Eigentlich ist es ja nur eine kleine Meldung unter vielen, doch besitzt sie einige Sprengkraft – wenn man sich näher mit ihr auseinandersetzt: „Jugendliche die sich Alkoholwerbung anschauen, trinken auch mehr“… Eigentlich nicht verwunderlich, denn genau das soll Werbung doch erreichen. Sie soll uns auf den Geschmack bringen und Lust auf die angepriesenen Produkte und Dienstleistungen machen. Dass das beim Alkohol nicht aufhört, ist nur logisch. Werbung sagt uns nichts Genaues, geht nicht ins Detail und nennt uns keine Fakten, sondern inszeniert eine Stimmung, ein Gefühl, ein Image, das uns packen und am besten gleich in den Laden um die nächste Ecke treiben soll. Eine milliardenschwere Industrie die versucht, jeden auch nur erdenklichen Winkel gesellschaftlichen Lebens zu besetzen. Mit wachsendem Erfolg!

Hunderte von Werbebotschaften dringen tagtäglich auf uns ein und wollen uns das Gefühl vermitteln, dass wir mit ihren Produkten nun endlich das Glück auf Erden finden können. Dabei schafft sie auch dort Begehrlichkeiten, wo zunächst keine waren. Sie hält die Menschen auf Trab und setzt sie unter Druck. „Ich kaufe, also bin ich!“ ist längst zu einem unausgesprochenen Dauerantrieb geworden, der Milliarden Menschen weltweit im großen Hamsterrad aus Arbeit und Geld ausgeben hält. Und so wurde nicht nur der Finanzmarkt rastlos immer weiter weiter aufgepumpt, bis er nicht mehr anders konnte als zu bersten. Auch die Anzahl an überflüssigen Dingen, an Produkten die kein Mensch mehr braucht, wuchs und wächst immer weiter. Denn Wachstum ist nun mal das Seelenheil der Märkte.

Doch brauchen wir wirklich all dieses Zeug? Oder brauchen die Dinge nicht viel mehr uns, ihre Abnehmer, Käufer und Konsumenten? So wie es uns die Werbung überall und zu jeder Zeit einzugeben wünscht, können wir nicht ohne sie. Wir sollen uns tatsächlich krumm legen, nur um den Konsum anzuheizen – für ein paar Klamotten, die neueste Technik, für Freizeit, Spaß und Vergnügen? Ist es das was uns wirklich glücklich macht? Und sind wir dafür bereit, in Städten zu leben die aussehen, wie ein großes Werbetafelpanorama? Angesichts der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, die durch den allgemeinen unbotmäßige Konsum angestachelt wurde, wäre doch jetzt der beste Moment, dieses ganze „Wohlstandswachstumskonsumkonzept“ noch mal zu überdenken. Denn die fixe Idee, dass man nicht nur stets mehr, sondern auch noch mehr mehr braucht, bringt und hält doch das große Rad erst in Schwung. Was uns wieder zur Werbung zurück führt.

Die Konkurrenz treibt an

Ganz klar: Wenn ein Unternehmen mit seinen Produkten am Markt überleben und sich gegen konkurrierende Anbieter durchsetzen will, dann kommt es ohne Werbung nicht aus. Wie sollte sonst jemand von den prima Angeboten erfahren – oder sie zumindest nicht vergessen? Was ist die Lösung? Werbung!

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Ganze Stadtbilder werden von Werbung dominiert – hier ein Foto vom Time Square…

Man druckt also Plakate oder schaltet TV-Spots, platziert Anzeigen in den Print-Medien und hofft darauf, dass einem die Ware jetzt aus den Händen gerissen wird. Gut und schön… Die Mitbewerber schlafen bekanntlich nicht und tun dasselbe. Sie drucken Plakate und reichen die Medienwelt mit ihren eigenen Werbebotschaften an. Dazu kommen dann vielleicht noch ein paar Konkurrenten aus dem Ausland, die ihre Waren nicht mehr absetzen können und sich deshalb entschieden haben, neue Märkte im Ausland – bei uns – zu erschließen. Und was tun sie? Natürlich, sie machen es genauso: Plakate, TV, Radio, Zeitungen, Internet – das volle Programm eben. Werbung strömt von überall her auf uns ein, kriecht uns in die Poren, will unsere Sinne betören. Und wir sollen ihr folgen, für ein kleines Stück, vom ganz großen Glück. Dafür akzeptieren wir eine Welt, in der Dinge die wir wollen wichtiger werden als das was wir sind.

