Ohne Geld um die Welt reisen? Dass das geht, hat der Berliner Raphael Fellmer gezeigt. Er findet, dass es wichtig ist zu zeigen, dass Dinge möglich sind, die man vielleicht für unmöglich hält. Denn wir anders sollten wir eine bessere Welt erreichen? Er war in Hamburg und wir waren dabei…
Raphael Fellmer zu Besuch in Hamburg
Ein bisschen eitel muss man ja schon sein, um es als Für-eine-bessere-Welt-Aktivist in die Medien zu schaffen, denke ich so bei mir, wie ich den schlacksigen – fast möchte ich sagen – Jüngling vor dem kleinen Publikum im Kulturhaus Eppendorf reden und gestikulieren sehe. Auf dem Weg zu Fernsehaufnahmen mit Markus Lanz hat der Geldstreiker – wie er sich nennt – eine Zwischenetappe in dem kleinen Saal eingelegt.
Christian Fellmer ist nicht nur aufgrund eines Buches bekannt, in dem er seine Reise zu einem Leben ohne Geld beschreibt – und das es übrigens kostenlos gibt unter www.gluecklich-ohne-geld.de. Allerdings verbunden mit der Bitte, das Buch nicht im Bücherregal versauern zu lassen, sondern nach dem Lesen weiter zu geben. Er ist auch höchst aktiv, wenn es um das Retten von Lebensmitteln, das Überschreiten von Grenzen und das Infragestellen vermeintlich gegebener Zustände angeht.
Essen ohne Geld
Es ist Dienstag Mittag und so ist es wohl nicht verwunderlich, dass die Zuhörerschaft vor allem aus Studierenden, Freiberuflern und Arbeitslosen besteht. Sie alle beschäftigen sich ausgiebig mit dem Thema „Lebensmittel retten“ und „Share Economy“ – noch bevor Raphael Fellmer eintrifft (sein Zug hat Verspätung) entspinnt sich eine rege Diskussion um die Möglichkeiten der Lebensmittelrettung – also: Wie kann man die Lebensmittel, die von Supermärkten üblicherweise weg geworfen werden, von diesen erhalten und an Bedürftige/Interessierte verteilen?
Aber zurück zu Raphael Fellmer. Auch ihn umtreibt die Frage der Lebensmittelrettung. Deshalb geht er auch nur kurz auf seine geldfreie Reise nach Mexiko (und zurück) ein, sondern berichtet lieber ausführlich über die beiden Online-Plattformen, an denen er sich aktiv beteiligt: foodsharing.de (gedacht für Privatpersonen, die Lebensmittel lieber teilen, anstatt wegwerfen möchten) und lebensmittelretten.de (gedacht für Menschen, die Supermärkte und Co überzeugen wollen, ihre „Reste“ über die Plattform zu teilen, anstatt sie zu „entsorgen“).
Auf dem Weg nach Mexiko – ohne Geld.
Konsumwahn, Gesundheit & Jutebeutel
Raphael Fellmer redet aber nicht nur über die Verschwendung von Lebensmitteln. Ihn umtreiben eigentlich alle Bereiche, in denen sich „von unten“ Kritik regt. Und so spricht er auch lieber über Grundlegendes – anstatt auf die banalen Fragen in Sachen „Leben ohne Geld“ einzugehen (wo kommt die Zahnbürste her? Und wie „finanziert“ man seine Miete? etc.). Er spricht über den Konsumwahnsinn in seiner ganzen Breite – und der damit verbundene, viel zu große Fußabdruck, den wir Europäer – und hier insbesondere wir Deutschen – haben.
Er stellt das Gesundheitswesen infrage, das Kranke aus Gründen der Profitmaximierung produziert (ausgeholt auf die Frage, wie er ohne Geld die Gesundheitsversorgung seiner kleinen Tochter garantiert). Und er streift auch die Schwierigkeit, „alles“ „richtig“ zu machen – denn nicht eindeutig ist der Jutebeutel besser als die Plastiktüte. Und ein Veggy-Day pro Woche sei auch schon gut – es müsse ja nicht jeder vegan leben, wie er.
