Seit über 20 Jahren schwelt in Deutschland der Widerstand gegen die Braunkohle: Sie ist nicht nur Klimakiller Nummer eins in Deutschland, sondern auch Ursache für die Zerstörung alter Wälder, fruchtbarer Böden und mehrerer Hundert Dörfer.

Mit den Rote-Linien-Aktionen wollen die Bürger dem Politik-Konzern-Klüngeln ihre Grenzen zeigen. Ob das klappt sagt Dirk Jansen. Er ist Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westfalen und Ansprechpartner für das Aktionsbündnis „Zukunft statt Braunkohle“ (http://zukunft-statt-braunkohle.de).

Warum brauchen wir den Ausstieg aus der Kohle?

Weil es keinen größeren Eingriff in Natur, Landschaft, Gewässerhaushalt und die sozialen Strukturen gibt, als den Braunkohlentagebau – und weil Braunkohlenkraftwerke Klimakiller Nummer eins sind.
Zunächst mal zum Klima: Was ist das Problem mit Braunkohlenkraftwerken?

Das Problem ist, dass Braunkohle energetisch ein sehr ungünstiger Brennstoff ist – selbst im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern wie Steinkohle oder Gas. Pro Kilowattstunde Strom setzen selbst moderne Braunkohlenkraftwerke etwa 950 g CO2 frei. Bei alten Braunkohlenkraftwerken sind es sogar bis zu 1.100 g CO2 pro Kilowattstunde. Im Vergleich dazu: Bei einem Gaskraftwerk sind es rund 360 g CO2 pro Kilowattstunde Strom.

Dazu kommt, dass die meisten Braunkohlenkraftwerke auf der grünen Wiese stehen. Das bedeutet, dass die Prozesswärme, die dabei entsteht, nicht von umliegenden Industrien oder Privathaushalten genutzt werden kann und zum großen Teil verpufft.

Das bedeutet: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen – nämlich eine Einsparung bis 2020 von 40% CO2 und bis 2050 zwischen 80 und 95% – dann müssen wir den Ausstieg aus der Braunkohle schnellstmöglich vollziehen. Hier lässt sich sehr viel CO2 einsparen. Die Braunkohlenkraftwerke in Deutschland sind für mehr als die Hälfte der energiebedingten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Es dürfte schwierig werden, ein solches Einsparpotential in einem anderen Bereich zu finden.

Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westphalen und Sprecher des Aktionsbündnisses "Zukunft statt Kohle"Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND Nordrhein-Westphalen und Sprecher des Aktionsbündnisses „Zukunft statt Kohle“

Dazu kommt, dass der Braunkohlentagebau ökologische Folgen hat …

Das stimmt. Denn an die Braunkohle kommt man nur im Tagebau heran. Doch auf der Braunkohle stehen Siedlungen, Wälder und die fruchtbarsten Böden Deutschlands. Durch den Tagebau ist die Braunkohle Ursache für eine umfangreiche ökologische und kulturelle Zerstörung. Mittlerweile sind allein im Rheinland schon rund 42.000 Menschen aus 142 Ortschaften umgesiedelt worden.

Doch es beginnt schon vorher, indem die gesamte Region trocken gelegt wird.Über mehrere Hundert Bohrungen und Brunnen wird das Grundwasser aus der Gegend abgepumpt – bis 550 Meter in die Tiefe. Da geht Grundwasser verloren. Das hat Auswirkungen auf die Wasserwerke, aber auch auf die vom Grundwasser abhängigen Feuchtgebiete, die Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten sind.

Dem folgt die Zerstörung von Ackerflächen oder auch ganzen Wäldern, wie zum Beispiel dem Hambacher Wald. Von den ursprünglich 4.100 Hektar Eichen-Hainbuchenwald sind heute gerade mal noch 800 Hektar übrig. Hier geht Lebensraum für viele seltene Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich verloren. Trotzdem ist der Wald in Größe und Qualität nuch immer von unersetzlichem Wert.

Wie sieht es mit den langfristigen Folgen aus?

Es ist heute noch unklar, welche langfristigen Folgen der Tagebau hat. Geplant ist zum Beispiel, dass die Restlöcher des Tagebaus wieder mit Wasser gefüllt werden. Bis etwa 2085 sollen dadurch sogenannte Restseen entstehen. Doch ob das so funktioniert, wie sich das der Energiekonzern vorstellt weiß niemand – diese Seen werden zum Teil bis zu 400 Meter tief sein und größer als der Chiemsee oder Starnberger See.

