Die Pyramide gilt nicht nur als ein mystisches Symbol das uns fasziniert, das unsere Fantasien anregt und jährlich Tausende von Touristen nach Ägypten zieht. Sie zeigt uns auch auf eindrückliche Weise wie seit Urzeiten politische, gesellschaftliche und religiöse Systeme funktionieren – nach oben streben und nach unten treten – und könnte damit zum Symbol schlechthin für den größten Fehler werden, den die Menschheit je begangen hat… Denn: in einem System, dass sich in rasender Geschwindigkeit verknappt, sorgen Konkurrenz und gegenseitiges Misstrauen dafür, dass man zu keiner Zeit geschlossen gegen die eigentlichen Probleme vorgeht. Dabei könnte die Fähigkeit, gerade in der Krise zu kooperieren zu einem Rettungsanker für die gesamte Gesellschaft werden.

Wenn wir uns mit einem hierarchischen System vertraut machen wollen, dann tun wir das zumeist mit einer Darstellung der Beziehungen ihrer Beteiligten. Da gibt es welche die das System tragen und stützen. Sie werden als Grundlage des Systems heraus gehoben, ohne die es nicht geht. Sie bilden die unterste Treppenstufe der solchen Pyramide und machen somit auch die Größte Anzahl an Individuen aus. In einem gesellschaftlichen System zum Beispiel wird so häufig die arbeitende Bevölkerung dargestellt – sind es diejenigen Menschen die durch ihr Vertrauen dem gesamten System Halt verschaffen. Die Stützen der Gesellschaft sozusagen. Dann, auf den nächsten Stufe kommen diejenigen, die diese Gruppe lenken, beaufsichtigen, die Entscheidungen treffen, jedoch selbst ihre Anweisungen jeweils von den nächst höheren Stufen erhalten; bis ganz nach oben, dort wo nur eine Handvoll Menschen das gesamte System steuert. Das können im Unternehmen die Vorstandvorsitzenden sein, in einer religiösen Gruppe die Führer der Schutzbefohlenen oder aber Politiker, bzw. deren Leitfiguren, welche an den eigentlichen – wirtschaftlichen – Hebeln und damit über ihnen sitzen.

Ein jeder in der Pyramide hat seine Aufgaben und hat seinen Wirkungskreis, seine Verantwortung, Pflichten und Freiheiten. Dem Wesen der Pyramide nach liegt der größte Anteil an Entscheidungsfreiheit naturgemäß jedoch in der Spitze, obwohl hier am wenigsten Verantwortung getragen wird. Denn ganz oben gibt es niemanden mehr, den man auf seinen Schultern zu hieven und für dessen Entscheidungen man gerade zu stehen hätte. Vielleicht wirksam, jedoch auf Dauer von verheerender Konsequenz. Denn was geschieht?

Konkurrenz oder Kooperation?

Wenn wir uns die Welt heute anschauen, dann wird schnell deutlich, wo die Gefahren dieses Pyramidensystems liegen. Denn heute befinden wir uns in einer Situation in der die Positionen in den Unternehmen und Organisationen schrumpfen – es gibt schlichtweg nicht mehr genügend Arbeit für alle… In der Konsequenz bedeutet dies, dass wir die Mittel konkurrierenden Verhaltens dazu missbrauchen müssen, um uns in der Pyramide, in der Hierarchie unseres Unternehmens unentbehrlich zu machen und möglichst Stufe für Stufe nach oben zu erklimmen. Je weniger Spielraum uns zur Verfügung steht, desto brutaler fordert er von uns ein aggressives Verhalten gegenüber unseren Mitbewerbern. Wir müssen schlichtweg zu Überlebenskämpfern in eigener Sache werden und alle „Konkurrenten“ überwinden. Das System fordert also in uns genau das heraus, was uns selbst (vermeintlich) am meisten nützt, den Egoismus. Und das alles unter dem verharmlosenden Begriff „Karriere“.

Es drängt uns dazu, einen Kampf zu führen, der sich gegen unsere Mitbewerber richtet. Und es drängt uns dazu, bei diesem Kampf auch Mittel einzusetzen die wir in unserem Alltag vielleicht ablehnen oder sogar als unmoralisch betrachten. Trotzdem machen wir mit, notgedrungen – und erhalten so die Pyramide als Ganzes. Wir machen den Gedanken der Konkurrenz zu einem Lebensprinzip und werden im Gegenzug für unser (unmoralisches) Handeln belohnt… Wir erhalten Anerkennung, auch wenn diese zweifelhafter Natur ist. Wir bekommen mehr Geld, mehr Einfluss und… innerhalb der Pyramide eine „bessere“ Position. Je mehr wir das Pyramidenspiel bereit sind mitzumachen, desto mehr verstricken wir uns jedoch auch in die Mechanismen dieses allgegenwärtigen Konkurrenzdenkens. Mit fatalen Folgen für die Gesellschaft, deren Teil wir doch eigentlich sind.

