Das ist Demokratie

„Abgeordnete sind politikverdrossen“ liest man heute bei DER TAGESSPIEGEL – als hätte man das nicht schon vorher geahnt… In dem Artikel geht es um eine Studie der Universität Jena, die 1000 Länderparlamentarier in ganz Deutschland nach ihrem „Selbstverständnis“ befragt hat. Das Ergebnis: Der Frust wächst, besonders in Brandenburg und Berlin. 55 Prozent der Brandenburger Abgeordneten beklagen den Bedeutungsverlust der Parlamente, in Berlin sind es immerhin noch 49 Prozent. Der Grund: Der Einfluss der Landtage sinkt. „So wünschen sich 79 Prozent sowohl der Brandenburger als auch der Berliner Abgeordneten, dass das Parlament selbst „viel häufiger als bislang Ausgangspunkt und Initiator von Gesetzgebungsaktivitäten“ sein sollte – was eigentlich eine ureigene Aufgabe der Volksvertreter wäre.“, vermerkt DER TAGESSPIEGEL und streift damit ein Problem, das womöglich viel tiefer liegt.

Man stellt sich unweigerlich die Frage, wer in diesem Land die Politik bestimmt

Übrigens nicht nur auf Landes- sondern auch auf Bundes- und Europa-Ebene. Nachdem bereits mehrere Initiativen, Zeitschriften und auch das Fernsehen auf den zunehmenden Einfluss von Wirtschaftslobbyisten auf Tagespolitik und Gesetzgebung hingewiesen hatten (siehe auch Keine Lobbyisten in Ministerien) machte sich der unangenehme Verdacht breit, dass die wirklich großen Entscheidungen weniger von Politikern getroffen als vielmehr nur verkündet werden. Eins ist sicher, diese Entscheidungen gehen nicht vom Volk aus, so wie es ja eigentlich in der Theorie sein sollte. Längst erarbeiten die Vertreter aus Wirtschaft und Industrie in den entsprechenden Gremien als „Berater“ die entsprechenden Gesetzesentwürfe und üben dann entsprechenden politischen und publizistischen Druck aus, um die entsprechenden Mehrheiten zu mobilisieren. Das hat nur noch wenig mit demokratischen Prozessen zu tun.
Erst auf den verstärkten Druck wird diese Abhängigkeit überhaupt diskutiert:

„Über 8.000 Protest-Mails haben Campact– und LobbyControl-Aktive im Juni an die Bundestagsabgeordneten aus ihrem Wahlkreis geschickt. Und unser Protest zeigte Wirkung: das Bundeskabinett hat eine Verwaltungsvorschrift für externe Mitarbeiter beschlossen, die auf Druck des Parlaments an einigen Punkten über die Vorschläge des Bundesrechnungshofes hinausgeht. So sollen externe Mitarbeiter/innen ganz von der Mitarbeit an Gesetzen ausgeschlossen werden und nicht nur von der „federführenden Formulierung.“

(Keine Lobbyisten in den Ministerien) Doch fragt man sich schnell, ob die Einflussnahme allein dadurch unterbunden wird, wenn man die Lobbyisten verbannt.

Wie dem auch sei – die Frage ist aber auch, was denn eigentlich passiert, wenn nicht nur die Mehrzahl der Abgeordneten der Politik überdrüssig geworden sind, sondern auch die Bürger? Denn laut einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung glaubt auch ein Drittel der rund 2.500 befragten Bundesbürger nicht mehr, dass unsere Demokratie (so wie wir sie jetzt hier in Deutschland haben) die Probleme lösen kann. Und fast die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen zu gehen (siehe dazu auch einen Artikel im „Glocalist„).

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Sagen wir also: Politik adé?

Treten wir die dumme Demokratie in die Tonne? Da heute ohnehin alles gemanagt wird (von der Zeit über die Freizeit bis zur Gesundheit) sollen doch die Manager die Geschicke unserer Republik in die Hand nehmen, oder? Wo doch eh die Lobbyisten am langen Hebel sitzen, soll die Wirtschaft doch gleich offiziell entscheiden, wo’s lang geht bei uns? Dann wird’s hier im Ländle wenigstens endlich mal effizient: Keine endlosen Debatten, bei denen eh nur verwaschene Kompromisse raus kommen. Keine parteipolitischen Scheingefechte und keine sinnlosen sowie kostenaufwändigen Wahlen, inklusive Wahlkampagnen, zu denen eh nur die Hälfte aller Wahlberechtigten Bock hat. Was könnte man für Kosten sparen!

Gerechter würde es wahrscheinlich auch, denn wie wir alle wissen: Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut (nun ja, manche glauben das zumindest). Wären die Manager an der Macht – die sind ja wenigstens hoch motiviert und alles andere als verdrossen – dann ginge es runter mit den Steuerabgaben. Die so steigenden Gewinne würden NATÜRLICH uns, den Arbeitnehmern, zugute kommen. Mit Sicherheit. Hand auf’s Herz…

Wer das glaubt, der kann ja demnächst die Wahl boykottieren, den Politikern den Rücken schwächen – und sein ganzes Vertrauen darein setzen, dass in einer Auseinandersetzung zwischen Wirtschaft und Bürgerbewegungen (für Umweltschutz, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit etc. etc.) wir – die Bürger – auch nur ansatzweise eine Chance hätten, unsere Interessen zu vertreten. Dass es vielleicht reichen würde, Produkte zu boykottieren oder Kampagnen gegen einzelne Marken zu unternehmen.

Sicher, die Demokratie, wie wir sie hierzulande erleben, ist nicht eins 1 A. Aber Alternativen gibt es nicht – zumindest nicht in einer politikverdrossenen Gesellschaft. Wir sollten uns statt dessen lieber eine ehrliche gesellschaftliche Debatte über die Ursachen dieser Verdrossenheit führen, uns Lösungen dafür überlegen – und natürlich dafür streiten. Einen Weg in eine gerechtere, friedlichere und bessere Welt kann es nur geben, wenn wir der Politik ihre Bedeutung zurückgeben – und sie ihr nicht durch Ignoranz, Verdruss oder Frust wieder entziehen. Dafür müssen natürlich in erster Linie die Politiker selbst sorgen. Indem sie sich die schon seit langer, langer Zeit geforderte Ehrlichkeit zulegen. Dafür müssen aber auch wir „ganz normalen“ Menschen sorgen, in dem wir Demokratie auch wirklich einforden – jeden Tag, immer wieder. Auch wenn es nervt und frustriert.

Zur allgemeinen Aufmunterung und Motivation noch eine (nicht ganz Ernst gemeinte) Analyse des demokratischen „Selbstverständnisses“ (siehe oben). Denn nerven oder frusten mag Demokratie den einen oder anderen vielleicht mitunter – aber langweilig wird sie nie:
P.S. Übrigens würden die befragten Politiker trotz Überdruss ihren Job nicht an den Nagel hängen, noch ihre Macht an Manager übergeben. Die o.g. Untersuchung stellt klar:

„Trotzdem würden Brandenburgs Abgeordnete ihren Job nicht tauschen. 64 Prozent haben einen „höheren Verdienst“ als im Vorberuf, 49 Prozent sehen ein „höheres Ansehen“, wobei für 56 Prozent auch die Arbeitsbelastung höher ist.“ (DER TAGESSPIEGEL)

Na dann..

(Von Marek und Ilona)