Wir bemerken sie kaum – doch sie folgen uns in vielen Städten schon fast auf Schritt und Tritt: Überwachungskameras. Die Debatte um Privacy schwelt vor sich hin. Derweil haben Künstler die Situation zweckentfremdet und drehen mit den ungeliebten Kameras ganze Filme…
Surveillance Art
>>Überwachungskunst<< nennt sich das Spiel mit dem Überwachungswahn, der in den Großstädten dieser Welt immer mehr um sich greift: In London, der Hochburg der Überwachung, soll es über eine Millionen solcher Kameras geben – die meisten in privater Hand. Jeder findet einen guten Grund, warum die Überwachung per Kamera unbedingt notwendig ist. Und uns Bürgern wird es am Ende mit einer scheinbar größeren Sicherheit schmackhaft gemacht.
Während die Debatte um die Privatsphäre (engl. Privacy) eher vor sich dahin schwelt, als aktiv in der Öffentlichkeit debattiert zu werden, beschäftigen sich Künstler natürlich schon längst mit diesem ambivalenten neuen >>Spielzeug<< des öffentlichen Raums.
Surveillance Camera Players
Sie nutzen Überwachungskameras zum Beispiel, um ihre ganz eigenen Inszenierungen und Stücke aufzuführen: Das so genannte Surveillance Camera Theatre. Einer der ersten war die New Yorker Künstlergruppe >>Surveillance Camera Players<< (www.notbored.org). Sie wurde von Bill Brown und Susan Hull 1996 gegründet, zwei vom Situationismus inspirierte AktivistInnen, um gegen den alltäglichen Überwachungswahn zu protestieren.
Ihre erste Performance war Alfred Jarrys »Ubu Roi«, später folgten zum Beispiel Orwell’s »1984« oder Beckett’s »Warten auf Godot«. Obwohl die Stücke naturgemäß in aller Öffentlichkeit stattfinden – und somit Passanten auf das Thema der Überwachung aufmerksam machen – sind die eigentlichen >>Kunstwerke<< (die Video-Aufzeichnungen) nicht öffentlich.
Street with a View
Etwas anders sieht das mit dem Fortschreiten der >>Überwachung<< aus: 2008 luden die Künstler Robin Hewlett and Ben Kinsley dazu ein, bei einer Inszenierung per Google Street View teilzunehmen. Anwohner der Pittsburgher Nordseite konnten längst des >>Sampsonia Way<< Standbilder inszenieren. Sie reichten von einer Parade über einen Marathon und eine Bandprobe bis hin zu Schwertkämpfen und heroischen Szenen. Das Ergebnis kann man sich unter www.streetwithaview.com anschauen.
Banlieue de vide
Viele Künstler gehen aber auch den umgekehrten Weg: Sie nutzen Aufnahmen von Überwachungskameras, um einen neuen, ungewohnten Blick auf unsere Welt zu liefern. Einer von ihnen ist Thomas Köner. Er hat aus Aufnahmen von Überwachungskameras einen Film geschnitten, den man zum Beispiel auf seiner Website (www.thomaskoner.com) sehen kann. Der Film >>Banlieue de vide<< (Vorort der Leere) zeigt erschreckend leere und langweilige Szenen, die geradezu unerträglich langsam in einander überblenden.
Wer es schafft, sich diese gähnende Leere eine Weile anzuschauen, der macht sich so seine Gedanken: Wie grausam muss es sein, derlei Aufnahmen von Berufs wegen anzuschauen? Und: Sieht so die Welt aus, wenn sich die Menschen irgendwann vielleicht einmal selbst ausgelöscht haben?
Fazit
Diese wenigen Beispiele einer großen, Welt umspannenden Szene von Künstlern und Aktivisten, die sich der problematischen Technik mit Witz und Kreativität annehmen zeigt einmal mehr: Es kommt auf uns an, was wir aus all der Technik und dem Wissen machen, das uns zur Verfügung steht.
Und auch wenn das Video der Stiftung >>Love Everybody<< fasst ein Werbespot für die Hersteller von Überwachungskameras sein könnte – er geht zu Herzen. Denn er zeigt, dass wir Menschen tatsächlich in der Lage sind, den hinter den Kameras sitzenden Wachleuten den Glauben an die Menschheit zurück zu geben: Sie können auch sehr viel Schönes und Positives sehen ;-).
P.S. Danke an Gabi Eder für das Foto von der Überwachungskamera (via pixelio)
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