Während wir vielleicht im tiefsten Innern spüren, dass wir der Gesellschaft einen Bärendienst erweisen, können wir doch nicht aus unserer Haut. Denn: Was geschieht, wenn wir das Spiel nicht mitspielen? Wenn wir nicht bereit sind, uns konkurrierend zu verhalten? Wir werden schlichtweg durch jemand anderen ersetzt, der diese Skrupel nicht besitzt. Der sich hinreichend von den Verlockungen, der Macht, dem Besitz, dem Geld hat einlullen lassen. Ganz gleich, ob unsere „Belohnung“ dann letztlich lediglich nur dazu dient, unseren Eigenwert durch Statussymbole wieder aufzumöbeln. Wir haben gelernt, dass wir Menschen mit Macht achten und Menschen mit Geld bewundern. Mehr noch, uns wurde ein Denken eingeimpft, dass uns diese Menschen nachahmen lässt, eine Weltanschauung die sie zu unseren Helden macht – egal, ob sie auf unlauteren Wegen und unverhältnismäßig zu Macht und Besitz gekommen sind. Kooperation hat in dieser Denkschule keinen Platz, denn das ist nicht Teil der Pyramiden-Philosophie.

Die Gesellschaft zerbricht und wir verlieren das Menschliche in uns

Wenn wir uns eine Welt vorstellen in der nur diejenigen erfolgreich sind, die sich mit aller Macht, mit Ellenbogen und einem wachsenden Grad Verschlagenheit durchzusetzen vermögen, dann liegen die Folgen offensichtlich vor uns. Denn das Ergebnis bedeutet ja, dass immer diejenigen die hierbei skrupelloser vorgehen als ihre Widersacher ihren Weg, ihre „Karriere“ machen. Sie sind es, die irgendwann in der Pyramide oben stehen und die Macht erhalten, den Rest der Menschen unter sich zu lenken. Dies führt dazu, dass alle (!) Spitzen in den Pyramiden dazu verdammt sind, ein großes Ausmaß an Amoralität auf sich zu vereinen. Kurz gesagt, diejenigen die sich am fiesesten verhalten steigen am weitesten auf. Sie sind es die zu unseren Herrschern werden. Sie sind es die in den Wirtschaftskonzernen, in der Finanzwelt, in der Politik, aber auch in Unternehmen, selbst in religiösen Organisationen, also einfach überall das Sagen haben. Der Rest muss folgen – oder wird ganz einfach um seine Privilegien und damit um die Möglichkeit des Widerspruchs gebracht, so gering sie auch sein mögen.

Unser Pyramidenspiel bietet keine Auswege. Selbst wenn es ehrbare Individuen schaffen bis zu einem gewissen Grad aufzusteigen, so werden sie ab einer gewissen Treppenstufe der Pyramide korrumpiert oder ganz einfach entfernt – durch Skandale, durch andere Konkurrenten oder Schlimmeres…

Während heute die Gesellschaft dringend umdenken müsste; während sie zurück zu Kooperation und damit zur Menschlichkeit zurückfinden müsste; während wir heute die Chance haben die Gesellschaft dahingehend neu zu gestalten, haben längst die alten Strukturen um sich gegriffen: Wir vertrauen den Menschen an der Spitze der Pyramide. Wir fügen uns in das von ihnen organisierte Schicksal. Wir akzeptieren den Erhalt und die Neuinitialisierung des alten Konkurrenzsystems und machen dabei so mit, als wäre nie etwas geschehen. Ein Zeichen unserer tiefen Verunsicherung und Ängste, wie auch der Beweis unserer „Dummheit“ – oder sollte man es sogar Todessehnsucht nennen? Wissen wir denn überhaupt, welche Entscheidungen „oben“ getroffen werden; wie unsere Zukunft aussehen wird; was die Architekten der Weltgesellschaft planen? Ob die Führung durch korrumpierte Führer womöglich in einem gesellschaftlichen Himmelfahrtskommando enden wird? Nein! Und trotzdem sind wir dabei. Hauptsache man verspricht uns Sicherheit für Leistung und einen Platz im himmlischen Garten der Konsum- und Wohlstandswelt. Genauso wie es einige Konzerne von uns wollen; wie es uns aber auch von uns ohne Murren mitgetragen und gelebt wird.

