In der Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland (FTD) findet man derzeit einen Artikel mit der Überschrift „Auswüchse der Angebotstheorie„. Ein Kolumnentext, der mit den volkswirtschaftlichen „Dummheiten“ in unserem Land ins Gericht geht: „Schlechte Politik wird nicht von anderer schlechter Politik konterkariert, sondern sie ist immer von der gleichen Sorte: Angebotslehre, wie sie in Kiel und beim Sachverständigenrat in den 70er-Jahren als Gegenentwurf zu den Vorstellungen der mild reformgeneigten sozialliberalen Koalition entwickelt wurde.“ (FTD) Zeit also für eine bessere Politik. Doch wie soll diese genau aussehen – und wer hat die Möglichkeit, sie umzusetzen? Der Verdacht dass hier einiges schief läuft ist ja nicht neu und auch die Stellschrauben für eine Verbesserung sind hinlänglich bekannt. Allein die Durchsetzungskraft fehlt. Oder nicht? Drängt uns der absehbare Verfall der realen Wirtschaft hin zu unvermeidlichen Änderungen? Wirkt hier bereits ein Regulativ, dass seinen Ursprung in der soziologischen Befindlichkeit unserer Gesellschaft hat? Wir stellen Fragen.

Der Autor Lucas Zeise stellt die tradierte und derzeit praktizierte Angebotstheorie infrage, zumal diese keinesfalls die tatsächliche Stärkung des Angebotes beinhalte. So seien die Investitionen in wettbewerbsrelevante Verbesserungen des realen Angebotes, also zum Beispiel in die Ausbildung von Arbeitskräften oder die Stärkung der Infrastruktur (statt Privatisierung), eher rückläufig. Es ginge bei der besagten Angebotsphilosophie nicht um die Stärkung von Produktionsfaktoren, sondern vielmehr um die Stärkung von „Unternehmen die Produktionsfaktoren billig, das heißt zu Ramschpreisen, geliefert bekommen. Denn erstklassige und zuverlässige Arbeitskräfte, die fast nichts kosten, erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Ausland und steigern, was schließlich der Zweck der Übung ist, die Gewinne.“ Die volkswirtschaftlichen Kennzahlen, wie z.B. das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,5 Prozent, sinkende Reallöhne oder das Abrutschen des privaten Konsums, seien die Auswirkungen der verheerenden Wirtschaftspolitik.

Vom Arbeitnehmer- in das Arbeitgeberlager

„Der massive Druck auf die niedrigsten Lohngruppen, das Wachstum des Billiglohnsektors, das Strangulieren des Konsums, all das ist extrem in Deutschland.“

verweist Zeise und sieht düstere Zeiten heran brechen:

„Deshalb wird dieses Land auch wegen der stets kümmerlich bleibenden Inlandsnachfrage von der Wachstumsschwäche der Weltwirtschaft am härtesten betroffen sein und in die Rezession rutschen, selbst wenn die Euro-Zone insgesamt sie vermeiden kann.“

So weit so schlecht – zumal hier nun auch noch die SPD als große Volkspartei und soziales Gewissen der Republik unter Kanzler Schröder vom Arbeitnehmer- in das Arbeitgeber gewechselt sei und sich von der wichtigen Aufgabe des oppositionellen Regulativs verabschiedet habe. Welche Partei hat also genügend Kraft und Macht, sich der Entwicklung entgegen zu stellen? Der Autor nennt die hieraus resultierenden Probleme der SPD, Mitglieder und Wähler laufen weg, erfreulich. Doch wie erfreulich kann die daraus parteipolitische Gesamtsituation in Deutschland eingeschätzt werden?

