Die Berliner Autorin Christa Spannbauer hat gemeinsam mit dem Filmemacher Thomas Gonschior einen Dokumentarfilm über sehr beeindruckende Mutmacher gedreht: Vier Holocaust-Überlebende, die die unvorstellbaren Gräuel, denen sie als junge Menschen ausgesetzt waren,in Versöhnung, Optimismus, Widerstandskraft und Güte verwandelt haben. Wie geht das? Das wollten wir von Christa Spannbauer wissen.

Wer die vier Protagonisten des Films „Mut zum Leben“ sieht, muss automatisch über das eigene Leben nachdenken: Da gibt es vier Menschen in hohem Alter, die ein Grauen, das wir uns wahrscheinlich gar nicht vorstellen können, in Güte, Weisheit und optimistisch-widerständiges Engagement verwandeln.

Selbst mit weit über 80 setzen sie sich ein: Die Berlinerin Esther Bejarano rappt mit der Kölner Hip-Hop-Band Microphone Mafia Widerstandstexte gegen Ausländerhass. Der Maler Yehuda Bacon verarbeitet schon seit seiner Kindheit die KZ-Gräuel in Bildern – und strahlt dabei eine unglaubliche Güte und Weisheit aus: „Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt“, meint er.

Die Ungarin Éva Pusztai- Fahidi setzt sich als Holocaust-Aktivistin gegen die Ausgrenzung der Sinti und Roma in Ungarn ein. Und Greta Klingsberg, die als 13-Jährige in Theresienstadt in der Kinderoper Brundibár die Hauptrolle der Aninka sang, ist heute Botschafterin für die legendäre Widerstandsoper.

Wir sprachen mit der Filmemacherin und Journalistin Christa Spannbauer und wollten von ihr mehr über das Thema Mut wissen – und was wir von diesen herausragenden Menschen lernen können.

Wie kam es zu dem Film „Mut zum Leben“?

Christa Spannbauer: Als ich 2011 meinen Kollegen, den Filmemacher Thomas Gonschior traf, stellten wir fest, dass wir beide gerade an einer sehr ähnlichen Stelle standen. Wir wollten beide den Holocaust noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten und wissen: Wie war es Menschen möglich, etwas so Schreckliches zu überleben und später den Mut und die Kraft aufzubringen, sich immer wieder den Erinnerungen daran auszusetzen? Wieso sind es gerade viele der Holocaust-Überlebenden, die eine solche Lebensweisheit entwickeln und zu solch einer Güte und auch Versöhnungsbereitschaft finden konnten? Das sind für uns Fragen nach dem Kern des Menschseins schlechthin.

Und wie fanden diese Menschen den Mut, das Gute zu sehen?

Christa Spannbauer: Es gibt darauf nicht nur eine Antwort. Im Gegenteil: Jeder Mensch findet darauf seine Antworten. Was in unserem Film auffällt, ist, dass alle vier die Kunst und den kreativen Ausdruck gewählt haben, um ihre Erfahrungen zu bewältigen. Alle vier stellen sich also intensiv ihren schrecklichen Erlebnissen. Aber nicht nur das – sie gehen auch der Frage nach, wie sie dem Erfahrenen einen Sinn entringen können, wie sie das Beste daraus machen können, so dass die nächsten Generationen etwas daraus lernen können.

Das sind Fragen, die uns alle angehen: Wie können wir Krisen nicht nur bewältigen, sondern sie als Chance zur eigenen Entwicklung nutzen? Holocaust-Überlebende waren und sind in dieser Hinsicht wichtige Vorbilder..

Welche Rolle spielt dabei der Mut?

Christa Spannbauer: Der Mut ist in allen vier Biografien zu finden: Zunächst der Mut, Auschwitz, den Todesmarsch und andere Konzentrationslager zu überleben. Es braucht Mut, sich an solchen Orten des Schreckens für das Leben zu entscheiden. Deshalb haben wir den Film „Mut zum Leben“ genannt.

Und nach Auschwitz den Mut zu haben, das Vertrauen in die Menschen und das Leben zu bewahren. Das ist eine unglaubliche Lebensleistung. Das kann sich keiner von uns in seinen schlimmsten Alpträumen uns vorstellen, was Esther, Éva, Yehuda und Greta erlebt und gesehen haben – und dennoch haben sich alle vier den Glauben an das Gute im Menschen erhalten.