Doch wenn es „nur“ das wäre… Bei einem Spaziergang durch die Innenstädte findet man an jeder Ecke die Läden der üblichen Verdächtigen, internationaler Ketten, mit ihren Firmenschildern, Aufstellern, Flyern und was man sonst noch auffährt. Ganze Stadtbilder verlieren langsam an Individualität und Persönlichkeit, da sie von Marken durchsetzt und Quadratmeter für Quadratmeter besetzt werden. Alle paar Minuten bekommt man irgendetwas in die Hand gedrückt, kleine Zettel mit Werbebotschaften für den Laden um die nächste Ecke oder irgendwelche Events, die man auf keinen Fall verpassen sollte. Die Mailbox füllt sich mit Werbe-Junk und der reale Briefkasten spuckt Altpapier inform wertloser Broschüren aus. Konkurrenz treibt nun mal an und macht erfinderisch. Jeder hat Angst, dank Krise am Ende nur mir Krümeln dazustehen. Deshalb muss es weiter gehen, das Rad muss sich weiter drehen; wer nicht das Geld hat zu kaufen, der muss halt verkaufen – für sich oder andere. So ist das nun mal im System. Und wenn es sich nicht von selbst verkauft, dann muss Werbung her.

Das der Spruch: „Wer nicht wirbt, der stirbt!“ stimmt, zeigt die zunehmende Aktivitäten im Werbebereich. Es wird einfach so ziemlich alles beworben was man sich so vorstellen kann. Dass wir diese Werbung wenn nicht schön, so doch angemessen finden – weil es ja nun mal sein muss – das wird dabei voraus gesetzt. Doch warum eigentlich? Warum darf Werbung das? Warum nimmt sie ganz einfach ihren Platz in unserem Leben ein, wuchert im öffentlichen Raum und zeigt sich als dauergrinsende Idealmensch-Hydra? Während der kleine Straßenmusikant als Erreger öffentlichen Ärgernisses davon gejagt wird? Warum machen wir so einfach Platz und dulden diesen Zustand?

Werbung will in unsere Köpfe und Herzen

Nur ein Beispiel aus der Modebranche. Nehmen wir an, im letzten Jahr war Blau die Farbe mit dem größten Coolness-Faktor. Dann geht es natürlich gar nicht, dass wir uns noch in diesem Jahr über unsere blauen Klamotten freuen. Nein, blau ist out. Pink ist das neue Blau. Warum? Ist doch klar. Wenn wir mit dem zufrieden sind was wir haben, dann kaufen wir nichts Neues mehr. Wollen uns nicht vom Alten trennen. Dann werden wir medial für dumm und out erklärt, damit wir in den nächsten „Fashion Store“ traben, um uns mit der neuen Pinkware einzudecken? Und die alten Klamotten? Na, die gehören dann nach ganz hinten hinten in den Schrank. Es soll uns peinlich sein, auch nur einmal noch mit dem Blau vom Vorjahr aufzukreuzen. Und so ergeht es uns mit allen Dämonen die wir mit unserer Jagd nach Prestigeobjekten wecken. Einmal ins Leben gerufen wird man sie nur schwer wieder los. Und auf diesem Weg dreht man das große Rad nach Leibeskräften mit.
Aber mal ehrlich. Muss uns wirklich jemand sagen, welche Klamotten wir tragen müssen, um uns gut zu fühlen? Müssen wir zulassen, dass wir uns gegenseitig vom unsinnigen Modediktat antreiben lassen und unser sauer verdientes Geld in die Läden tragen, nur um dabei und angesagt zu bleiben? Nein, müssen wir nicht. Und doch leben Dutzende von Mode- und Lifestyle-Magazinen davon, diesen Spuk mitzumachen und ewig neue Ansprüche zu generieren, wie eine Frau oder ein Mann von Welt zu sein und vor allem auszusehen hat… Was wäre dagegen die journalistische Botschaft: „Trage was Du willst und verbiege Dich nicht! Lass Dir nichts einreden und achte auf andere Dinge im Leben als Dein Styling. Viel wichtiger ist, wer Du bist, als wer Du vorgibst zu sein!“. Nein, das wäre natürlich gar nicht gut. Also lassen sich Magazine vor den Karren spannen und verstecken zwischen der offensichtlichen auch noch unauffällige Werbung in den Artikeln, werden zu reinen PR-Blättern ohne auch nur irgendeinen ernsten journalistischen Anspruch.

