Klimaschutz ist als politisches Thema kaum noch präsent. Fridays For Future, Ende Gelände, Letzte Generation & Co. – wo stehen die Klimaproteste heute in Deutschland?
Eine junge Frau, die nach langem Hungerstreik zusammen gebrochen ist und von Rettungssanitätern abtransportiert wird. Eine junge Frau, die sich an die Straße geklebt hat. Es regnet. Ein Mann brüllt sie wütend an. Tränen treten ihr in die Augen. Noch eine junge Frau. Sie sitzt in einem Zelt, starrt ins Leere. Ihre Augen schmerzen vom Tränengas. Sie hatte zusammen mit anderen das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg blockiert. Die Polizei hat sie mit brutaler Gewalt entfernt. Mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken. Sie scheint traumatisiert.
Dokumentarfilm über die Klimaproteste heute in Deutschland
Lena Köhler und Felix Maria Bühler haben für ihren Dokumentarfilm „Bis hierhin und wie weiter?“ fünf Klimaschutz-Aktivist:innen ein ganzes Jahr lang bei ihren Aktionen begleitet: Die 19-jährige Lina, Mitbegründerin der Letzten Generation, und ihre Mitstreiter:innen Taura, Guerrero, Charly und Fuchs. Er folgt ihnen quer durch die Aktionszentren der deutsche Klimaschutzbewegung: Fridays For Future, Letzte Generation, Ende Gelände, Klimacamps, Hambacher Forst, Lützerath.
Überall werden die jungen Klimaschutz-Aktivist:innen von heftigen Ohnmachtsgefühlen geplagt. „Kein Mensch interessiert, ob wir verreckt wären beim Hungerstreik oder nicht. Und es interessiert auch keinen Menschen, außer mich, wenn du im Gefängnis bist. Es juckt keinen!“, meint etwa Guerrero bei einer Nachbesprechung ihrer Aktion. Und er hat recht.

Die fünf scheinen alles aufs Spiel setzen zu können – ohne jede Wirkung: sie brechen ihr Studium ab. Sie steigen aus einem „normalen“ Leben mit all dem Komfort aus. Sie leben in Zelten, Baumhäusern, leer stehenden Häusern. Sie setzen sich körperlicher und psychischer Gewalt aus. Sie leben mit Unsicherheit und Angst. Sie nehmen sogar Strafverfolgung in Kauf. Warum? Weil sie sich sicher sind, dass ihre Zukunft, nein: die Zukunft der Menschheit oder zumindest der Menschlichkeit auf dem Spiel steht. Was könnten diese Menschen noch tun, um sich Gehör zu verschaffen? Wo stehen die Klimaproteste heute in Deutschland? Und wie könnte es weitergehen?
Wo stehen die Klimaproteste heute in Deutschland? Und wie könnte es weitergehen?
Die Klimaschutz-Aktivist:innen selbst scheinen bis zum Ende ratlos. Für sich selbst haben sie immer mehr Risiken in Kauf genommen. Die Wirkung – gemessen in konkreten politischen Veränderungen – bleibt gleich: Nahe Null. Einige denken deshalb darüber nach, das Ideal der Gewaltfreiheit fallen zu lassen. Andere überlegen, ob sie wieder ein „normales“ Leben aufnehmen. Vielleicht auf Reisen gehen. Und es gibt die, die einfach weitermachen wollen. Kämpfen und des Kämpfens willen. Damit man nicht aufgegeben hat. Damit sie später – wenn sie zeigt, dass die Klimaschützer:innen recht hatten – sagen können: „wir haben zumindest alles versucht“.
So verbreitet der Film auch bis zum Schluss Frust. Am Ende ist Lützerath geräumt, der Hambacher Forst abgeholzt und die Politik folgt weiter ihrem business as usual. Als wäre nichts geschehen. Da können selbst die über 30.000 Menschen, die nahe Lützerath am Ende des Films noch demonstrieren, keine optimistische Stimmung mehr verbreiten. Wir, die Zuschauer:innen, wissen ja, dass auch die sehr viel größeren Fridays-For-Futur-Demos nichts gebracht haben.

