Wie kann man anders, besser, gerechter, konsequenter, ökologischer, fairer und bewusster leben?Ein Gespräch mit der OYA-Chefredakteurin Lara Mallien.

Wie kann man weitermachen – trotz all der Krisen, Rückschläge und zähen Prozesse? Welche Möglichkeiten haben wir? Und wie könnten derlei Konzepte nicht nur für einzelne Menschen, sondern für ganze Gemeinschaften, Gesellschaften, Wirtschaften, Staaten und Länder aussehen? Das alles sind Fragen, die immer mehr Menschen immer tiefergehend beschäftigen – und deren Antworten immer öfter mit solch einer Vehemenz Veränderungen fordern, dass auch immer mehr Menschen entsprechende Konsequenzen ziehen. Die Lebensgemeinschaft des vorpommerschen Dörfchen Klein Jasedow hat das zum Beispiel getan: sie hat das zur Hälfte verlassene ex-DDR-Dörfchen wieder bevölkert, aufgebaut und bereichert. Heute gibt es dort nicht nur eine Instrumentenwerkstatt, ein Weiterbildungszentrum sowie eine Multimedia-Agentur, sondern auch eine Redaktion, die seit letztem Jahr das ausgesprochen interessante und engagierte Magazin „Oya“ herausbringt und sich damit genau den oben genannten Fragen stellt. Wir sprachen mit der Chefredakteurin Lara Mallien.


Wie ist die Idee zu der Zeitschrift »Oya« entstanden – und wie habt ihr eure Idee dann schließlich auch noch wahr gemacht?

Als wir 1998 mit ungefähr 12 Leuten in das kleine Dorf Klein Jasedow in Mecklenburg-Vorpommern gezogen sind, mussten wir uns wirtschaftlich erst einmal aufstellen. Viele von uns sind Künstler, in der Regel Musiker, aber davon kann man nicht leben. Dazu waren wir in einer strukturschwachen Region gelandet – das hieß, wir wollten erst einmal selbst Arbeits- und vor allem auch Ausbildungsplätze für junge Leute schaffen.

So kam es, dass wir 1999 zwei Ausbildungsplätze im Bereich Mediendesign angeboten haben und ein Anzeigenblatt namens „Kurskontakte“ von einer Freundin übernahmen. Nach und nach erschienen darin auch Artikel. Schließlich erweiterte sich der redaktionelle Teil auch dadurch, dass wir mit befreundeten Redaktionen 2000 ein Arbeitsseminar gründeten, das sich „Mediengruppe Kulturkreative“ nannte.

Da kamen ganz unterschiedliche Redaktionen zusammen: aus den Bereichen Philosophie, Anthroposophie oder auch aus der ökologischen Bewegung oder aus gesellschaftskritisch-anarchisch angehauchten Ecken. Alle hatten verschiedene Themen, aber alle hatten das gemeinsame Anliegen, unsere Gesellschaft positiv zu verwandeln – und dabei die üblichen Szene-Grenzen zu überwinden und auch mehr Anknüpfungspunkte an den Mainstream zu bekommen.

2006 stellten wir fest: es ist ein Jammer, dass niemand unsere redaktionelle Arbeit so richtig wahrnimmt, wenn sie im Grunde in eine Sammlung von Anzeigen eingepackt ist. In den Jahren 2007 und 2008 entwickelten wir daher zusammen mit anderen Redaktionen ein Konzept für eine große Zeitschrift für kulturkreative Themen. Schließlich hatten wir alles zusammen: einen tragfähigen Businessplan, einen Geschäftsführer und ein Finanzierungsmodell.

Dann kam die Finanzkrise – und mit ihr stürzte unsere gesamte Finanzierung ab. Das war für uns ein Schock. Doch erst durch diese Krise sind wir auf die wirklich naheliegende Idee gekommen, die Abonnenten der „Kurskontakte“ – das waren damals rund 1000 – zu fragen, ob sie mit uns eine Genossenschaft aufbauen wollen. Damit würden wir zwar nur kleinere Schritte machen, aber immerhin anfangen können. Nichts desto trotz war das für uns wie eine Befreiung. Denn uns war klar: Wir müssen nicht rechnen, ob wir den Kapitaldienst bei der Bank bedienen oder der Rendite-Erwartung eines Investors entsprechen können. Wir müssen nur dafür sorgen, dass sich das Ganze tragen kann und für die zukünftigen Genossenschaftsmitglieder etwas Schönes und Sinnvolles entsteht.