Was hat das mit Geldfreiheit zu tun?
Was das alles mit Geld – oder besser gesagt dem Bestreiken von Geld – zu tun hat? Auf die Frage, warum das Thema „Geld“ eigentlich so eine Nebenrolle in seinem Vortrag spielt (immerhin gehört das mit zu einem der wichtigsten Tabuthemen unserer Gesellschaft), gibt Raphael Fellmer gerne zu, dass er sein Buch lieber mit „Bewusst sein“ übertitelt hätte – und nicht mit „Glücklich ohne Geld“. Doch das Geldthema verkaufe sich halt besser.
Nichts desto trotz sieht auch er im Geld eine Basis für – ich will nicht sagen alle Übel, aber doch einiger definitiv unguter Entwicklungen. Unser Geldsystem trägt aus seiner Sicht wohl mit zu unserer Fixierung auf ein ganz bestimmtes Lebensmodel bei. „Mir geht es aber auch darum zu zeigen, was alles möglich ist und dabei eine Art Vorlage zu liefern, die andere kopieren können“, meint er.
Geld-Veganismus und Lebensmittelretter
Das leuchtet mir sofort ein: Man einer kann sich nicht vorstellen, dass es möglich ist ohne Massentierhaltung und Tierversuche (bequem) leben zu können. Und die hipper und zahlreicher werdenden Veganer zeigen: Auch das Shoppen in einem veganen Supermarkt kann Spaß bringen. Und auch das Menü in einem veganen Restaurant ist eine Gaumenfreude (wie ich neulich in Berlin erfahren durfte).
Ebenso liefern Raphael Fellmer und andere Geldstreiker eine Blaupause für ein glückliches Leben ohne Geld – und das ist für die meisten mit Sicherheit noch viel unvorstellbarer als ein Leben ohne tierische Produkte… Das leuchtet mir sofort ein und so bin ich neugierig: Gibt es denn eine Bewegung der Geldlos-Glücklichen?
Nicht ganz oder vielleicht auch: Noch nicht. Mit etwa 10 bis 15 ebenfalls Geldlosen ist Raphael Fellmer selbst in Kontakt und regelmäßigem Austausch. Möglicherweise mit steigender Tendenz. Vielleicht wird es ja in zehn oder zwanzig Jahren einen Trend geben, bei dem Leben ohne Geld so hip und angesagt wird, wie sich das heutzutage in Bezug auf einen veganen Lebensstil abzeichnet.
Glücklich, weil geldfrei
Keine schlechte Vision, finde ich. Denn wer Raphael Fellmers Buch liest, der erkennt, was die Qualität eines geldfreien Lebens ausmacht: Um ohne Geld an die Dinge zu kommen, die man braucht, braucht man zwangsläufig ein gutes Netzwerk aus Freunden, Mitstreitern und Bekannten. Mit anderen Worten: Man braucht viel, viel zwischenmenschliche Beziehungen. Und die machen bekanntlich glücklich…
Dazu kommt, dass man sich anscheinend viel mehr Gedanken darüber macht, was man eigentlich machen möchte – frei von dem Druck, Geld verdienen zu „müssen“. „Oft sind wir ja nur ein Abbild der Umwelt, aber nicht wir selbst“, so Fellmer. Wenn es um’s Geld oder Geld verdienen geht, gilt dies sicherlich so sehr wie sonst kaum.
Die Grenzen setzen wir uns selbst
Und so möchte man Raphael Fellmer fast widersprechen, als er am Ende seines Vortrags meint: „Ich bin glücklich, dass ich mich in dieser Gesellschaft frei entfalten kann, obwohl ich kein Geld habe“. Denn eigentlich könnte man vielleicht fast schon sagen, dass er sich glücklich und frei entfalten kann, weil er kein Geld hat. Mein Fazit, als ich gehe: Toll, dass es so Menschen gibt, die zeigen, was eigentlich alles möglich ist – und dass wir uns vielfach selbst unsere Grenzen setzen!