Das Ende vom Lied…

…das singen wir selbst. Es gehört nicht viel dazu, sich eine nahe Zukunft auszumalen, in der wir uns vor der Entscheidung nicht mehr drücken können. Wir – das heißt jeder von uns – wird über kurz oder lang dazu gezwungen sein, sich zu bekennen. Will er das System, will er die hierarchische Pyramide weiter stützen? Will er ihr Stützpfeiler bleiben? Oder beginnt er sein eigenes Handeln und damit auch dessen Folgen zu hinterfragen? Wir haben es selbst in der Hand. Vielmehr: unser eigenes, sich verknappende System wird uns dazu zwingen. Und das Ganze wird sich nicht über mehrere Jahrzehnten strecken, sondern innerhalb weniger Monate und Jahre abspielen. Also schneller als gewünscht und vielleicht erwartet. Doch es wäre naiv sich zu sagen, dass „die da oben“ alles in der Hand halten. Denn ihr sonniger Platz in der Spitze der Pyramide gerät ins Wackeln. Wir mögen zwar glauben, dass wir es hier mit einem Naturgesetz menschlichen Daseins zu tun haben, dass es ohne die Pyramide nicht geht, dass wir nichts ändern können und alles in Chaos und Anarchie enden wird. Doch dies ist nun mal genau das was wir denken sollen. Gefragt sind unsere niedersten Instinkte. Nur so kann das System überleben. Gefragt sind Gier und unser eigennütziges Verhalten, nicht jedoch unsere Unmündigkeit, unsere Selbstbestimmtheit und die Fähigkeit, sich kritisch mit den Themen die uns bewegen auseinander zu setzen. Wir sollen lediglich emotional entscheiden, und zwar aufgrund genau der Gefühle die andere in uns hervorrufen, die sie in uns „inszenieren“.

Dabei wäre alles viel einfacher als eigentlich gedacht. Denn jede Pyramide ist nur so stabil wie der Grund auf dem sie fußt – und der Boden das sind wir; wir Menschen; die Bevölkerung die alle Konsequenzen leise murrend mit trägt, da sie glaubt dass es anders nicht ginge. Wenn jedoch die unterste Pyramidenstufe – und vielleicht noch ein paar darüber – den gesamten Komplex nicht mehr mit tragen, ist es vorbei mit der selbstherrlichen Allmacht in der Pyramidenspitze. Denn diese ist nichts wert, ohne ihre „Lakaien“. Dabei helfen kann ein simples Wort: „Nein!“

Immer dann, wenn wir wieder einmal dazu aufgefordert sind, uns unmoralisch zu verhalten, dass unmoralische Verhalten eines Vorgesetzten zu unterstützen oder vielleicht zu decken. Niemand kann uns dazu zwingen zu schlechten Menschen zu werden. Auch wenn wir glauben, dass wir, dass unsere Familie, ansonsten nicht überlebensfähig wären. Ein Irrtum, den es aufzulösen gilt – je schneller, desto besser. So wie wir über die Jahrtausende gelernt haben in Gruppen zu kooperieren, Stämme zu bilden, Familien zusammen zu halten und nach Möglichkeit in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben, so haben wir seit einigen Jahrzehnten, also innerhalb kürzester diesen wichtigenFaktorgesellschaftlichen Überlebens nicht nur infrage gestellt, sondernnach und nach gänzlich über Bord. Nicht dass es Konkurrenz nicht schon vorher gab… Doch nie war unser Handeln als Weltbevölkerung von solch gravierender Konsequenz. Die Folgen egoistischen Verhaltens übersteigen in ihren Möglichkeiten alles bisher Dagewesene.

Es lässt sich auch ganz einfach herunter brechen: Wenn wir nicht zu einem Status kooperierenden Miteinanders zurück finden, sondern bis in die letzte Konsequenz unseren Konkurrenzphilosophien und damit dem Prinzip der hierarchischen Pyramide folgen, dann wird am Ende nichts nach bleiben. Wir können sehen, wohin uns der karriere- und Konkurrenzwahn gebracht haben, denn die Folgen sehen wir ganz deutlich. Doch noch ist es nicht vorbei. Auch wenn wir uns das gern einreden wollen. In der nächsten Phase, in welcher sich alle Krisen zu einer einzigen großen Krise in allen Bereichen verbinden und wir die Ernte unseres egoistischen Verhaltens einfahren, werden wir uns nicht verstecken können. Wir haben – einer mehr, einer weniger – daran mitgewirkt. Doch die Welt steht am Scheideweg und ganz gleich was wir bisher getan haben, nun zeigt sich was wir aus ihr machen.


Bildquelle:

Stephanie Hofschlaeger, Pixelio.de