Nein, keine Meldung über die häppchenweise Privatisierung der Autobahnen, sondern eine über die Hannoveraner Strassenzeitung „Asphalt“ und damit viel wichtiger. Denn das Blatt ist jetzt für seine Arbeit ausgezeichnet worden – und das gleich zwei Mal.

Eine Straßenzeitung ist eine Zeitung die auf der Straße verkauft wird, von Menschen die in Not geraten sind. Viele sind oder waren obdachlos und können sich so etwas dazu verdienen. Viel ist es nicht, aber es ist viel besser als andere um Geld zu bitten. Außerdem tragen sie aktiv dazu bei, ihre Lebenswelt und ihre Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Was viel zu selten gelingt, denn wo die Armut wächst, schrumpft die Geberlaune der Passanten. Dabei ist es keine Begegnung der Dritten Art, keine Konfrontation mit den eigenen Sorgen und Nöten, die die „Habenden“ vor den „Habenichtsen“ Reißaus nehmen lässt. Es ist wohl der kurze Augenblick der Gewissheit, dass es einen jederzeit selbst treffen könnte. Und diese schiebt sich wie eine Wand dazwischen.

Armut kann jeden treffen

Man sollte sich nichts vormachen, immer mehr Bewohnern auf diesem Erdball haben entweder gar nichts zum Leben, oder so wenig, dass es nicht reicht. Hunger, Durst, ein sicherer Platz für die Familie – ist nicht selbstverständlich. Wer sich glücklich schätzen kann, sollte darauf nicht zu stolz sein, denn einerseits kann ein Schicksalsschlag, eine Lebenswende alles wieder zunichte machen. Andererseits ist erarbeitete Wohlstand nur zum Teil eigene Arbeit, Fleiß, Talent… der größte Anteil liegt in dem Glück begründet an diesem Ort und zu dieser Zeit zu leben. Nicht irgendwo anders – in einem Hunger-, Krieg-, oder Katastrophengebiet. Was wir nur zu häufig vergessen.
Armut kann jeden treffen. Gerade in Zeiten spontaner Entlassungswellen und zunehmender Privatinsolvenzen trifft es bei uns auch immer mehr Menschen, die sich als „Mittelschicht“ jahrzehntelang sicher wähnten. Das Sicherheitsgefüge ist zusammengebrochen und und macht auch vor denen nicht Halt, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben. Selbst ein Fulltime-Job ist keine Garantie mehr auf eine abgesicherte Existenz. Grund genug über die Solidarität mit den Strauchelnden nachzudenken, und sich für sie einzusetzen.

Ausgezeichnet

Das „International Network of Street Papers“ (INSP) in Glasgow (England) hatte den „International Street Paper Award“ ausgeschrieben und prompt ging der Preis in der Kategorie „Bestes Foto“ nach Hannover, an die Fotografin Karin Powser. Außerdem gab es noch eine zweite Auszeichnung für das beste Interview, die der Autor Olaf Neumann für sein Gespräch mit Publizisten Ralph Giordano erhielt. Ich hatte von der Ehrung im Radio gehört und war freudig überrascht. Schade, dass man schon etwas länger suchen muss, bis man im Netz darüber etwas findet.
Bei uns in Hamburg gibt es den „Hinz&Kunzt„, eine Zeitung die sehr gut gemacht ist (der beste EM-Kalender seit langem!) und mit 1,70 Euro auch nicht teuer. Sie taucht auch in diesem INSP-Award-PDF2007 auf.

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Nicht nur bei Hinz&Kunzt, auch in Straßenzeitungen anderer Städte solidarisieren sich zunehmend auch Prominente, wie hier jüngst Oliver Bierhoff, Günter Netzer, Jürgen Klopp, Lothar Matthäus, Udo Lattek im EM-Special. Die wichtige Botschaft: „Wir stehen hinter Euch. Wir sind nicht anders als Ihr!“

Zeit die Augen aufzumachen. Die Idee scheint plump, abgegriffen und überholt, doch sie ist in Wahrheit aktueller denn je: Wir alle sind füreinander verantwortlich. Es ist eben nicht egal, wie es um den Mitmenschen steht. Es geht nicht nur darum, (Konkurrenten) Mitbewerber zu überholen und dann links (oder rechts) liegen zu lassen. Die Menschen die wir im Leben treffen sind nicht nur Erfüllungsgehilfe für unsere Interessen, unsere Karriereleiter, unser Wohlgefühl…, sondern Teil einer Gemeinschaft, in der jeder mit jedem in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden ist. Die Armut Einzelner ist immer auch die Armut aller und fordert uns heraus – gerade dann wenn wir helfen könnten, aber es aus Bequemlichkeit, Angst oder Desinteresse nicht tun.

Mit dem unterstützenswerten Projekt der Straßenzeitung finden arme und vorher hoffnungslos allein gelassene Menschen zur Gemeinschaft zurück und erinnern sie täglich neu an ihre Aufgaben. Denn: Der Wert einer Gesellschaft lässt sich stets daran messen, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Fehlende Empathie und Fürsorge, schwindendes Mitgefühl und wachsender Egoismus, lassen jede Zivilisation am Ende in sich zusammenbrechen, da sie ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt nur zum Scheitern verurteilt ist.

Ein großes Lob für die Straßenzeitungsprojekte, die mit einer einfachen Idee dort entgegen steuern, wo es die Gesellschaft aus sich heraus noch nicht fertig bringt. Nur ein paar Euro, oder auch nur ein nettes Gespräch und aufmunternde Worte (statt böse oder flüchtende Blicke) und ein erster Schritt ist getan.

Quellen:
Asphalt-Magazin
HAZ
International Network of Street Papers