Abgesehen davon, dass sich Daniel Domscheit-Berg – ehemals engagierter WikiLeaks-Mitarbeiter – mit Julian Assange zerstritten hat, findet er, dass sich das Prinzip der Whistleblowing-Plattform noch deutlich verbessern ließe.

Und so arbeitet er schon seit einigen Monaten zusammen mit etwa 12 anderen Engagierten an einem neuen System. Der Name: OpenLeaks. Das Prinzip: Die Gruppe um Domscheit-Berg will nicht mehr selbst geleakte Dokumente veröffentlichen, sondern sich darauf beschränken, die Anonymität der Informanten zu schützen. Dafür will sie eine Technologie bereitstellen, die die Partner von OpenLeaks in ihre Website integrieren können. Jeder Informant kann dann selbst entscheiden, wem er seine Infos geben möchte. Und jeder OpenLeaks-Partner muss ebenfalls selbst entscheiden, was er in welcher Form veröffentlicht. Damit umgeht OpenLeaks zumindest die ethischen Hürden, über die WikiLeaks so unsanft stolperte. Wie weit das Projekt ist, wie genau es aussehen wird und welche Bedeutung es für unsere Demokratien haben könnte, darüber sprachen wir mit Daniel Domscheit-Berg bei der vergangenen re:publica in Berlin. Ein Interview.

Sicher bist Du das schon hundert Mal gefragt worden, dennoch: wie sieht die Zusammenarbeit zwischen OpenLeaks und den Partnern aus? Du sprachst gerade in Deinem Vortrag von einem Babyklappen-Prinzip…

Wir stellen unseren Partnern die Technologie zur Verfügung [Anm.d.Verf.: Domscheit-Berg kann noch nicht genau sagen, wer die Partner sind, spricht aber von drei Verlagen und drei NGOs]. Das heißt, eine Quelle die Material hat, kann sich an einen Partner wenden, indem sie einfach dessen Website besucht und dort eine Unterseite findet, über die solche Informationen übertragen werden können. Das landet dann direkt bei dem jeweiligen Partner – quasi am anderen Ende der Babyklappe. Und dieser Partner ist dann in der primären Verantwortung, sich um diese Information zu kümmern. Die Quelle kann einen Zeitrahmen definieren und wenn nach Ablauf dieser Zeitspanne nichts veröffentlicht wurde, dann werden die Informationen innerhalb des Systems an weitere potentielle »Eltern« weiter gegeben. So findet sich jemand, der sich des »Babys« annimmt.

Alle sind ganz gespannt auf OpenLeaks – was ist der Status Quo?

Wir arbeiten. Es passiert viel im Hintergrund – allerdings ist das nicht für die allgemeine Öffentlichkeit sichtbar. Wir wollen OpenLeaks gerne richtig machen, das ist unser wichtigstes Anliegen. Wir wollen nicht aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit irgend etwas vorschnell bereitstellen. Deshalb gehen wir hier Schritt für Schritt voran und ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen zumindest weit genug gelaufen sind, um der Öffentlichkeit ein bisschen was zeigen zu können.


Daniel Domscheit-Berg bei der re:publica11 während seines Vortrags zu OpenLeaks

Was ist die Herausforderung, wegen der das so lange dauert?

OpenLeaks ist mehr, als das Freischalten der Website. Zum Beispiel die rechtliche Seite oder auch der organisatorische Rahmen. Das sind in weiten Bereichen Fälle, die so noch nie jemand durchdacht hat. Wenn man daher mit Anwälten spricht, um von ihnen eine rechtliche Einschätzung zu bekommen, hört man von jedem etwas anderes. Oder man erfährt, dass es in dem oder jenem Bereich noch keine Rechtssicherheit gibt. Dann braucht man einfach Zeit, um zu recherchieren, sich eine Meinung zu bilden und zu überlegen, wie man da strategisch am besten vorgeht.

Das beginnt damit einzuschätzen, was für unsere Partner bedeutet, in Zukunft einen solchen Mechanismus zu haben – und das hört damit auf, dass man darüber nachdenkt, wie man unter Umständen eine gewisse Publikation rechtfertigen kann; gerade wenn man in einen Bereich kommt, wo man vielleicht etwas redigieren müsste, wo die Abschätzung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Schutz der Privatsphäre eine Rolle spielt. Wie kommt man dann zu seinen Entscheidungen und wie kann man diese rechtfertigen? Das sind viele Detailfragen, die wir noch klären müssen und das braucht einfach ein bisschen Zeit.

Wird damit der Whistleblower demnächst die vierte Macht im Staat?

Die Presse muss auch weiterhin die vierte Macht im Staat sein. Aber ein Aspekt der Presse ist das Bereitstellen von Informationen – sowohl für die Öffentlichkeit, als auch für Journalisten. Whistleblowing-Plattformen können hierbei einen Beitrag leisten. Das heißt, sie stärken die Presse als vierte Säule der Gewalt. Sie werden aber nicht selbst eine weitere Säule.

Wir brauchen nicht mehr Säulen – wie brauchen eine vierte Säule, die besser aufgestellt ist, stabiler steht, unabhängig kontrolliert und aber auch selbst überprüfbarer ist. Dazu können Leaking-Plattformen  einen Beitrag leisten: künftig stehen eben nicht nur die Geschichten der Journalisten zur Verfügung, sondern auch die Dokumente, die diesen Geschichten zugrunde liegen. Und damit kann man dann eben auch die Qualität des Journalismus messen.

