Systempflege gäbe. Die Menschen würden sich auf das Nötigste und auf die Genugtuung / Erfüllung von sozialem Wohl zurückbesinnen. Bei allem ist dennoch nicht immer auszuschließen, dass es zumindest Einige gibt, die auf Kosten anderer ohne Teilnahme leben würden.
Ein interessantes Thema über das ich mir auch schon öfters Gedanken gemacht habe. Man hätte wahrscheinlich mehr Zeit für kreative Sachen. Vielleicht würden manche der Sachen auch noch nebenbei Geld einbringen, aber darum würde es dann gar nicht so sehr gehen. Also das wäre dann eher ein Bonus.
Manche Menschen währen wahrscheinlich sogar erfolgreicher, als sie es aktuell sind, wenn sie etwas mehr Zeit eigene Projekte hätten.
VG Mike