Damit waren wir viel näher an dem, was wir uns vorstellen: Gute Projekte entstehen, indem alle gemeinsam zum Gelingen beitragen. Ein Anteil in der Oya-Genossenschaft sollte 200 Euro kosten, damit die Schwelle zum Mitmachen möglichst gering gehalten wird. Die ersten Reaktionen auf unseren Vorschlag an die KursKontakte-Leser, bei der Oya Medien eG mitzumachen, war so ermutigend, dass wir ins kalte Wasser gesprungen sind und im März 2010 die erste Oya erscheinen konnte.

Das Redaktionsteam der KursKontakte hat sich geschlossen dafür entschieden, bei Oya mitzumachen. Das sind über vier Redakteure aus Klein Jasedow sowie noch fünf weitere aus verschiedenen Orten in Deutschland. Zwei von ihnen, Dieter Halbach und Wolfram Nolte, sind Mitbegründer des Ökodörfs Sieben Linden. In Berlin haben wir eine tolle Grafikerin gefunden, Marlena Sang, die für uns das optische Konzept von Oya entwickelt hat.



Wie hat sich das Magazin seit dem entwickelt?

Seit dem hat „Oya“ eine erstaunliche Dynamik bekommen: Die ersten Ausgaben zu den Themen wie »Gemeingüter«, »Aussteiger und Einsteiger« und »Solidarisch wirtschaften«, »Wildnis« oder »Selbermachen« stießen auf große Begeisterung. Heute sind wir bei fast 2.000 Abonnenten und über 180 Genossenschaftsmitgliedern, die 66.000 Euro in den Aufbau des Projekts gesteckt haben. Wir legen 10.000 Exemplare auf, von denen rund 2.000 in den Bahnhofsbuchhandel gehen und 2.000 an die Abonnenten. Den Rest verschicken wir als Probehefte oder bringen sie auf Veranstaltungen oder auf Messen unter, wie zum Beispiel Konferenzen rund um Themen wie Nachhaltigkeit, Frieden oder Gemeinschaft.

Besonders freut uns die gute Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren. Wir konnten Menschen gewinnen, für Oya zu schreiben, mit denen wir uns schon immer einen intensiven Austausch gewünscht haben, zum Beispiel Silke Helfrich, die die Gemeingüter-Diskusson in Deutschland aufgebracht hat (www.commonsblog.de), oder Mathias Greffrath, bekannt aus seinen Sendungen für den Deutschlandfunk. Auch die schon langjährig bestehenden Verbindungen zu Autorinnen und Autoren aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Wandels waren ganz wesentlich, um das Projekt auf die Beine zu stellen. Mit jedem neuen Thema erschließen sich neue Kontakte, und so wächst das Netzwerk kontinuierlich weiter.

Wieso habt ihr euch für monothematische Ausgaben entschieden?

Natürlich laufen wir damit immer Gefahr, dass manche Leserinnen und Leser von einer Ausgabe sehr begeistert sind und von einer anderen weniger. Aber wir wollen die Themen eben tiefer erschließen, und das ist mit nur ein paar wenigen Beiträgen nicht möglich. Wenn man offen an eine Sache herangehen und mehrere Lösungswege zeigen möchte, braucht man Vielfalt. Mit einem Themenheft lässt sich das ganz gut realisieren, da lassen sich viele Perspektiven zeigen, es ist Platz für praktische Beispiele und Porträts – aber auch für nachdenkliche, vertiefende Essays.

Dennoch hat Oya ja eine ganz klare rote Linie. Wie würdest Du diese beschreiben?

Ja, alle Oya-Ausgaben verbindet die Suche nach dem »guten Leben« im Sinn von »right livelihood«. Viele kennen diesen Begriff aus dem Kontext des Alternativen Nobelpreises, des Right Livelihood Awards, aber er lässt sich nicht gut übersetzen. Auf der Suche nach dem guten Leben tauchen Fragen auch, wie: Gibt es Wege, so zu leben und auch zu wirtschaften, dass die anderen Menschen nicht meine Konkurrenten sind, und Natur nicht nur eine für mich verfügbare Ressource oder eine zu bändigende Bedrohung, sondern kann ich verstehen, dass alles Leben um mich herum ganz unmittelbar Nahrung für mich ist – körperlich wie seelisch? Und wie kann ich beitragen, dass Leben sich entfaltet – sowohl mein eigenes als auch das der anderen Mit-Lebewesen?

