Der Tag heute steht im Zeichen der Atomkatastrophe – dem Super-GAU von Tschernobyl. Auch wenn es vielen schon aus den Ohren zu hängen scheint und in sozialen Netzwerken wie Twitter nicht selten das Thema Fukushima als „out“ bezeichnet wird, gibt es noch immer viele Vorurteile und Verharmlosungen. Doch was kann schlimmer sein als ein von Menschen gemachtes Unheil das noch Tausende von Jahren später Auswirkungen auf die Nachkommen hat?

Ich höre häufiger davon, dass Tschernobyl doch längst überwunden sei – dass doch schon wieder Menschen in den verstrahlten Gebieten leben, Pflanzen gedeihen und Tiere zurückkehren würden. Doch kaum jemand von denen, die die Lügen wiederholen, haben sich wirklich damit auseinander gesetzt. Kaum jemand interessiert sich wirklich dafür, ob das was man so hört stimmt.

Ich kann mich noch an eine TV-Sendung über Asse II erinnern die vom NDR ausgestrahlt wurde und werde das Bild nicht vergessen, in dem eine Besucherin der Anlage arglos an der Wand leckte. Mag sein, dass der Ort des zweifelhaften kulinarischen Genusses tatsächlich unbedenklich war – vielleicht auch nicht. Darum geht es aber gar nicht… Es geht vielmehr um die Aussage der Doku die uns weiß machen wollte, dass das Ganze harmlos sei, ungefährlich, sozusagen zum Anlecken unbedenklich. Heute wissen wir, dass dort die reinste Höllensuppe entsteht und es den Staat, also uns 100 Millionen Euro im Jahr kostet, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Für 100 Dollar in den Tod

Wer sich die Dokumentation Tschernobyl! anschaut, die heute Abend auf 3sat läuft und die man sich oben rechts auf der Startseite noch mal ansehen kann, bekommt schnell mit, dass jede Art von Verharmlosung einem Verbrechen gleich kommt. Die Folgen des damaligen GAUS sind verheerend. 500.000 (!) Arbeiter wurden damals zwangsverpflichtet, den Schaden mehr oder weniger gut zu beheben. Eine halbe Million Menschen, die den zerstörten Reaktor erst aufräumen und dann mit Beton verkleiden mussten. Menschen die ihr Leben aufs Spiel setzten und dafür umgerechnet 100 Dollar und eine Urkunde in die Hand gedrückt bekamen. Der größte Anteil der Mensch ist heute schwer krank oder lebt nicht mehr.

Tausende von Krebskranken, von deformierten Kindern, kilometerweite Landstriche, für die Ernte auf alle Zeit unbrauchbar, fluchtartig verlassene Siedlungen. Natürlich leben dort heute wieder Menschen… Doch nicht weil es dort harmlos ist zu leben, sondern weil sie schlichtweg kein Geld, keine Möglichkeiten, keine Kraft für ein neues Leben haben. Sie leben in verseuchten Gebieten, ernähren sich von verseuchten Lebensmitteln und haben keine Chance diesem Leben zu entkommen. wer also davon spricht, dass das Leben sich normalisiert habe, kann nur ein Zyniker sein.

Wer gegen Atomkraft ist, ist dumm, böse – oder beides…?

Ein Wunder, dass man damals nicht eingesehen hatte, dass Atomkraft tödlich ist und der Mensch weder die Technik beherrschen kann, noch den Ansatz einer Idee für eine sichere Endlagerung der hoch giftigen Abfälle hat. Das reichte den Atombefürwortern nicht aus. Sie sprachen sogar von einer „sauberen“, einer „grünen Energie“. Die Versuch, den „belasteten“ Begriff „Atomkraft“ in einen viel positiver klingenden PR-Kunstbegriff „Kernenergie“ umzutaufen, ist sicher schon legendär. Es waren genau die politischen Kräfte, die sich heute wie schaumgeboren als geläutert hinstellen. Die „konservativen“ Parteien, die noch nicht einmal wissen, dass „konservativ“ etwas mit bewahren zu tun hat. Sie beschimpften und beschimpfen damals wie heute die „Linken“ und „Kommunisten“, die sich gegen die Atomkraft zur Wehr setzen, die Angst vor ihr haben, die nicht wollen, dass man den Müll vor ihrer Haustier ablädt. Doch das hat mit Kommunismus nichts zu tun, sondern mit Vernunft.