Nicht nur in der Welt der Mode, sondern in allen Welten versucht uns die Werbung in den Griff zu bekommen. Das meiste was wir um uns herum so im Laufe eines Lebens ansammeln wird sich mit der Zeit mehr als Last denn als Lust zeigen. Wir wollen zwar haben, doch brauchen tun wir das Wenigste. Die meisten Dinge liegen für Jahre ungenutzt zuhause herum, bis sie eine andere Bestimmung finden. Damit wir das bald wieder vergessen und als Jäger mit Portmonnaie zuschlagen, und dann als Sammler mit (werbender) Einkaufstasche unsere Beute in unsere Höhlen schaffen wollen, bedarf es ausgefeilter Werbestrategien.

Die Werbung soll in unsere Köpfe und unsere Herzen vordringen. Dabei scheint jedes Mittel recht. Längst sind Werbeindustrie und psychologische Wissenschaften zu einer Allianz verschmolzen, die nur einige einzige Aufgabe hat: uns zu erreichen, auch wenn wir es nicht wollen; oder besser, ohne das wir es nicht merken. Die Psychologie hilft den Werbestrategen, unser Unterbewusstsein anzusprechen, uns mit Farben, Musik, Bewegungen, Düften zu locken. Das ist nicht erst seit dem Obama-Wahlkampf so. Passt der Mix, stimmt die Werbekampagne, knackt sie jede psychologische Sicherheitsschranke in uns und sorgt für Euphorie, für Trauer, Zorn oder was es eben braucht, um Konsumprodukte, Dienstleistungen, Ideen, Kampagnen, Politik, Gesetze oder ganze Gesellschaftsentwürfe zu verkaufen. Eine moralische Grenze gibt es nur so lange, bis der materielle Erfolg, das Geldmachen, gänzlich wichtiger wird, als die Unversehrtheit des Individuums. Werbung könnte uns dort brechen wollen, wo wir stark sein sollten.

Werbung nein danke!