Das Fazit des Artikels:

„Ökonomisch betrachtet ist ein Bruch mit der schädlichen Angebotspolitik dringend nötig. Politisch ist ein solcher Bruch ohne die SPD schwer denkbar. Wenn die Partei so bleibt, wie sie jetzt ist, bricht sie oder, besser, zerbröselt sie selbst.“

Hmmm, keine wirklich guten Aussichten… Auch wenn neue Parteien gewillt sind, das soziale Vakuum zu besetzen, so fehlt diesen doch der Rückhalt innerhalb der Gesellschaft. Es ist fraglich, ob Die Linke hier tatsächlich eine Alternative darstellt…

Sag mir, wo die Kaufkraft ist

In unserem Beitrag über die Kaufkraft „Die Einkommensschere geht auf“ sind wir bereits auf die Auswirkungen des zügellosen Kapitalismus eingegangen und es sollte sich bereits bis in den letzten Winkel des Landes herum gesprochen haben, dass unser derzeitiges Wirtschaftssystem auf kurzfristige Vorteile einiger weniger ausgerichtet ist. Wir haben eine Regierung, von der keine positive Veränderung zu erwarten ist. Deshalb ist es notwendig, sich selbst mit den Hauptfaktoren der Misere zu beschäftigen – und diese liegen auf der Hand.

1) Wo ist das Geld? Tatsache ist, dass der realen Wirtschaft die Substanz entzogen wird. Wer heute großes Geld machen will, geht an die Börse und sorgt mit seinen Spekulationen für ein ganz persönliches Wachstum. Industrielle Fertigung, also die tatsächliche Produktion von Gütern findet dort statt, wo die günstigsten Arbeitnehmer zu finden sind. Das Prinzip ist einfach: Es gilt so günstig wie möglich zu produzieren, um die größtmögliche Spanne zwischen Fertigungs- und Verkaufspreis zu realisieren. Aus diesem Blickwinkel sind Massenentlassungen vernünftig. Doch aus der volkswirtschaftlichen Perspektive betrachtet sind sie verheerend. Jeder Arbeitslose ist einerseits auf staatliche Zahlungen angewiesen und andererseits ein schlechterer Konsument – und was der Staat hier an Steuern verliert, dass wird er sich über andere Einnahmen, Gebühren und andere höhere Steuern auf lebensnotwendige Produkte und Leistungen wieder auszugleichen suchen. Hinzu kommt, dass der Staat zugleich seine wachsende Verschuldung (oder zumindest Zinsanteile) begleichen muss. Ergo: Die Kaufkraft sinkt, die Binnennachfrage sinkt, die Verkäufe im Handel und der Absatz von Dienstleistungen stagnieren – die Realwirtschaft kommt immer mehr zum Erliegen.

2) Wer macht die Arbeit? Die rasante Entwicklung im IT-Bereich, neue Fertigungstechnologien und Dienstleistungsprozesse, klauen ganz real Arbeitsplätze. Das ist zuerst in den Berufsbereichen festzustellen, in denen es tatsächliche auf „handische“ Arbeit ankommt. Wo früher ein Arbeiter noch die Chance hatte, von einem in das andere Gewerbe zu wechseln, steht er heute einer technologisch aufgerüsteten Wirtschaft gegenüber, die schlichtweg kaum noch Bedarf an Arbeitern hat. Computer sind schneller, womöglich unfehlbar und obendrein haben sie auch keine menschlichen Macken, gehen nicht (freiwillig) in den Streik und murren nicht mal, wenn sie Tag und Nacht laufen – ganz zu schweigen von den Vorzügen sozialer Genügsamkeit. Ein Computer ist keiner Laune unterworfen, er widerspricht nicht, kennt keine Gewerkschaft und wird bestimmt keine Rente einfordern – viel besser also als jeder menschliche Arbeiter. Ergo: Der technische Segen wird zu einem sozialen Bumerang. Computer verdienen kein Geld, deshalb gehen sie auch nicht einkaufen. Doch wer kauft nun die ganzen schönen Produkte und Dienstleistungen, die mit seiner Hilfe produziert wurden? Die jetzt Arbeitslosen oder Mini-Jobber bestimmt nicht.

