„So wie wir sind, sind wir gut“, liest man auf der Seite der Pride Parade. Am 12. Juli wollen Freaks, Krüppel, Verrückte, Lahme, Eigensinnige, Blinde, Taube und Normalgestörte in Berlin auf die Straße. Um zu feiern, aber auch, um Inklusion zu fordern. Dafür braucht es ein neues Teilhabegesetz für Behinderte – denn noch leben sie unter finanziell äußerst schwierigen Bedingungen.
Warum wir ein neues Teilhabegesetz brauchen
„Die gesetzlichen Regelungen für die Teilhabe behinderter Menschen sind im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland längst überfällig. Bis Mitte 2015 soll das Bundesteilhabegesetz entwickelt und bis Mitte 2016 im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden“, berichtet die Kampagne „Teilhabe jetzt“ auf ihrer Website (http://www.teilhabegesetz.org). Gefordert wird vor allem ein Recht auf Sparen sowie eine Vereinheitlichung der Leistungen über die verschiedenen Bundesländer hinweg.
Der Gründer der Sozialhelden (http://www.sozialhelden.de/) und der Wheelmap (http://wheelmap.org/) Raul Krauthausen beschreibt, wie sein Alltag als Behinderter aussieht (http://raul.de/): „… die bisherige Koppelung der Sozialhilfe an mein Einkommen macht es für mich sehr schwer, mehr als 2.600 Euro zu sparen. Eigentlich ist die Sozialhilfe größtenteils, für die Überbrückung einer schwierigen Zeit gedacht, wie zum Beispiel eine längere Arbeitslosigkeit. Wer einmal Sozialhilfe bezogen hat, weiß, wie schwer das Leben ist und versucht alles um da wieder herauszukommen. Aber wie soll das mit meiner Behinderung gehen? Ich werde Glasknochen bis zum letzten Tag haben und somit auch immer auf Unterstützung angewiesen sein. Mit allen Konsequenzen.“
Raul Krauthausen setzt sich mit seinem gemeinnützigem Verein Sozialhelden seit Jahren für Inklusion ein.
Ein Recht auf Sparen
Wer Raul Krauthausen kennt, der weiß, dass er keineswegs auf Reichtum und Luxus aus ist. Doch die derzeitige Gesetzeslage zwingt ihn (und alle anderen behinderten Menschen in Deutschland) in eine äußerst prekäre Lage: „Es geht mir nicht darum, überhaupt keine Zuzahlungen zu meiner Assistenz zu machen, aber es muss in einem verträglichen Rahmen sein. Von allem, was ich über den Freibetrag von 1.500 Euro pro Monat verdiene, werden erst mal 60 Prozent abgezogen. Ich darf nicht mehr als insgesamt 2.600 Euro ansparen. Keine Lebensversicherung, kein Bausparvertrag. Wenn ich heiraten würde, wäre das Einkommen meiner/meines Partnerin/Partners ebenfalls von dieser Regelung betroffen“.
Ist das fair? Zu einer echten Inklusion Behinderter in unsere Gesellschaft sollte doch auch gehören, dass jeder angemessen für seine Arbeit bezahlt wird und sein verdientes Geld so verwenden kann, wie er will – oder zumindest, wie Nichtbehinderte das auch tun können. „…eine Altersvorsorge, ein Auto, einen Urlaub usw. streben ich und viele andere behinderte Menschen gar nicht an. Das einzige, was wir wollen, ist Gleichberechtigung. Ändern wir nichts, weiß ich jetzt schon, dass fast alle behinderten Menschen in Deutschland in Altersarmut leben werden. Weil wir nicht mal private Rentenversicherungen abschließen dürfen“, erklärt Raul Krauthausen.
Im Dschungel der Bürokratie
Dazu kommt, dass sich Behinderte mit einem Dschungel an Bürokratie und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Gesetzesvorgaben herumschlagen müssen. „Gehörlose Menschen müssen heute immer noch mit einem Flickenteppich der Unterstützung leben, denn jedes Bundesland hat eigene Regelungen“, berichtet die Initiative „Teilhabe jetzt“. So eine Unterstützung für Gehörlose reicht von 0 Euro (in den meisten Bundesländern) bis hin zu 126 Euro (in Berlin).
Doch: „Selbst die 126 Euro reichen nicht für ein gleichberechtigtes Leben in einer hörenden Welt aus, zumal kürzlich auch noch die Gebärdensprachdolmetscher-Honorare um 30 Prozent auf 75 Euro pro Stunde erhöht wurden“, erklärt „Teilhabe jetzt“.
Deine Teilnahme an der Teilhabe
Dieser Zustand ist vielen Nicht-Behinderten (wie mir auch) sicherlich nicht so bewusst. Aber je mehr man sich damit beschäftigt (auf der Seite von Teilhabe jetzt berichten einige Behinderte, mit welchen Problemen sie sich in ihrem Alltag – zusätzlich zur Behinderung – so herumschlagen müssen), desto unfassbarer ist die Situation.
Positiv ist, dass es eine Neuregelung geben soll. Wichtig ist, dass Behinderte hier ein ernstes Wörtchen mitreden dürfen. Ihr könnt euch auch dafür einsetzen: Dafür gibt es a, 30. Juni in Berlin die Kundgebung „Vom Benachteiligungsverbot zum Bundesteilhabegesetz“. Am 12. Juli findet die bereits genannte Pride Parade (http://www.pride-parade.de/) ebenfalls in Berlin statt. Und wer nicht dorthin kommen kann, kann sich über die Online-Petition für das Teilhabegesetz einsetzen – oder die Kampagne „Teilhabe jetzt“ finanziell oder personell unterstützen.
Bildquelle: Guenter Rehfeld (pixelio) / Esra Rotthoff (wikimedia)
Textquellen: Alle Zitate von Raul Krauthausen stammen von dem Blog www.kobinet-nachrichten.org
Mittlerweile kommt Bewegung in die Sache. Ein aktuelles Interview mit Constantin Grosch, der zu dem Thema vor eineinhalb Jahren eine Online-Petition gestartet hat. Mehr Infos auf: http://erdreporter.de/wie-behinderte-menschen-durch-den-staat-benachteiligt-werden/