Klimaschutz: Gefangen in der Bubble?
Ich habe lange darüber nachgedacht, warum Köhler und Bühler den Film so gemacht haben, wie es ist: Man folgt ausschließlich den Aktivist:innen. Es gibt keine Einordnung. Nicht von Klimawissenschaftler:innen. Nicht von Journalist:innen. Nicht von irgendwelchen anderen gesellschaftlichen Akteur:innen. Der Film bleibt merkwürdig starr in seiner Bubble stecken. Auch die Aktivist:innen sieht man nie in einem Dialog mit Andersdenkenden. (Einzige Ausnahme: Übers Handy diskutiert ein Lützerath-Aktivist mit einem vermutlich Gleichaltrigen von den Jungen Liberalen pro und contra Kapitalismus.)
Und so scheint die Verständigungsschwierigkeit wirklich allgegenwärtig: Die Klimaschutzaktivist:innen schaffen es nicht, in einen Dialog zu kommen. Der Film aber irgendwie auch nicht. Er zeigt nur eine Seite: die der Aktivist:innen. Und es hängt es wohl vor allem von der Einstellung der Zuschauenden ab, wie sie das interpretieren, was sie da sehen: Sieht man Menschen, die zu Recht für das Richtige kämpfen? Sieht man ihr Leid und ihre Ohnmacht? Oder sieht man eine Gruppe von Menschen, die sich in ihrer Blase abschotten, sich radikalisieren und in ihrer Weltuntergangsstimmung verrennen? Vielleicht liegt es daran, dass der Regisseur selbst ein Jahr in Lützerath verbracht hat: ihm sind die Hintergründe klar. Er teilt die Meinung der Aktivist:innen zur Klimakrise. Mir scheint es so, als ob er davon ausgeht, dass auch alle Zuschauenden dieses Bewusstsein hätten.

Fazit: Bis hierhin und wie weiter?
Wer wissen will „wo stehen die Klimaproteste heute in Deutschland?“ der kann sich mit dem Dokumentarfilm „Bis hierhin und wie weiter?“ einen guten Eindruck in die Szene von Klimaschutz-Aktivist:innen verschaffen, die bereit sind, am weitesten zu gehen. Ist ihre Radikalität angemessen? Angesichts des Klimawandels ganz bestimmt. Angesichts der gesellschaftlich-politischen Stimmung? Vermutlich nicht. Selbst den Protagonist:innen des Films ist klar, dass ihre Aktionen nichts bringen. Außer vielleicht dem Gefühl, das richtige getan zu haben. Andere Menschen außerhalb ihrer Bubble werden sie so vermutlich nicht erreichen. Politisch wird sich dadurch nichts ändern.
Was sagt mir das als Mensch, der zwar unbedingt für Klimaschutz ist, aber nicht so weit gehen würde in meinem Kampf dafür? Vielleicht, dass es mehr Menschen geben müsste, die sich an Bäume und Bagger ketten, damit sich eine Wirkung zeigt? Oder zumindest, dass es mehr Menschen geben müsste, die die Verzweiflung dieser Menschen wahrnimmt. Die zuhört. Sie unterstützt. Um Verständnis in unserer Gesellschaft für ihre Aktionen wirbt. Dass es auch Dokumentarfilme geben müsste, die nicht nur zeigen, was diese Menschen durchmachen. Sondern auch überzeugend belegen, dass ihr Verhalten nicht verrückt und radikal ist – sondern angesichts der Klimakrise durchaus angemessen.
Bis hierhin und wie weiter?
Filmgattung: Dokumentarfilm
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2023
Länge: 91 Minuten
Website: https://www.wfilm.de/de/bis-hierhin-und-wie-weiter/
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