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Das System implodiert

Bankenkrise, Reallohnverlust, Billigarbeiter, Einkommensgefälle, Überproduktion, Marktsättigung – es gibt eine ganze Reihe von Begriffen, die den derzeitigen, desolaten Zustand unseres Wirtschaftssystems kennzeichnen. Und wer sich auch nur ein wenig damit beschäftigt, dazu braucht er kein Ökonom zu sein, stellt fest, dass unser Wirtschaftssystem aus dem letzten Loch keucht. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum die Politik hier nichts tut: Einerseits muss sie versuchen Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, damit zumindest ein kleiner industrieller Kreis noch größtmöglichen Profit aus dem System ziehen kann, so lange dies noch geht. Andererseits fehlt der Mut zu neuen Konzepte. Logisch das kein Geld in Ausbildungen gegeben wird, denn es liegt auf der Hand, das schlichtweg nicht mehr genug Arbeit für alle da ist. Da hilft auch nicht die verspätete Neuausrichtung auf Zukunftsmärkte wie beispielsweise der Öko-Technologie. Längst haben uns andere Länder technologisch in den Bereichen überholt, die ehemals zu den wirtschaftlichen, deutschen Kernbereichen gehörten.

Das System implodiert. Politik, Wirtschaft, Industrie und auch Militär wissen das und stellen sich auf den Moment ein. Die Frage die sich jetzt stellt ist weniger, wie wir dieses System am Leben erhalten können, als vielmehr, was danach kommen soll. Der Kapitalismus ist in den Grundzügen durchaus akzeptabel, doch er bietet eine enorm große Spielwiese für Gier und Egoismus, welche Betrug und Unterdrückung, Kriege und Krisen hervor bringen. Dieses System ist also nicht die beste aller Möglichkeiten, da sie hervorragend ausgenutzt werden kann, wie unsere Welt zeigt. Hemmungsloser Kapitalismus bringt dazu noch einen massiven Raubbau mit sich. Ob ökologischer Kahlschlag, Kriege zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen oder (wie bei uns) die Vernachlässigung einer (fast) kompletten Gesellschaft, die Folgen sind katastrophal und erinnern an verbrannte Erde. Was aber dann? Andere Staatsformen haben sich als genauso untauglich erwiesen – wer wollte glauben, dass sich mit Enteignung privaten Vermögens, mit kommunistischen oder sozialistischen Strukturen wirklich etwas ändern ließe? Diese scheitern/scheiterten gleichfalls an denselben Grundeigenschaften des Menschen.

Der Weg ist das Ziel

Die Lösung lässt sich nicht mit einem Universalhebel steuern. Die Lösung muss auf einer anderen Ebene beginnen. Es bleibt zu erwarten, dass die Bevölkerung hier keinerlei strukturelle Hilfe „von oben“ erwarten kann. Was aber, wenn das System zusammen bricht? Es zeichnet sich bereits ab und wenn sogar die FTD hier Warnungen in den Wind zu rufen bemüht ist, so steht sie für ein Umdenken auch innerhalb der Gruppen die unsere Marktwirtschaft für die beste aller möglichen Systeme hielten. Es könnte in einem lauten Knall enden, doch es ist nicht das Ende aller Tage. Vielleicht liegt ja genau hier auch die Rettung. Wenn wir Menschen es nicht schaffen, das globale Wirtschafts- und Finanzsystem bewusst zu ändern, dann vielleicht unbewusst…

Es gibt Entwicklungen innerhalb menschlicher Gesellschaften, die erst nach einiger zeitlicher Distanz als soziologische Phänomene sichtbar werden. Geht man noch weiter, so kann man feststellen, dass diese Phänomene nicht mal allein auf die Menschen beschränkt sind, sondern gleichfalls als Phänomen der Umweltbedingungen unseres Planeten verstanden werden können. Mit nur etwas Phantasie kann man sich unsere Erde als einen kompletten Organismus vorstellen, der durch unterschiedliche Entwicklungsphasen geht. Es ist die Frage, wie groß der Zusammenhang ist, aus dem man eine Situation betrachtet. Wenn man sich anschaut, welche Schäden der Kapitalismus und der Raubbau an Ressourcen mit sich gebracht hat, dann wäre eine Reaktion durch den Gesamtorganismus Erde durchaus nachvollziehbar – und wir sind ein Teil des Organismus. Insofern sind vielleicht unsere wirtschaftlichen Dummheiten letztlich ein Segen, da wir als Individuen eben doch nicht das Ganze überschauen (auch wenn wir gern so tun). Es könnte sein, dass unser wirtschaftliches Dilemma zugleich Lösung für unsere gesellschaftspolitische Lage wird. Ein räuberisches und gefährliches System zerfällt, da es nicht mehr funktioniert; vielleicht aber auch, weil es von einer ökologisch globalen Warte aus betrachtet das Überleben des Planeten sichert.