Wer sich auf solche Fragen einlässt und sie auf den Zustand der jetzigen Gesellschaft spiegelt, merkt schnell, dass da einiges nicht zusammenpasst. Die Menschheit verbraucht die Ressourcen von 1,5 Erden pro Jahr – Tendenz steigend. Das geht nicht mehr lange gut und deshalb sind solche Fragen, die auf ein Miteinander statt auf Ausbeutung zielen, für uns überlebenswichtig. In »Oya« machen wir uns auf die Suche nach Menschen und Projekten, die ein »gutes Leben« zu realisieren versuchen, ob in einem Nachbarschafts-Netzwerk oder Ökodorf, in einem sozialen Unternehmen oder einem regionalen Wirtschaftsnetz, in einer Wildnisschule, in einem interkulturellen Garten oder einem selbstorganisierten Stadtteilprojekt.

Uns interessieren weder bestimmte Szenen oder Ideologien noch Insel-Lösungen. Uns interessieren Orte, die aktiv in die Gesellschaft hineinwirken. Uns interessieren engagierte Menschen in den verschiedensten sozialen Bewegungen – Praktikerinnen und Praktiker ebenso wie Denkerinnen und Denker, die bereit sind, den westlichen Lebensstil radikal zu hinterfragen, und die nicht davon ausgehen, dass schon alles gut wird, wenn man ein bisschen im Bioladen einkauft. Natürlich ist das gut, aber es reicht nicht.

Letztlich geht es um eine Art Radikalität – also nicht im ideologischen Sinne, sondern in dem Sinn, dass man bereit ist, den Status Quo ernsthaft infrage zu stellen und klar zu sehen: so geht es nicht! Und dann aber auch zu fragen: Wie geht es denn statt dessen? Auch die Ratlosigkeit angesichts dieser Frage ist Thema von »Oya«, die Suche nach neuen Metaphern, nach Ethik und Haltungen, die hinter dem »guten Leben« stehen. Um auf neue Gedanken zu kommen, brauchen wir Freiraum im Kopf und Spaß am Experimentieren. Deshalb suchen wir in Oya oft, auf diese Fragen spielerisch Antworten zu finden. Wir wissen natürlich, dass niemand völlig aussteigen kann und dass letztlich alle alternativen Lebensentwürfe Doppelstrategien sind. Aber wir suchen Beispiele von Menschen und Projekten, die an diesem Punkt auf eine positive Weise weitergehen und nicht aufgeben, weil es angeblich kein richtiges Leben im falschen geben kann.

Jochen Schilk (links) und Lara Malien (rechts) in der Redaktion von »Oya«

Steigt denn die Zahl der Menschen, die den Mut für so eine konsequente Lebensweise haben?

Es ist immer sehr schwer, das zu beurteilen, wenn man selbst ständig mit Menschen kommuniziert, denen der gesellschaftliche Wandel am Herzen liegt. Mir scheint, die Sehnsucht nach einem »anderen Leben«, auch die Bereitschaft, Konsequenzen aus seinen kritischen Überlegungen zu ziehen, wächst auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel viele junge Leser zwischen 20 und 35 Jahren. Sie schreiben uns, dass sie von »Oya« neue Impulse bekommen haben: Zum Beispiel sich als Sozialunternehmer selbständig zu machen oder endlich eine leerstehende Scheune im Ort als Nachbarschafts-Café umzufunktionieren.

Auf der anderen Seite höre ich von sehr engagierten Menschen, die heute so zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, dass ihre Kinder praktisch nur ihren Erfolg und ihre Karriere im Blick haben, und dass sie den Eindruck haben, die junge Generation sei hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Ich bin da immer hin und her gerissen zwischen dem Eindruck, dass es tatsächlich eine Bewegung gibt – wie das zum Beispiel auch in dem Buch »Wir sind der Wandel« von Paul Hawken dargestellt wird (http://goo.gl/pPKu1) – und dem Eindruck, dass alles weitergeht wie bisher, weil die Jugendlichen in den Schulen letztlich mehrheitlich auf Karriere und Leistung gepolt werden. Dieses Hin- und Herschwanken zwischen Desillusionierung und Hoffnung spiegelt sich auch in »Oya« wieder.