Was können wir davon für unsere eigene Lebensgestaltung lernen?

Christa Spannbauer: Von ihnen können wir lernen, wie wichtig es ist, Zivilcourage bereits ganz früh zu zeigen und Widerstandskraft immer wieder zu mobilisieren. Und: Niemals gleichgültig zu sein! Gleichgültigkeit ist das Schlimmste, weil sie uns am Handeln hindert. Wenn wir uns anschauen, wie aktiv diese vier Überlebenden in ihrem hohen Alter sind, dann können wir von ihnen viel lernen.

Ester Bejarano engagiert sich als Vorsitzende des Auschwitz-Komitees überall dort, wo die Werte der Menschlichkeit bedroht sind und setzt sich für Flüchtlinge ein. Éva Pusztai- Fahidi, die in Ungarn selbst schon wieder dem grassierenden Antisemitismus der rechtspopulistischen Regierung ausgesetzt ist, stellt sich gegen die Ausgrenzung der Sinti und Roma.

Alle vier leben sehr bewusst im Hier und Jetzt und schauen ganz wachsam: Was geschieht heute? Und wo muss ich mich engagieren? Das sollte für uns, die wir ja ungleich jünger und kräftiger sind, eine Mahnung und ein ganz großes Vorbild sein, zu handeln und Zivilcourage zu zeigen. Es gibt derzeit wirklich genug Baustellen, wo wir uns engagieren können. Da sind solche Vorbilder ganz wichtig für uns.

Was hält uns denn davon ab, uns zu engagieren? Was meinen Sie?

Christa Spannbauer: Viele Menschen engagieren sich ja. Doch oft wissen wir einfach nicht mehr, wo wir überhaupt noch anfangen sollen. Der Schrecken aus der ganzen Welt droht uns manchmal zu überrollen.
Dabei es wichtig, sich zu fragen: Was kann ich jetzt in der aktuellen Situation, in diesem Moment, tun? Wir können sicherlich nicht umgehend die Welt verändern, aber jeder Einzelne kann jetzt etwas dafür tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Hat sich Ihr Leben durch den Film verändert?

Christa Spannbauer: Ja, sehr. Zum einen hatte ich viele Jahre ein diffuses Schuld- und Schamgefühl: Wie konnte die Generation unserer Eltern und Großeltern so Schreckliches tun und zulassen? Doch Schamgefühle lähmen! Durch die Begegnung mit den vier Protagonisten und ihrer Versöhnungsbereitschaft hat sich mein Schuldgefühl in ein klares Verantwortungsgefühl verwandelt – und sich verantwortlich fühlen, hilft uns dabei, nach vorne zu blicken und aktiv zu werden. Darin haben mich die vier mit ihrer Offenheit und Freundschaft sehr unterstützt.

Was ist für Sie mutig?

Christa Spannbauer: Mutig ist, das zu tun, was der jeweilige Augenblick von uns erfordert und nicht wegzugucken, sich wegzuducken, sich nicht abzuwenden. Wir denken bei Mut oft an die großen Leistungen. Doch Mut ist etwas, was unser Alltag ständig von uns fordert. Mischen wir uns ein, wenn ein Kollege gemobbt wird, eine Frau belästigt, ein Kind geschlagen, ein Hund getreten wird?

Diesen Alltagsmut müssen wir einüben, damit wir bereit sind, wenn eine der wirklich großen Herausforderungen auf uns zukommt. Das kann schneller geschehen, als wir vielleicht denken. Dass vor unseren Augen in der U-Bahn jemand angegriffen wird, einfach nur deshalb, weil er Moslem ist oder ein Obdachloser. Sind wir dann bereit, uns einzumischen?

Wie ermutigt man sich und andere?

Christa Spannbauer: Ich halte Vorbilder für unabdingbar. An Vorbildern kann man wachsen, mit Vorbildern ist es viel einfacher, Mut zu üben und zu beweisen. Und ich halte Mut für eine Entscheidung, die wir in jedem Augenblick neu treffen müssen und können.

 

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