So könnte der Weg das Ziel sein. Nehmen wir an es kommt zum Kollaps, wird der Mensch gezwungen sein, die Übergangssituation zu organisieren. Hier wird er aufgrund der geopolitischen Verflechtungen Konzepte gegenseitiger, globaler Fürsorge entwickeln müssen. Ein „Globalisierungskonzept“ wie im Moment, also die Beherrschung des Planeten durch einen kleinen, wirtschaftlich potenten Zirkel wäre nicht mehr möglich, da diese lediglich durch Gewalt aufrecht erhalten werden könnte, nicht aber durch ein funktionierendes globales Wirtschaftssystem.

Es kann sein, dass wir einige Jahre ohne Energie, ohne Komfort, ohne übergeordnete Geldwirtschaft, ohne Konsum, ohne betriebliche Hierarchien usw. auskommen müssten, doch dies muss nicht unbedingt das Schlechteste sein. Es liegt an uns, wie wir in der Krise agieren, was sie aus uns macht, ob sie unsere besten oder schlechtesten Seiten hervor ruft. Ob sie uns zu etwas besserem gemahnt. Dieses wird nicht ohne Verzicht und wahrscheinlich auch nicht ohne Gewalt gehen. Zunächst werden wir mit einem Chaos konfrontiert, welches uns das alte System und seine Vertreter hinterlassen werden. Sie werden es mit spitzen Zähnen und Krallen verteidigen, doch es wird nichts nützen, denn die Strukturen schwinden und mit ihnen die Möglichkeiten. Der Weg wird das Ziel sein, denn auf diesem Weg werden wir viele Entscheidungen zu treffen haben, für uns und vor allem für andere.

Fazit
Man kann sich sagen, dass sich die Zustände niemals ändern werden, da es immer schon so war. Doch dieses erscheint mir falsch und zu kurz gedacht. Einerseits haben wir unseren Planeten in einer Weise geschädigt (und tun es noch), dass wir Hunderte von Jahren brauchen werden, um ihn zu heilen. Darüber hinaus haben wir zugelassen, dass sich die Menschheit als solche von ihren moralischen und ethischen Grundpfeilern verabschiedet hat. Nur noch Profit, Kaufen und Verkaufen scheinen zu zählen, doch das ist nur der Ausläufer, der Nachtschatten einer sterbenden Marktwirtschaft. Schneller als wir denken, werden wir womöglich mit einer ganz neuen Situation konfrontiert, einer Situation in der wir wirklich zeigen können, ob wir es mit einer besseren Welt ernst meinen. Ein Zusammenbruch ist schmerzhaft, doch er kann nötig sein und er fordert uns auf, uns ganz real mit dem Leid, den Sorgen und Nöten unserer Mitmenschen auseinanderzusetzen, da es auch unsere Sorgen und Nöte sein werden. Und wir werden es lernen, wenn wir es bisher nicht konnten. Wer aus seinem eigenen Leben weiß, dass die größte Erkenntnis und die größte Stärke manchmal aus einem Schicksalsschlag resultieren, der wird der Zukunft mit festerem Blick entgegentreten und sie als Herausforderung betrachten. Eine Herausforderung an das Menschengeschlecht, und ganz besonders als Herausforderung an sich selbst.

Quelle:
Fotoquelle: Pixelquelle.de, Peter Röhl