Eine andere Langzeitfolge ist die sogenannte Kippenversauerung sein: Die im Abraum enthaltenen Eisen- und Schwefelverbindungen oxidieren an der Luft und bilden Schwefelsäure. Wenn dann der Grundwasserspiegel wieder steigt, droht eine ganze Region zu versauern. Bis heute ist unklar, wer für solche Folgeschäden aufkommen soll, zumal die Betreiber von Tagebau und Kraftwerken in keinen Ewigkeitslasten-Fonds einzahlen müssen.

Rote Linie gegen Braunkohle: 3000 Aktivisten ziehen ihre GrenzeZukunft statt Kohle – das forderten in diesem Sommer rund 3.000 Menschen rund um den Tagebau am Hambacher Wald und zogen ihre Grenzen.

Warum ist der Ausstieg aus der Kohle so schwierig?

Weil wir ein über Jahrzehnte ausgebautes und gewachsenes Geflecht zwischen Politik und Wirtschaft haben. Die scheinbar rationalen Argumente, die für das Fortführen der Braunkohlenkraftwerke sprechen, lassen sich entkräften:

  1. Deutschland hat gigantische Netto-Stromexporte. Das heißt, selbst wenn wir den Tagebau über die nächsten Jahre dicht machen würden, würden die Lichter in Deutschland nicht ausgehen.
  2. Auch das Arbeitsplatzargument zieht nicht: In den 1960er Jahren waren noch mehr als 22.000 Menschen im Tagebau beschäftigt. Heute sind es nur noch 8.500 Menschen in allen Tagebauen und Kraftwerken zusammen. Zum Vergleich: In den NRW-Steinkohleregionen waren nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als 600.000 Menschen beschäftigt – eine weitaus größere Herausforderung des Strukturwandels. Da kann mir niemand, dass wir das im Braunkohlenrevier nicht hinkriegen – zumal die Gegend von Universitäten und Know-How umgeben ist.
  3. Und schließlich lässt sich mit Braunkohlekraftwerken kein Geld mehr machen. Das liegt an den – auch dank des Ausbaus der erneuerbaren Energien – sehr niedrigen Börsen-Strompreisen und gilt selbst für die uralten, längst abgeschriebenen Kraftwerksblöcke. Zwar setzen Energieversorger wie RWE darauf, dass diese Kraftwerke durch das Ende der Atomkraft wieder lukrativ werden, doch das bezweifle ich stark.

Hier geht es vielmehr um einen Systemstreit: Welche Energieversorgung wollen wir? Eine zentrale, die auf Großstrukturen und Konzerne wie RWE oder Eon setzt? Oder wollen wir die Energiewende von unten und eine dezentrale Energieversorgung in Bürgerhand? Politik und Wirtschaft setzen hier gerade alles daran, die alten, zentralen Strukturen in die Zeit der Erneuerbaren Energien hinüberzuretten.

42.000 Menschen wurden umgesiedelt, Landschaften zerstört, über 200 Dörfer platt gemacht – warum gibt es da nicht massenhaft Protest?

Das ist eine gute Frage und wir sind auch manchmal überrascht. Doch wenn man genauer hinschaut, kann man das nachvollziehen: Die Menschen vor Ort haben ein Gefühl von Ohnmacht. Auf der einen Seite schafft ihre Landesregierung keine Rahmenbedingungen für eine zukunftsgewandte Entwicklung raus aus der Kohle. Auf der anderen Seite stehen sie einem mächtigen Konzern gegenüber, gegen den zu wehren sehr viel Zeit und Geld erfordert.

Und dann gibt es da noch dieses vollkommen antiquierte Bundesberggesetz, das sogar Grundrechte bricht. Die Menschen haben damit kaum eine Chance, sich rechtlich zu wehren – und selbst wenn, braucht man dazu einen so langen Atem, dass es einfach unrealistisch ist für viele. Doch so langsam nimmt der Protest wieder Fahrt auf.

Die Menschen in der Roten Linie bilden eine Art Schutzwall vor dem Hambacher Wald, der wegen der Erweiterung des Tagebaus plattgemacht werden sollDie Menschen in der Roten Linie bilden eine Art Schutzwall vor dem Hambacher Wald, der wegen der Erweiterung des Tagebaus plattgemacht werden soll.

Wie sieht die Geschichte des Widerstands gegen die Braunkohle aus?

Wir als BUND sind schon seit fast 40 Jahren an dem Thema dran. Damals gab es die ersten großen Widerstände und auch die ersten wissenschaftlichen Studien über die Folgen der Braunkohle. Schon seit den 1980er Jahren haben wir uns dann mit möglichst vielen Akteuren der Zivilgesellschaft vernetzt – auch kirchlichen Gruppen und anderen Naturschutzverbänden.