Alles schön und gut, nur, wo wäre er denn, wenn nicht andere Geld investiert hätten – um ein Haus zu bauen (in dem er wohnen kann) – eine Grundstück zu erwerben (in dem er Arbeitsdienste verrichtet) – ein System aufzubauen (mit dem eine gesundheitliche Grundversorgung, auch seiner Kinder, möglich ist – auch ein Mediziner muss von irgend etwas leben), ein Boot/Bus/Fahrrad/was auch immer….. zu bauen (mit dem er in Urlaub/ferne Länder/zu Vorträgen fährt), etc., etc. etc. etc…………………………………………….
Liebe Christina,
das stimmt und das bestreitet ja auch keiner: unser gesamtes Zusammenleben, unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft basiert auf dem Austausch von Geld. Keiner würde das bestreiten. Aber vielleicht wäre es auch anders möglich? Z.B. kann man beobachten, dass immer mehr „Dienstleistungen“ und „Produkte“ in den Geldbereich gebracht werden: Früher hat man selbst auf seine Kinder aufgepasst, heute werden sie von bezahlten Kindergärtnern betreut. Früher hat man alte Menschen zu Hause gepflegt, heute werden sie von bezahlten Pflegekräften versorgt. Selbst der Schutz unserer Natur wird zu etwas, das bezahlt wird. Ich will das an dieser Stelle gar nicht bewerten – ob das gut oder schlecht ist, soll hier gar nicht die Frage sein. Ich finde es interessant die Frage zu stellen, ob es nicht auch denkbar wäre, immer weniger „Dienstleistungen“ und „Produkte“ im Geldbereich zu lassen, sondern mehr und mehr davon rauszunehmen? Und wenn das geht: Was würde das mit uns als Mensch und mit uns als Gemeinschaft machen? Ich finde, das sind total spannende Fragen. Und – so wie ich das zumindest verstanden habe – ist Raphael eben einfach jemand, der damit experimentiert. Und wie ich finde schon auf mutige und inspirierende Weise. Er behauptet ja keineswegs, dass er in einem Haus lebt, das ohne Geld gebaut wurde. Oder dass er Lebensmittel isst, die unter Austausch von Geld hergestellt wurden…
Toller Beitrag. Ich versuche auch gerade mein gesamtes Konsumverhalten auf dem Prüfstand zu stellen (http://roadmap.levari.de/selbstexperiment-bewusster-leben-minimalistischer-leben-2/)
Lieber Christian,
ich habe Raphael gefragt und es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die schon ziemlich lange ohne Geld leben. Laut seiner Auskunft:
Heidemarie Schwermer seit 16 Jahren: http://www.heidemarieschwermer.com/
Suelo (USA) seit 12 Jahren: https://sites.google.com/site/livingwithoutmoney/
ÖffÖff und Rasputin seit 20 Jahren: http://dieschenker.wordpress.com/
Weitere Leute findet man unter http://de.forwardtherevolution.net/ (links unten in der Sidebar).
lg, Ilona
Wirklich bemerkenswert, dieser Fellmer und seine Mitstreiter! Sie wagen es – zumindest zeitweilig – aus dem Abhängigkeitssystem, was das Geld ja letztlich ist, auszusteigen. Mich würde interessieren, wie das langfristig möglich wäre. – Auf der anderen Seite: Das Vertrauen in Geld funktioniert, weil mit seiner Hilfe mittelbar menschliche Beziehungen simuliert und simplifiziert werden können, und man seiner habhaft sein kann, ja: es sogar sich vermehren lassen kann! Geld ist ein universelles Äquivalent für nahezu alle Begehrlichkeiten, Wünsche, die von Angesicht zu Angesicht zunächst kommuniziert und dann ausgehandelt werden müssten. Geld hingegen ist der Ausdruck potentiell mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllbarer Möglichkeiten, es macht die Begehrlichkeiten erreichbarer, auf mittelbar mechanische Weise. Ganz zu schweigen von der Funktion des Geldes, Mitmenschen Schulden aufzubürden… Dieses Buch von Fellmer u.a. werde ich mir auf jeden Fall zu Gemüte führen.