Keine Frage, ein Gespenst geht um. Und es legt dabei einen ganz erstaunlich weiten Weg zurück – einmal um die ganze Welt. Das Gespenst heißt „Kapitalismus“ und zeigt sich von einer derart hässlichen Seite, das den Menschen Angst und Bange wird. Die meisten von ihnen wissen sich nicht anders zu helfen, als weiterzumachen oder in Deckung zu gehen. Doch eine wachsende Gruppe stellt sich ihm wagemutig in den Weg und will sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen. Genau von diesen erzählt Thomas Wieczorek in seinem neuen Buch „Die rebellische Republik“.
Wie heißt es doch so schön in den Asterix-Heften: „Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“. Und irgendwie erinnert diese Einleitung doch auch an die heutigen Tage, an die „Occuppy-Bewegung“ die in über 800 Städten weltweit beweist, dass es sie immer noch gibt, die Unbeugsamen. Diejenigen die sich nicht für dumm verkaufen lassen wollen. Auch wenn das bedeutet, sich gegen die Imperatoren zur Wehr zu setzen.

Das Fass ist übergelaufen

Wieczorek beschreibt in seinem Buch genau das, was die sogenannte „schweigende Mehrheit“ denkt, aber eine nicht mehr schweigsame Minderheit beginnt heraus zu rufen – auch bei uns: „Es ist etwas faul im Staate Deutschland: Ob hartz IV oder Gesundheitsreform, Atommüll-Endlagerung oder umwelt-zerstörender Bahnhofsneubau, Bildungskatastrophe oder Rente erst nach dem Tod – lange, vielleicht zu lange, haben sich die Bürger das angesehen und ihrem Ruf als „schweigende Mehrheit“ alle Ehre gemacht. Nun aber fiel jener Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wo man auch hinschaut: Es brodelt im Volk, und zwar quer durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten.“

Und damit wir Leser uns erinnern, dass der Protest nicht eine Attitüde gelangweilter Wohlstandsjammerer, einer ständig mit dem Füßen scharrenden Krawalllinken, einer undankbaren Unterschicht oder sozialromantischer Lebenswirklichkeitsverneiner ist, zeigt uns der Autor, dass das schlichte Wörtchen „Nein!“ Demokratie erhaltend sein kann. Er nimmt uns Deutsche, die wir anscheinend verlernt haben, wie man den Mächtigen ein „Nein!“ entgegen ruft, mit auf eine Reise durch unsere eigene Geschichte. Wieczorek hält uns unsere eigenen gesellschaftlichen Leistungen in Sachen Demokratie vor die Nase und reiht die unterschiedlichsten Formen des Widerstandes wie an einer Perlenkette auf: 68er-Proteste, die gesellschaftliche Befreiung vom Spießer-Muff der Nachkriegszeit, aber auch Arbeitskämpfe, Wahl-Boykott, Digitale Revolution, passive Widerstandsformen, Hungerstreiks, Sitzblockaden, Anketten, Konsumverzicht… Die Liste ist lang – und facettenreich!

Und um hier bei der ursprünglichen Metapher zu bleiben: „Ein Tropfen hebt den Ozean an!“

Der „starke Arm des Gesetzes“

Thomas Wieczorek geht es – wie den vielen „Nein!-Sagern“ auch – nicht um ein sinnleeres Dagegenhalten, nicht um den Protest seiner selbst willen. Es geht ihm um das, was sich als Haltung in der Gesellschaft neu regt, neu erfindet geradezu: Die Zivilcourage: „Allgemein gesagt, bedeutet Zivilcourage, beim Eintreten für die Grundwerte unserer Verfassung, insbesondere der Menschenrechte, Nachteile in Kauf zu nehmen. Die Nachteile können in Repressionen durch die Staatsorgane, den Arbeitgeber oder das soziale Umfeld (Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Geschäftspartner) bestehen und von Ausgrenzung oder Mobbing bis hin zu „Schäden an Leib und Leben“ variieren…“ Was das heißt, können all diejenigen genauer beschreiben, die den „starken Arm“ des Gesetzes zu spüren bekamen. Zum Beispiel bei den Demonstrationen um Stuttgart21, bei den Occupy-Veranstaltungen in Berlin uswusf. Der Staat verlangt den meisten von uns zunehmend mehr ab, fordert quasi eine erduldende Dauerduckhaltung, trotz der unmöglichsten politischen Entscheidungen, doch wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, bekommt eben auch zunehmend seine sprichwörtliche Härte zu spüren. Zivilcourage wird nicht so gern gesehen, oder nur dort gefordert, wo der Bürger im Rahmen ehrenamtlichen Engagements zunehmend dessen Aufgaben übernehmen soll.