Vor gut zehn Jahren haben wir dann die Aktionsplattform „Zukunft statt Kohle“ gegründet, um den Widerstand sichtbarer zu machen. Nach dem Klimagipfel in Paris haben wir die Idee der roten Linie von dort in die Tagebau-Regionen transferiert. Seit dem machen wir zu unterschiedlichsten Anlässen große und kleine Rote-Linien-Aktionen. Das ist quasi zu einem Markenzeichen des Braunkohlewiderstands geworden.

Was ist ihr Ziel?

Unser Ziel ist – hier kann ich allerdings nur im Namen des BUND sprechen – der schnellstmögliche Ausstieg aus der Braunkohle.

Und was bedeutet „schnellstmöglicher Ausstieg“?

Das haben wir vom Öko-Institut nachrechnen lassen. Und zwar haben wir überlegt, wie viel Braunkohle wir noch fördern und zur Stromgewinnung nutzen dürfen, wenn wir die oben genannten Klimaschutzziele erreichen wollen. Die Berechnungen des Öko-Instituts ergaben, dass wir ¾ der in den genehmigten Tagebauen vorhandenen Braunkohle im Boden lassen müssten.

Mit anderen Worten: Wir können nur noch ¼ rausholen. Wer das in Flächen umrechnet, kommt so ziemlich genau auf die roten Linien, die wir am Tagebau beim Hambacher Wald und beim Tagebau Garzweiler gezogen haben. Diese roten Linien sind also nicht willkürlich, sondern faktisch begründet.

Wenn man dies wiederum in Zeit umrechnet, so kommt man zum Beispiel für den Tagebau in Hambach zu einem zeitlichen Limit von 5 Jahren. Das bedeutet, wir müssen dringend und schnell einen Ausstieg überlegen. Doch die aktuelle Regierung hat das Thema erst mal nach die Bundestagswahl verschoben. Und wenn wir wieder eine große Koalition oder eine schwarz-gelbe Regierung kriegen, wird dieser Ausstieg aus der Braunkohle krachend scheitern.

Wie können sich Menschen am Widerstand gegen die Braunkohle beteiligen?

Natürlich kann jede*r im eigenen Leben etwas verändern. Ein wichtiger erster Schritt wäre der Wechsel zu einem zertifizierten Öko-Energieversorger. Und natürlich helfen Spenden an Organisationen weiter, die sich dem Kampf gegen die Braunkohle widmen. Der BUND beispielsweise finanziert sich nicht über öffentliche Zuschüsse und ist daher auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen.

Und natürlich auch ganz wichtig: Bei den Aktionen mitmachen! Die Rote-Linien-Aktionen sind etwas für die ganze Familie. Kinder und Großeltern können hier mitmachen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass sie von der Polizei mit Pfefferspray erwartet werden.

Bei der letzten Aktion im Juni am Hambacher Wald sind so über 3.000 Menschen zusammengekommen. Sie haben sich gemeinsam als rotes Bollwerk zwischen die Bagger und den Hambacher Wald gestellt. So etwas zeigt Wirkung – und es rückt das Thema ins Bewusstsein von immer mehr Menschen.

Die nächste Rote-Linie-Aktion ist im November in Bonn anlässlich des Klimagipfels geplant. (www.klima-kohle-demo.de)

Das hört sich gut an – aber welche Wirkung haben solche Aktionen tatsächlich?

Die Rote-Linien-Aktionen bringen schon mal Öffentlichkeit. Das ist ein wichtiges Element und dieses Signal ist auch angekommen. Dennoch reicht das alleine nicht, um wirklich etwas zu bewegen. Deshalb agiert zum Beispiel der BUND auf mehreren Ebenen.

Zunächst ist da noch unsere politische Arbeit. Wir sind in der Landespolitik sehr präsent und müssen bei allen Genehmigungsverfahren als anerkannter Naturschutzverein dabei sein. Auch hier mischen wir uns ordentlich ein.

Und schließlich agieren wir juristisch. Wer heute auf unsere Website schaut sieht, dass RWE einem Rodungsstopp zugestimmt hat, bis unsere Klage gegen RWE entschieden ist. Das zeigt, dass juristischer Widerstand wichtig und auch sehr effektiv ist. Das zeigt auch unsere Klage in Garzweiler:

Der BUND hatte vor Jahren gegen die Zwangsenteignung seiner Obstwiese im Tagebau Garzweiler durch alle Instanzen geklagt. Im Dezember 2013 hat das Bundesverfassungsgericht dann bestätigt, dass die „Grundabtretung“ verfassungswidrig war. Im Frühjahr 2014 hat die Landesregierung den Tagebau Garzweiler verkleinert. Die Ortschaft Holzweiler mit seinen knapp 1.300 Einwohner*innen konnte gerettet werden.

Danke für dieses Gespräch!