Klimakapseln könnten unsere letzte Rettung sein.

„Seit Kopenhagen befinden wir uns in einer prärevolutionären Phase“, soll Peter Sloterdeijk gesagt haben. So steht es jedenfalls in der Ausstellung „Klimakapseln“ im Hamburgischen Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) zu lesen. Gesagt hat er das, weil er glaubt, dass sich der Klimawandel nun nicht mehr abwenden lässt – und mit ihm die Revolten der Massen, die unter den Umweltbedingungen nicht mehr leben können, die damit über uns herein brechen: Sturmfluten, Dürren, Temperaturen über 50 Grad – beispielsweise prognostiziert für Tokyo. Aber wie die Menschen so sind: sie suchen Auswege. Unter anderem mit Klimakapseln.

In den 1960er und 70er waren Wohnkapseln schon mal en vogue – damals als sozialkritisches Phänomen. Zum Beispiel sind in der Ausstellung die „Environment Transformer“ der 1968er Architekten- und Künstlergruppe „Haus-Rucker-Co“ zu sehen (siehe Bild oben). Sie sollen den Blick auf die Welt verändern und so für eine radikale Trennung von Innen und Außen sorgen.

Doch mittlerweile rücken die Kapsel als Lösung für das Problem des Klimawandels ins Visier: Einfacher, als den Mars zu bevölkern scheint es anscheinend, hermetisch abgeriegelte, sich selbst genügende Öko-Systeme nachzubauen.

Architekt Richard Buckminster Fuller

Sicherlich ein Vorbild für die nachfolgenden „Kapselfetischisten“ ist anscheinend der Architekt Richard Buckminster Fuller (http://www.bfi.org/) – der 1960 einen gewaltigen Kuppelentwurf vorstellte, der Teile Manhattans mit einer transparenten Hülle von der Außenwelt abschließen sollte (um die gesamte Kuppel angenehm zu temperieren, bräuchte man – so berechnete Fuller – nur 1/85 der Energie, die man braucht um jedes einzelne Haus heizen respektive kühlen).

Sicherlich auf jeden Fall für die „Biosphere 2“ – eine hermetisch abgeriegelte Kapsel in der Wüste von Arizona (13.000 Quadratmeter groß, 65.000 Fenster und 200.000 Kubikmeter Luft, siehe Bild oben). Das Ziel: man wollte eine Kapselkolonisierung des Weltraums entwickeln. 1991 lebten acht Wissenschaftler zwei Jahre darin.

Fliegende, schwimmende und laufende Städte

In der Ausstellung gibt es auch fliegende Städte (2008 bei der Bienale in Venedig vom chinesischen Architekturbüro MAD Architecture via Modell vorgestellt). Oder schwimmende Städte („Lilypad“ genannt und vom belgischen Architekten Vincent Callebaut entwickelte Idee von Klima-Flüchtlingsinseln). Oder laufende Städte (so genannte „Walking Cities“, entwickelt von Ron Herron, die sich „heiter und gelassen“ durch die Landschaft bewegt).

Aber es geht auch kleiner, individueller. Das R129 ist so ein Beispiel: ein ellipsoider Prototyp für mobiles Wohnen – ortsunabhängig, selbst versorgend und wahlweise transparent oder blickdicht. 2001 von Werner Sobek entwickelt, soll es 2012 Marktreife erlangt haben. Das „Walking House“ (wahrscheinlich inspiriert von der „Walking City“, siehe Bild oben) der Kunst-, Design- und Architekturgruppe N55 scheint dessen Weiterentwicklung – es läuft von alleine. Eine Anleitung zum Nachbauen gibt es übrigens unter www.n55.dk.

Weniger elitär sind beispielsweise Projekte wie paraSITE des Künstlers Michael Rakowitz: er fertigt  aufblasbare Zelte für Obdachlose, die an die Abluftschächte von Gebäuden angebracht werden können und so seine Bewohner wärmt und schützt (mittlerweile sollen mehr als 30 Obdachlose ein solches Zelt erhalten haben, siehe Bild oben). Eine Alternative dazu wäre ggf. das „Refuge Wear“ – entwickelt von der Künstlerin Lucy Orta. Dabei handelt es sich um ein Iglu-Zelt mit Kapuze, das sich – sobald man die Aluminiumstangen entfern hat – auch als Regen-Cape tragen lässt.

Es gibt noch einige weitere, interessante Projekte (beeindruckt hat mich bspw. auch der „Cloud Buster“, geplant vom Psychologen Wilhelm Reich und gebaut vom Künstler Christoph Keller: wenn man so will eine  Orgon-Energie-Kanone (Orgon ist eine Energie, die laut Reich alles durchdringt), mit der man Regen und Hagel produzieren kann. Bei Keller soll es in New York und Indien tatsächlich geklappt haben…). Doch will ich meinen kleinen Bericht nicht ohne Kritik abschließen.

Inspiration Science Fiction

Die Ideen waren inspirierend und es ist immer wieder faszinierend, mit was sich die Menschen so alles beschäftigen. Doch klar ist auch: die meisten der gezeigen Arbeiten, Ansätze und Konstrukten sind – so sie denn tatsächlich funktionieren – etwas für eine Elite. Das wird auch von den Ausstellungsmachern angesprochen in einem Science-Fiction-haften Teil des gleichnamigen Buches (erschienen bei Suhrkamp, 14 Euro, ISBN 978-3-518-12615-8): Wer sich die Klimakapseln nicht leisten kann, muss verrotten?

Eine Vorstellung, die übrigens auch in einen lesenswerten Science-Fiction-Krimi mündete: „Globalia“, geschrieben von Jean-Christophe Rufin (Goldmann Verlag, 9,95 Euro, ISBN 978-3-442-46949-9). Hier kann man genauer nachlesen, wie die Spaltung in eine Welt unter einer Kuppel und außerhalb enden könnte: In der Kapselwelt werden die Menschen permanent manipuliert. Außerhalb sind sie zwar frei, aber auch den Widrigkeiten der geschundenen Umwelt ausgesetzt sowie marodierenden Banden.

Die Ausstellung „Klimakapseln“ läuft noch bis zum 12. September 2010. Auf zwei Etagen kann man sich geschätzte zwei Stunden mit alten und neuen, in jedem Fall interessanten und vor allem kontroversen Konzepten auseinander setzen. Manche mittels Fotos oder Videos dokumentiert – andere direkt zum Anfassen oder zumindest anschauen. Fazit: sehenswert!

Weitere Infos: www.klimakapseln.de