Jean Ziegler gehört zu den umstrittenen Persönlichkeiten, die mir all die Jahre Respekt abverlangt haben. Nun kommt ein Dokumentarfilm über ihn in die Kinos. Wir konnten ihn uns vorab ansehen – und nun weiß ich nicht mehr genau, wie ich Ziegler finden soll…
Der Flair des intellektuellen Revoluzzers
Über 80 Jahre ist Jean Ziegler mittlerweile. Viele Jahrzehnte hat er gegen Ungerechtigkeit und Hunger und für die Menschenrechte und seine Ideale gekämpft. Er hat viele, viele Bücher geschrieben, die Menschen aufgerüttelt und motiviert haben, sich ebenfalls für Gerechtigkeit und eine bessere Welt einzusetzen.
Ich muss gestehen, dass ich mich gerne mit solchen Menschen identifizieren würde. Was gäbe ich darum, wenn ich Bücher schreiben dürfte wie er… Außerdem war er mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre befreundet (was ihn bewog, seinen Vornamen Hans in Jean umzuändern), die ich als Jugendliche super fand. Und kannte Che Guevara.
Genug Mythos, um mich so richtig neugierig auf die Dokumentation über Jean Ziegler zu machen: Was für ein Typ ist er so im Privatleben? Welche Fragen treiben ihn um? Wie sieht sein Alltag aus, in der UN und auf Reisen? Ich stelle mir das alles ziemlich aufregend und irgendwie auch etwas glamourös vor…
Die Realität als Film
Dann überrascht mich der Film: Jean Ziegler im Auto, auf großen Tribünen vor Menschenmengen sprechend und in der UN in Genf vor den Delegierten redend. Das alles hatte ich mir vorgestellt – und all das bekomme ich auch zu sehen. Doch der Film zeigt auch andere Seiten. Viel intimere. Szenen, bei denen ich mich frage, ob ich den Mut hätte zu erlauben, dass sie in aller Öffentlichkeit abgespielt werden.
Denn Jean Ziegler spricht in diesem Film auch über seine Unlust vor Konferenzen. Er gibt seine diplomatischen Taktiken preis und wie er sich von anderen dabei überrumpeln lässt. Man kriegt mit, wie er seine Frau anfährt, sie solle den Mund halten. Und wie er während einer Reise durch Kuba erklärt, die Pressefreiheit wäre nicht wichtig. Wichtiger wäre die Revolution.
Alter, weißer Mann im Anzug
Am Ende kommt Jean Ziegler für mich wie ein selbstgerechter, alter, weißer Mann im Anzug rüber. Und irgendwie ertappe ich mich bei dem Unmut über all die weißen, alten Männer in Anzügen, die die Einzigen zu sein scheinen, die was zu sagen haben…
Ich erinnere mich an seine Lebensleistung. An all die Bücher, an seine Ideale und seinen Mut für seine Überzeugungen zu kämpfen. Zwar nicht sein Leib und Leben auf’s Spiel zu setzen, wie Che (was ihn zu wurmen scheint). Aber doch immerhin seine bequeme Existenz als Professor in einer Konsequenz, von der ich mir eine Scheibe abschneiden könnte.
Und ich denke mir: Ja, wahrscheinlich muss man schon so eine gehörige Portion Selbstbewusstsein haben, die von außen betrachtet fast wie Arroganz wirkt. Anders hätte man sicherlich nicht die Stärke, sich den ganzen Anfeindungen und all der Kritik zum Trotz für seine Überzeugungen stark zu machen.
Das Leben als Revoluzzer ist wahrscheinlich eben doch nicht so hehr und glamourös, wie ich mir das so immer vorstelle. Auf menschlicher Ebene ist es wahrscheinlich gar nicht so viel anders, als unseres…
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Für alle Jean-Ziegler-Fans, die sich den Film ansehen wollen, hier die Daten:
Jean Ziegler – Der Optimismus des Willens
Kinostart: 23.03.2017
Website: www.jeanziegler-film.com
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