Warum habt ihr euch für ein Print-Magazin entschieden? Alle reden von iPad und E-Books…

Eine Zeitschrift ist etwas sinnliches, mit einem gedruckten Heft kann man sich viel stärker identifizieren, als mit einer Internetseite. Aber: so gut wie alle Inhalte von »Oya« sind unter einer Copyleft-Lizenz auch auf www.oya-online.de veröffentlicht. Außerdem filmen wir für jede Ausgabe zwei bis drei Gespräche und stellen diese sowohl auf unserer Website als auch über unseren Vimeo Channel zur Verfügung (http://vimeo.com/channels/oya). Außerdem gibt es einen Blog und fast täglich neue Veranstaltungshinweise auf der Oya-Website.

Die verschiedenen sozialen, künstlerischen und wirtschaftlichen Projekte von Klein Jasedow.

Wie sieht euer Arbeitsalltag eigentlich aus? Eure Lebensgemeinschaft hört sich so besinnlich an…

Leider ist das nur ein positives Vorurteil. Wie gesagt, ein Teil der Arbeit an »Oya« findet überall verstreut im Land bei den einzelnen Redakteuren statt, hier in Klein Jasedow koordinieren wir die Redaktion und stellen die Zeitschrift bis zur Druckvorstufe her. »Oya« ist nur eines unter mehreren Medienprojekten. Das Unternehmen, das die Lebensgemeinschaft in Klein Jasedow trägt, ist die Human Touch Medienproduktion, die unter anderem Software-Entwicklung im Bereich datenbankgestützter Internetseiten betreibt (www.humantouch.de). Das ist unser wichtigstes Standbein.

Außerdem gibt es einen Buchverlag (www.drachenverlag.de), eine Werkstatt für Musikinstrumente aus Metall (www.sonasounds.com) und gemeinnützige Projekte im kulturellen Bereich wie die Europäische Akademie der Heilenden Künste e.V. (www.eaha.org), die Weiterbildungs-Studiengänge im Bereich Musiktherapie und Ausdruckstherapie anbietet sowie Kurse für Improvisation oder Fortbildungen in klassischer Musik. Sie betreibt das sogenannte Klanghaus – ein großer, ehemaliger Stall, in dem die Kurse, Konzerte und ein lebendiges Kulturprogramm stattfinden. Außerdem trägt sie ein Mehrgenerationenhaus und ein Seminarschiff, den Traditionssegler Ernestine (www.ernestine-segeln.de). Als Ganzes nennen wir das Projekt »Zukunftswerk Klein Jasedow« (www.zukunftswerk-kleinjasedow.de).

Alle Mitglieder unserer Großfamilie aus vier Generationen sind ganz unterschiedlich in die verschiedenen Projekte eingebunden, wobei wir nicht zwischen wirtschaftlicher, künstlerischer und gemeinnütziger Arbeit unterscheiden. Dass Arbeit und Leben so unmittelbar verbunden sind, ist wunderschön, aber auch sehr anstrengend. Wir tragen ja auch Verantwortung für die Menschen aus der Region, die in unseren Projekten Arbeit gefunden haben. Johannes Heimrath, der Herausgeber von »Oya«, engagiert sich sehr im Bereich Regionalentwicklung und Kommunalpolitik. Andere von uns sind im Anti-Atom-Bündnis NordOst sehr aktiv, und alle sind auch immer wieder viel unterwegs, gerade die Musiker unter uns, die deutschlandweit Kurse und Konzerte geben.

Die Idee von dem idyllischen Ökodorf oder der verträumten Künstler-Kolonie, in der alle fröhlich in den Tag leben und viel Zeit für Gartenarbeit und für Spaziergänge haben, stimmt so also nicht ganz. Für mich ist es schon Luxus, wenn ich vielleicht einmal in der Woche eine Stunde Zeit für den Gemüsegarten habe. Aber ich genieße es jeden Tag, an diesem wunderbaren Ort zu leben, und auch wenn viele Herausforderungen zu bewältigen sind, ist da das Gefühl, ganz viel eigenständig gestalten zu können, und das ist auch eine Art Luxus. Übrigens: Über Klein Jasedow wird man in »Oya« nur selten etwas lesen können. Es ist ja nur eines von vielen Projekten, die zeigen, dass »anders leben« möglich ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

P.S. Und natürlich kann man unter www.oya-online.de ein gratis Probehefte bestellen…