Ist Macht ein Problem? Wer an Trump und Co denkt, der sagt nun bestimmt »Ja!«. Oder brauchen wir Macht, um etwas zu verändern? Es kommt darauf an. Wir müssen über Macht reden, um sie zu etwas Positivem zu machen.

Macht ist für viele Menschen ein ambivalentes Thema. Viele, die sich für Umweltschutz und Gerechtigkeit engagieren, wollen am liebsten nichts mit Macht zu tun haben: Sie wollen weder Macht über andere ausüben, noch wollen sie selbst ohnmächtig oder machtlos sein. Dadurch wird Macht oft zum rosa Elefanten im Raum. Er ist schon da. Aber niemand redet über ihn. Auf diese Weise bekommt die Macht aber eine ganz besondere … nun ja … Macht. Und zwar eine ungute Macht.

Denn Macht ist nicht unbedingt etwas Schlimmes. Es kommt ganz darauf an, wie wir Macht definieren und wie wir mit Macht umgehen. Eva Stützel ist Friedens- und Umweltschützerin und hat sich als solche jahrelang in Initiativen und in dem Ökodorf Sieben Linden engagiert (in dem sie lebt). Außerdem berät und begleitet sie seit Jahren Gruppen, die selbst ein Ökodorf gründen wollen. Sie hat oft erlebt, dass in diesen Gruppen Macht ein Tabu-Thema ist und es deshalb erst recht Schwierigkeiten damit gibt. Deshalb rät sie dazu, sich offen und bewusst mit dem Thema »Macht« auseinanderzusetzen und sowohl die negativen, als auch die positiven Seiten zu sehen. Und so hat sie ein Buch mit dem Titel »Macht voll verändern« geschrieben, das ich allen sehr empfehlen kann.

Ist Macht wirklich so schlimm?

Beginnen wir zunächst einmal damit, was Macht überhaupt ist. In anderen Sprachen hat das Wort zum Beispiel eine andere Konnotation. Das englische Wort »power« ist beispielsweise wesentlich positiver besetzt, weil es auch »Kraft« oder »Leistung« bedeuten kann. Das französische »pouvoir« und das spanische »poder« lassen sich auch mit »Kraft« oder »Befugnis« übersetzen. Macht hat also nicht nur damit zu tun, dass ich andere zwingen kann, das zu tun, was ich möchte. Macht bedeutet auch, etwas bestimmtes zu können oder zu dürfen. Gestaltungskraft und Selbstwirksamkeit.

Genau genommen besteht Macht laut Eva Stützel aus mehreren Komponenten. Sie kann etwas zu tun haben mit Gestaltungskraft, aber auch mit beispielsweise Rang, Privilegien oder Status. Entscheidend ist letztlich, ob ein Mensch seine Macht einsetzt, um andere zu unterdrücken, also Macht über jemanden oder etwas auszuüben – oder, ob ein Mensch seine Macht mit jemandem oder etwas einsetzt, also sie zum Wohle aller nutzt.

»Am häufigsten geben Menschen ihre Macht auf, indem sie denken, sie hätten keine.« Alice Walker, US-amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin.

Was für mich persönlich ein richtiger Aha-Moment in dem Buch war: In Konflikten sehen sich sehr oft beide Seiten in der sogenannten »Untermacht«. Das bedeutet, dass sie beide das Gefühl haben, die jeweils andere Seite dominiere sie und habe »Macht über« sie. Dieses Gefühl stammt vermutlich bei vielen aus der Kindheit und hat oft nichts mit der jetzigen Realität zu tun. Aber es ist dennoch schwer, es zu überwinden.

Wie gehen wir mit Macht am besten um?

Dies zeigt, dass Macht ein vielschichtiges, äußerst subjektives Phänomen ist, dass sich aus vielen Perspektiven bewerten lässt. Und so ist es wenig überraschend, dass Eva Stützels Rat lautet: redet darüber! Je mehr Macht ins Unbewusste rutscht, desto leichter ist Machtmissbrauch (auch unbewusster Machtmissbrauch). Je mehr Macht ins Bewusstsein geholt wird, indem man gemeinsam darüber redet, desto klarer ist allen, wer warum welche Macht hat – und wie er oder sie sie einsetzt. Erst wenn das überhaupt klar ist, kann sich die Gemeinschaft oder das Team überlegen, welche positiven und negativen Aspekte das für alle hat. Erst dann ist verständlich, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um Macht sinnvoll einzuschränken – oder auch zu nutzen.