Wieczorek bietet zudem einen Streifzug durch die Welt des organisierten Widerstandes. Antiglobalisierungsbewegungen wie Attac, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, AKW-, Friedens-, Frauen- und Streikbewegungen.. im Buch werden sie beschrieben. Doch auch den grundsätzlichen Fragen: „Was soll das alles bringen?“ und „Ist Widerstand zwecklos“ nähert sich der Autor mit Perspektive: „Keine der hier behandelten Protestbewegungen kämpft für die Abschaffung von Demokratie, Rechtsstaat und Gesellschaftsordnung, ebenso wenig für eine „andere Republik“, geschweige denn für ein System à la Iran oder China. Vielmehr geht es ihnen häufig gerade um die Verteidigung des „Geistes des Grundgesetzes…“. In dieser Aussage liegt viel Wahres, doch in einer Überlegung täuscht sich der Autor – nach meiner Meinung…

Papier ist geduldig und wenn man etwas genauer hinschaut, erkennt man, dass der „Geist des Grundgesetzes“ keine echte Rolle mehr spielt. Im Gegenteil. Genau an den Stellen, wo unser Verfassungsersatz seine markanten Punkte hat – bei der Selbstbestimmung, bei den Fragern der Freiheit und den Rechten auf Privatheit, kann es als ausgehebelt gelten. Dazu kommt noch, dass immer mehr Rechte der Brüsseler Vorherrschaft geopfert oder vom Krisenmanagement ausgehebelt werden. Und deswegen gilt ganz klar: Wir brauchen eine andere Republik! Eine Republik, die eben genau das tut: Den Geist des Grundgesetzes zu beleben. Denn dieser steht ganz eindeutig dem Geist des Kapitalismus in seiner aktuellen Daseinsform entgegen. Denn mit den Buchstaben des Grundgesetzes fängt es an, mit dem realen Verlust der Demokratie höchstselbst könnte es enden. Deswegen ist in diesen Tagen nichts wichtiger als eine neue Einigung, ein neuer Deal zwischen den Herrschenden und den Beherrschten – zwischen den Menschen die dem angehören, was sich (noch) Gesellschaft nennt. Eine Verfassung der Bürger sozusagen, eine Charta die nicht von oben, sondern genauso von unten – eben von allen entworfen, gebilligt und getragen wird.

Genau mit diesen Überlegungen schafft der Autor uns einen geistigen Freiraum, wenn er sagt: „Vielmehr geht es ihnen häufig gerade um die Verteidigung des „Geistes des Grundgesetzes, also der durch die Ewigkeitsklausel“ (…) geschützten Artikel 1 (Menschenwürde) und 20 (Republik, Demokratie-, Rechts- und Sozialstaat). Ansonsten ist das Grundgesetz keine in Stein gemeißelte heilige Kuh – schließlich erfuhr es bereits sechzig Änderungen. Folglich kann das Eintreten für Veränderungen des Grundgesetzes nicht grundgesetzwidrig sein.“

Erhebliche Spielräume

Thomas Wieczorek sieht innerhalb eines Systems erstaunlich große Spielräume und stellt wichtigerweise fest, dass es gar nicht in erster Linie darum geht, einzelne Aktionen, einzelne Demonstrationen oder Proteste zu gewinnen: „Was zählt, ist das immer bessere gegenseitige Verständnis der einzelnen Schichten untereinander und füreinander, damit aus den oft unterschiedlichen und einander widersprechenden Interessen und Forderungen der einzelnen Bevölkerungsteile ein möglichst einheitliches „Widerstandspaket“ geschnürt werden kann“. Und genau das ist es wohl, was wir jetzt in der weltweiten „Occupied-Bewegung“ sehen – einer Bewegung die den egozentrischen Herrschenden den Hosenboden gerade erhitzen dürfte. Denn nichts ist in deren Augen schlimmer, als eine (Welt-)gemeinschaft die zusammen hält. Und genau bei dieser Solidarität gibt es – wie wir auf diesen Seiten im Blog auch immer wieder betonen und zeigen wollen – wirklich jeden erdenklichen Spielraum. Diese Aufgabe könnte zu einer gigantischen Aufgabe, zu einer Gemeinschaftsleistung aller demokratischen Kräfte, weltweit, werden. Auch bei uns, im verschlafenen Deutschland.

Das Buch „Die rebellische Republik“ listet einerseits die unterschiedlichen Formen des Widerstandes in ihrer kreativen Breite auf, zeigt darüber hinaus gerade in seiner geballten Form, dass wir uns keineswegs hinter den demokratischen Kräften in anderen Ländern verstecken müssen – nicht wir, das Volk! Wir erinnern uns an den Fall der Mauern und spüren vielleicht, dass neben den äußeren nun noch die inneren zerbersten müssen. Dass sie fallen müssen, damit wir uns den Kern dessen zurück erobern, was wir in unseren Herzen als Demokratie verstehen. Denn dort – in unseren Herzen – entsteht sie, als ein Gefühl für Gerechtigkeit, der Gemeinsamkeit und Toleranz. Solange wir sie nicht fühlen, werden wir immer Spielball anderer bleiben. Werden wir uns auseinander dividieren lassen – frei nach dem Motto: „Teile, und herrsche!“  In unseren Herzen gibt es noch erhebliche Spielräume. Und wenn wir dann dazu noch unseren Kopf dazu nutzen wollen, nicht mehr zu spalten sondern zu vereinen, dann werden wir es auch schaffen, uns die Demokratie zurück zu erobern. Denn Demokratie ist kein Geschenk auf Lebenszeit. Sie muss stets, von Generation zu Generation, neu errungen werden.

Die rebellische Republik
Warum wir uns nicht mehr für dumm verkaufen lassen
Thomas Wieczorek
Verlag: Knaur
ISBN-10: 3426784432
ISBN-13: 978-3426784433