Viele waren jedoch enttäuscht, wie die klassischen Medien mit den Informationen von WikiLeaks umgingen: Die brisanten Themen verschwanden schnell in der Versenkung, statt dessen beschäftigten sich viele Medien allein mit Julian Assange… Wie kann sich das ändern?

Wir können natürlich nicht die potentielle Medienkrise lösen. Das ist ein Konflikt, der in der Branche begründet liegt. Da muss sich entsprechend auch die Branche überlegen, wo sie in Zukunft hin will: ob sie den investigativen Journalismus wieder besser stellen und ernster nehmen möchte? Aber wir können zumindest helfen, dass günstig Materialien zur Verfügung stehen. Und das auch nicht nur für einen Journalisten und ein Medium, sondern auch für verschiedene Medien auf einer gleichberechtigten Ebene.

Das wird sicherlich zu einer Dynamik führen, die neue Konkurrenz entsteht lässt und so zumindest den Druck erhöht, etwas qualitativ Gutes zu machen – weil sonst die hochwertige Story jemand anderes macht. Außerdem wird das, was einzelne Journalisten schreiben, überprüfbarer. Damit entstehen vielleicht auch Effekte, die für einen Anstieg der Qualität sorgen.

Du hattest das ja vorhin auch in Deinem Vortrag gesagt, dass man irgendwie dafür sorgen muss, dass die Konsequenzen solch geleakter Informationen langfristiger wirken. Hast Du eine Vorstellung davon, wie man dazu kommen könnte?

Ein guter Anfang wäre, wenn wir Journalisten dazu bringen könnten, nicht mehr voneinander abzuschreiben. Damit Geschichten nicht immer einmal quer durch die Medienlandschaft echoen, weil jeder im Grunde nur die dpa-Meldung reproduziert. Indem wir möglichst vielen Journalisten die Originalmaterialien zur Verfügung stellen, ermöglichen wir für jeden eigene Recherchen. Das führt dazu, dass mehr Augen drauf schauen und dass im Endeffekt hoffentlich auch die Qualität der Analyse besser wird.

Wie wird OpenLeaks sichtbar sein?

Wir überlegen noch, wie wir sicherstellen, dass man weiß, dass es sich um unser System handelt. Es wird sicher auf den Partner-Webseiten irgendwo einen entsprechenden Hinweis geben. Und es gibt natürlich noch unsere eigene Webseite, über die man sich über das was wir so machen informieren kann. Aber wir versuchen gar nicht so sehr in der Vordergrund zu gehen. Denn wir möchten gerne, dass sich die Öffentlichkeit mehr auf die veröffentlichten Inhalte konzentriert.

Hat sich durch die Veröffentlichung Deines Buches etwas geändert?

Eigentlich nicht. Die Entscheidung, das Projekt so zu veröffentlichen, wird von den Leute bei OpenLeaks mitgetragen. Und ich bin damit zum Glück in der Position, finanziell ein bisschen flexibel zu sein und einige Anschaffungen in Form von Hardware tätigen können.

Die Finanzierung ist ja wichtig – wie läuft die bei euch?

Wir können im Moment Flattr und die Online-Bezahlungsmethode Bitcoin (www.bitcoin.org) annehmen. Außerdem arbeiten wir in Richtung Paysafecard (www.paysafecard.com) und wollen künftig eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten anbieten. Aber natürlich ist das nur eine Seite der Finanzierung. Wir werden niemals alle operativen Kosten des Projekts so decken können. Deshalb möchten wir unsere Partner stimulieren, die Infrastruktur für OpenLeaks bereitzustellen. Das heißt wir versuchen das Projekt so effizient zu gestalten, dass wir möglichst wenig Geld brauchen, um es zu betreiben, sodass wir nicht mehr damit beschäftigt sind, Funds zu organisieren, als irgend etwas Sinnvolles zu tun.

Wenn alles so läuft, wie Du es Dir idealerweise vorstellst – wie sähe die Welt dann aus?

Das ist aber eine große Frage. Ich hoffe, dass wir als Gesellschaft insgesamt lernen mit Informationen verantwortungsvoller umzugehen. Das betrifft sowohl Privatleute, die sich im Internet aufhalten und so eine schreckliche Paranoia vor der Sammelwut des Staates haben – aber überhaupt nicht kritisch sind gegenüber der Sammelwut von Privatunternehmen. Es geht aber auch um die Medien und ihre Art, wie sie mit Informationen und der Öffentlichkeit umgehen.

Wir alle sind Teil der Informationsgesellschaft und wir müssen als Individuen lernen, dass wir verantwortungsvoll mit Informationen umgehen müssen. Wir müssen lernen, uns für Informationen zu interessieren, uns selbstverantwortlich Wissen zu beschaffen – und die Verantwortung, über  bestimmte Sachverhalte Bescheid zu wissen, nicht an andere abgeben. Ich hoffe, dass wir eine Entwicklung hin zu einer Aufklärung oder einem Erwachen des Individuums und der Selbstverantwortlichkeit sehen. Das ist ein grober Umriss von dem, was ich mir für die Zukunft erhoffe.

Ein schönes Schlusswort – vielen Dank für das Gespräch!

Titelfoto:  Daniel Domscheit-Berg beim 26c3, fotografiert von Andreas Gaufer