Eva Stützel geht in ihrem Buch noch auf viele Erscheinungsformen und Ursachen von Machtkonflikten ein. Sie gibt aber auch Tipps, wie Gemeinschaften und Teams bewusst mit damit umgehen können. Hier kommt meine Zusammenfassung:

  1. Die Power-Matrix: Die Matrix unterscheidet zwei Dimensionen von Macht. Einmal eine Achse von »autonomer« zu »kollektiver Macht« und einmal eine Achse von »implizierter« hin zu »expliziter Macht«. Gibt es einen Machtkonflikt im Team, empfiehlt Eva Stützel, ihn in dieser Matrix zu verorten. So lasse sich leichter ein Ausweg aus dem Konflikt finden.
  2. Soziokratie: Die Soziokratie ist eine relativ neue Form der Organisationsstruktur, die Werte wie Augenhöhe, Gleichwertigkeit, Transparenz, Verantwortung, Flexibilität und Effizienz unterstützt. Ihr Ziel ist es, bei den Menschen, die sich mit ihrer Hilfe gemeinschaftlich organisieren, eine neue Haltung und Kultur zu fördern. Wenn dich das interessiert, schau mal auf die Website von Soziokratie 3.0. Hier gibt es sogenannte Muster, etwa zur gemeinsamen Entscheidungsfindung oder für die Rollenwahl. Nutze die Muster, die für deinen Anwendungsfall am besten geeignet scheinen. https://sociocracy30.org/
  3. Systemisches Konsensieren: Die Entscheidungsfindung per systemischen Konsensieren kann in heiklen Angelegenheiten eine gute Ergänzung sein, da der soziokratische Konsent nicht immer machtsensibel genug ist. Entwickelt wurde diese Methode von Menschen, die gemeinsam eine freie Schule gründen wollten – und trotz bester Absichten an Konflikten scheiterten. Das Ziel des systemischen Konsensierens lautet: Wie man Konflikte ohne Machtkämpfe löst! Weitere Infos findest du unter https://sk-prinzip.eu/methode/
  4. Gewaltfreie Kommunikation: Ich persönlich würde Teams und Gemeinschaften auch empfehlen, sich gezielt Maßnahmen für die Persönlichkeitsentwicklung aller zu überlegen. Konstruktiv kommunizieren zu können, ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Grundpfeiler. Natürlich ist dabei niemals jemand perfekt. Aber sich auf den Weg zu machen und die Weiterentwicklung dieser Fähigkeit als ein wichtiges Werkzeug für die Zusammenarbeit zu betrachten, finde ich äußerst wichtig. https://www.gfk-info.de/
  5. Dragon Dreaming: Dragon Dreaming liefert Methoden und Modelle, damit Menschen gemeinschaftlich Projekte des öko-sozialen Wandels verwirklichen können. Hierbei gibt es zwar keine Methoden, die sich explizit mit dem Thema »Macht« beschäftigen. Doch viele Elemente – wie etwa das Sprechen im Kreis – unterstützen dabei, »Macht miteinander« auszuüben, anstatt über andere. Infos dazu findest du zum Beispiel auf meiner Website: https://dragon-dreaming-playbook.net/

Fazit: Macht mit!

»Macht mit!« soll an dieser Stelle doppeldeutig zu verstehen sein: Macht mit und redet über Macht! Macht euch bewusst, wie sie funktioniert und wie ihr damit gut und zum Wohle aller umgehen könnt. »Macht mit!« soll hier aber auch der Aufruf sein, unsere Kultur der »Win-Lose«- und »Macht-über«-Strategien zu überwinden. Sie sorgen in unserer Welt bereits für zu viel Leid und Zerstörung. Wir sehen, wie »Macht über« Tiere, Pflanzen und ganze Ökosysteme in einer nie gekannten Brutalität ausgeübt wird. Wir erleben, dass mit den Kriegen die »Macht über« andere Menschen wieder ein Ausmaß annimmt, das wir überwunden geglaubt hatten. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. »Macht über« andere Menschen sehen wir auch am Arbeitsplatz, entlang der globalen Lieferketten, in den Familien (Mann versus Frau versus Kinder) und so weiter. Es ist Zeit, dieses Thema aus der Tabuzone zu holen und konstruktive Lösungen zu suchen.

Deshalb hat das Buch von Eva Stützel keineswegs nur eine Bedeutung für »kleine« Gemeinschaftsprojekte. Es hat globale Bedeutung. Denn was wir in diesen Projekten erproben und lernen können, dass können wir auf andere Projekte, Organisationen, Systeme und Ebenen übertragen. So können wir im Kleinen die Heilung und Regeneration voranbringen, die wir in unserer Welt insgesamt brauchen!


Bibliografische Angaben

Titel: Macht voll verändern. Rang und Privilegien in »hierarchiefreien« Projekten.

Autorin: Eva Stützel

ISBN: 9783911460019

Preis: 22 Euro

Verlag: Eurotopia