Anfang 2008 gingen die Bilder von protestierenden Hungernden um die Welt. Damals kam es aufgrund von Spekulationen, der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Förderung von Agro-Sprit und einigen anderen Faktoren zu einem enormen Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln. Seit dem sind die Preise zwar wieder ein bisschen gefallen – aber immer noch steigt die Zahl der hungernden Menschen weltweit.

Heute sind es über eine Milliarde Menschen! Dabei ist die europäische Wirtschaftszone eine der größten Exporteure von Agrarprodukten. Wie sie sich verhält und welche Lehren sie aus dieser Krise zieht, beeinflusst also die globale Sichtweise in nicht unerheblichem Maße. Aber wie verhält sie sich? In der gemeinsamen Studie „Grenzenlos und billig“ analysieren Oxfam und FIAN die Positionen der Agrar- und Ernährungsindustrie nach der Nahrungsmittelkrise.

„Wie kein Ereignis zuvor hat die Nahrungsmittelkrise das Vertrauen in das Funktionieren der globalen Agrarmärkte bis ins Mark erschüttert“, heißt es gleich im Vorwort der Studie. Die Entwicklungen verdeutlichten dies laut Oxfam deutlich: „Die Golfstaaten, China und andere Akteure erwerben große Landflächen in Afrika und Asien, um Nahrungsmittel für ihren eigenen Bedarf anzubauen“.

Sie wollten sich so vor zukünftigen Angebotsengpässen auf dem Weltmarkt schützen, so Oxfam. Unternehmen versuchten dasselbe. „Der südkoreanische Konzern Daewoo wollte in Madagaskar 1,3 Millionen Hektar Land für 99 Jahre pachten, musste aber nach heftigen Protesten zurückstecken“. Neben der Pacht oder dem Aufkauf von ausländischen Anbauflächen seien die Spekulation auf den Rohstoffmärkten und die steigende Attraktivität von Ackerland als Geldanlage eindeutige Vorboten einer von höheren Nahrungsmittelpreisen geprägten Zukunft, meint Oxfam in der Studie.

Landgrabbing schafft Hunger

Laut Oxfam ist es also keine Frage: die Nahrungsmittelproduktion sowie der Besitz von Land und Wasser sei zunehmend ein politisches Thema. Grund genug, sich die Position der Europäischen Union zu diesem in Zukunft sicherlich noch brisanteren Thema anzuschauen. Die Studie kommt jedoch zu einem ernüchternden Schluss: Zwar werde der Erwerb (oder gar die Spekulation) von (mit) Grund und Boden von den Staaten der europäischen Union kritisch gesehen (abgesehen davon, dass auch private Großinvestoren  beteiligt seien – neben Goldman Sachs und Morgan Stanley beispielsweise auch die Deutsche Bank).

Doch an den Grundforderungen sowohl der Industrie als auch der europäischen Politik – nach Marktliberalisierung beispielsweise – habe sich nichts geändert, so das Fazit der Studie. Im Gegenteil: die Entwicklungen spielten vielmehr der Lobby der Gentechnik-Befürworter in die Hände. „Wir brauchen Ertragssteigerungen, woher sollen wir die sonst nehmen?“, soll Joachim von Braun (International Food Policy Research Institut) während einer Pressekonferenz gefragt haben, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2008 anlässlich der hohen Nahrungsmittelpreise gab. Die Antwort auf seine rhetorische Frage: natürlich nur mit „grüner“ Gentechnik…

Gen-Saat macht hungrig

Dabei ist ein Zusammenhang zwischen Gentechnik und einer Ertragssteigerung laut Oxfam bislang keineswegs erwiesen. Erwiesen sei hingegen, dass derlei manipuliertes Saatgut schon jetzt gravierende sozialen Folgen habe: „200.000 indische Baumwollfarmer haben in den letzten Jahren aufgrund auswegloser Verschuldung Selbstmord begangen“, schreibt Oxfam und macht dafür die Verschuldung der Bauern bei Herstellern verantwortlich, die Saatgut verkaufen, das die Bauern nicht selbst reproduzieren können (es also immer wieder kaufen müssen, was sie in die Überschuldung treibt).

Ein Zweifel am Sinn einer Liberalisierung der Märkte scheint die Krise laut Oxfam-Studie jedenfalls nicht ausgelöst zu haben… Eine Strategie bilateraler Verhandlungen scheint nach wie vor das Mittel der Wahl. Dies sei jedenfalls „von der High Level Group on the Competitiveness of the Agro-Food Industry (HLG), einer hochrangigen Gruppe von Vertreter/innen der EU-Kommission, der Mitgliedsstaaten und der europäischen Wirtschaftsverbände unter der Leitung des damaligen EU-Kommissars Günter Verheugen, bestätigt“, wie die Oxfam Studie schreibt.

Export um jeden Preis?

Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern – und dennoch EU-Exportsubventionen abzubauen – führt der HLG-Bericht laut Oxfam die politischen Rahmenbedingungen auf: flexible Arbeitsmärkte, Abbau von staatlicher Regulierung und Handelshindernissen sowie die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen und Zugriff auf landwirtschaftliche Rohstoffe zu „den besten Konditionen“ (HLG 2009). Da überrascht es nur noch wenig, dass sich „die Ernährungsindustrie … mit den Empfehlungen der High Level Group überwiegend einverstanden“ zeigt, wie in der Studie zu lesen steht.

Die Studie führt die vielen Interessenvertreter sowie ihre Vorstellungen, Positionen und Ziele auf. Etwa die der Saatgutindustrie, der Lebensmittelindustrie, der Milchverarbeitende Industrie und so weiter und so fort – es gibt wirklich viele Lobbyisten in diesem Bereich!“Die Handschrift der Agrar- und Ernährungsindustrie ist in den Empfehlungen der EU-Kommission gut zu erkennen – nur bei der auf europäischer Ebene besonders umstrittenen Nutzung von Gentechnik bleibt sie bisher noch etwas zurückhaltend“ , lautet das beunruhigende Urteil der Oxfam Studie. Und das bei einem Thema, bei dem es um die Gesundheit – ja gar das Leben von Menschen geht… Export um jeden Preis!

Wer die Studie selbst lesen möchte, kann sie hier herunter laden: www.oxfam.de

Weitere Infos über die Organisation FIAN (Food First Informations- und Aktions-Netzwerk) gibt es unter: www.fian.de