Ich persönliche habe das Gefühl, dass mir die Werbung nachstellt. Nachdem ich den ganzen Tag unterwegs von mehr oder weniger subtilen Botschaften angegangen werde und zuhause angekommen bin, kann es durchaus sein, dass am klingelnden Telefon kein guter Freund auf mich wartet, sondern irgend ein Call-Center-Agent. Dann kommen die ganzen abgeschmackten Fragetechniken zu Einsatz: „Sind Sie der und der?“ „Ja, der bin ich.“ „Möchten Sie ein besseres und schöneres Leben?“ „Natürlich, warum denn nicht.“ „Dann kaufen Sie unser Produkt – oder besser geben Sie uns eine Stunde Ihrer Zeit und wir schicken einen Vertreter zu Ihnen.“ Dann wollen die natürlich nach der x-ten „Ja-Antwort“ am liebsten wieder ein Ja hören. Ob sie gerade stören, das interessiert sie nicht. Ob diese Werbeform erlaubt ist… egal. Hauptsache Umsatz machen. Uns warum? Weil die Köpfe der Telefonverkäufer ebenso angefüllt sind mit eigenen Wünschen. Wünschen die ihnen die Werbung suggerierte. Dafür wollen und brauchen sie nun mal unser Geld.
Ganz ehrlich frage ich mich, warum wir diese ganze Werbe-Tyrannei mitmachen. Warum wir jeder, auch noch so doofen Mode folgen sollen und nicht rufen: „Halt! Stop! Behelligt uns nicht ewig mit Eurem Quatsch!“ Geht es denn wirklich nur noch um kaufen und verkaufen? Müssen wir auf jedem Gegenstand den wir in die Hand nehmen, muss auf jeder Jacke, Hose oder Socke das Logo irgendeines Unternehmens prangen – für das wir kostenlos Werbung laufen sollen, diese sogar noch dankbar bezahlen? Ganz abgesehen davon: Sind die meisten Produkte die uns hier angeboten werden, nicht kompletter Schrott? Schlecht produziert, von kurzer Haltbarkeit und teils unter unmenschlichen Bedingungen in Billiglohnländern entstanden? Wann ist die Grenze des Erträglichen erreicht? Ich persönlich will nicht auf Schritt und Tritt und von morgens bis abends mit diesem Unsinn konfrontiert werden und kann mich doch nicht ganz entziehen. Wann also heißt es endlich „Werbung? Nein danke!“?

Es bölkt

Wundert es uns wirklich, dass unsere Kids bei der Betrachtung der ausgefeilten Werbeclips Lust auf Hochprozentiges bekommen? Sie zerren doch ohnehin schon am Gängelband durchs Leben. Sie haben wenig Aussichten auf eine berufliche Zukunft. Zumindest wird ihnen hier nicht viel Hoffnung gemacht. Sie sollen ihren Weg machen, doch gleichzeitig lächelt ihnen das Versprechen der wachsenden Werbe-Hydra entgegen. Sie sollen Leistungen bringen, ohne der Versuchung zu erliegen diesem Werbelächeln zu folgen? Sie sollen sich bilden und bekommen aber als Ergebnis der gebildetsten Köpfe des Planeten ein vollkommen desolates und selbstzerstörerisches System geboten? Kein Wunder, dass sich sich lieber kleiden wie ein Star und zu ihrem Blubberlutsch greifen. Alkohol macht vergessen, macht lustig und sexy. All das sagt uns die Werbung doch. Das sie uns übel werden lässt, lallend, brechend und bis zur Selbstaufgabe hemmungslos, wird nicht vermittelt. Nicht „kommuniziert“. Statt dessen „virale Werbung“ mit bölkenden Jugendlichen auf coolen Parties auf den Videoportalen, gerade so wie in der Werbung;-)

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Unsere Kinder sollen sich gut ausbilden lassen, bekommen aber als Ergebnis der gebildetsten Köpfe des Planeten einvollkommen desolates und selbstzerstörerisches System geboten.

Das Rad muss sich eben weiter drehen, oder wird es zumindest – bis wir es selber einsehen oder zum Stillstand gezwungen werden. Wir haben schon ziemlich viel kaputt gemacht bisher. Die Werbung ist nicht schuld, sondern Teil einer Welt die alles das abbildet, was wir verkaufen wollen, damit es letztlich uns (und nicht dem Kunden) gut geht. Die Werbung kann nicht anders, als es immer weiter auf die Spitze zu treiben. Nur so kann sie gehört werden, durchdringen zu uns, vor allen anderen.

Doch so wird aus dem Ruf ein Schrei und aus dem Schrei ein Gekreische. Eine Hysterie der Begehrlichkeiten. Ein Leben in einer ständigen Werbekulisse, die immer bizarrere Formen annimmt. Solange wir das mitmachen oder sogar auch noch unser eigenes Heil darin suchen, werden wir uns damit zufrieden geben müssen, dass von unserer eigenen Individualität, unserem eigenen Weg im Leben, nicht viel übrig bleibt.

Bildquellen:
1) Gerd Altmann (gerald), Pixelio.de
2) O. Fischer, Pixelio.de
3) Paul Georg Meister, Pixelio.de