Sicher, eine ganze Reihe politischer Gruppen hängt sich an die Anti-Atomkraftbewegung mit dran und die Medien haben eine Freude daran, hauptsächlich diese zu zeigen und so zu tun, als seien alle über einen Kamm scherbar. Doch sie merken, dass sie damit zunehmend alleine stehen. Die Politiker merken, dass die Menschen sie nicht mehr gern wählen und ihnen nicht vertrauen. Die Medienmacher merken, dass sie als Steigbügelhalter entlarvt werden und das man auch ihnen nicht mehr glaubt. Auch wenn beide so tun, als könnten sie kein Wässerchen trüben… 25 Jahre lang haben sie gegen die Urängste des Menschen nichts weiter als Geld setzen können, doch jetzt reicht das nicht mehr. Fukushima hat gezeigt, dass sie sich mit ihren Wohlstandsmantras „gehackt legen“ können. Wähler- und Konsumentenverhalten beweist dies deutlich.

Eine Ära geht vorbei

Und einige Politiker, Medienleute, Manager aus der Energiewirtschaft sind geradezu panisch darum bemüht Kreide zu fressen. Bald werden wir es erleben, wenn am 28. April die „Ethik-Kommission“ tagt und sich dem Volk präsentiert. Klar, man hat von der Geißlerschen Verhandlungsdynamik beim Stuttgart21-Projekt gelernt. Doch auch das wird nicht gelingen, denn es ist zu durchschaubar. Und mit Ethik hat das am Ende recht wenig zu tun.

Fukushima ist, gerade wenn man sich die apokalyptischen Bilder anschaut, wie eine Warnung an uns alle. Nicht nur an die Japaner, sondern die Menschheit als solche; die glaubt mit ihrer Technikhörigkeit jedes Problem der Welt zu lösen – und damit immer neue, noch größere Probleme schafft. Eine Warnung die uns deutlich macht, dass wir uns bescheiden müssen in unseren Höhenflügen. In den Medien ist davon die Rede, dass wir unbedingt die industriell genutzte Energie erhalten müssen, damit der Wagen weiter rollt. Doch wohin rollt er – das ist keinem klar. Es soll nur immer weiter wachsen, schneller, größer, weiter, besser werden. Wo ist die Notbremse eingebaut? Nur in Unfällen wie diesen?

Die Zahl der Krisen wächst

Unser Wirtschaftssystem und seine unberechenbaren Dynamiken schaffen zunehmend Krisen. In Form von technischen Unfällen, von sozialen Krisen, Hungersnöten, Kriegen, Wassermangel, Wirtschaftskollapsen usw. Alle diese GAUS sind Folge unseres Systems, das wir anbeten wie ein goldenes Kalb. Solange wir darum bemüht sind zu flicken, damit alles so weiter läuft – und genau das tun die Politiker verheerenderweise – werden diese Krisen zunehmen. Warum bitte schön brennt Nordafrika, warum geht es in Vorderasien los, warum wird Südeuropa unruhiger, warum gehen die USA langsam in die Knie. Wer hier die Zusammenhänge nicht herstellt, täuscht wissentlich oder interessiert sich einfach nicht dafür.

Doch so wie wir voller Unverständnis auf die Dummheiten der Menschheitsgeschichte zurückblicken, werden dereinst Menschen in der Zukunft auch auf unsere Zeit schauen und die Köpfe schütteln. Vorausgesetzt wir überlassen ihnen einen Planeten, der für sie überhaupt noch lebenswert ist. Bis heute haben wir gelebt, als hätten wir noch eine zweite Erde irgendwo im Handgepäck – einen Planeten auf den wir ausweichen können. Ich bin mir sicher, dass es ein paar Menschen gibt, die dies sogar tatsächlich glauben. Doch auch sie sind Zyniker, denn sie haben den Planeten aufgegeben, sie wollen ihn verlassen, halten ihn für nicht mehr zu retten. Die Milliarden Menschen, die dabei zugrunde gehen, nehmen sie genauso in Kauf wie die Politiker die vielen Toten der von ihnen angezettelten Kriege.

Man redet derzeit über die hohen Kosten für den Umbau der Energiewirtschaft. Vergleicht man diese mit den Geschenken für die Zockerbanken, sind sie jedoch erstaunlich überschaubar.

Der einzige Weg ist die Einkehr

Nicht allein in Fragen der Atomkraft, sondern in allen Fragen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung. Die Ausrede, dass andere Länder da nicht mitziehen ist absoluter Unfug. Wir wissen, wie stark die Abhängigkeiten der Staaten und Märkte in Zeiten der Globalisierung sind. Doch wir müssen bei uns selbst anfangen. Jeder Einzelne von uns. Denn wer sich gegen die Einkehr, gegen eine neue Bescheidenheit und Mäßigung zur Wehr setzt, trägt zu einer Schande bei, die wir in Millionen von Jahren unseren Nachfahren nicht werden erklären  können. Wir haben den kommenden Generationen schon fast alles genommen, es wird Zeit endlich zurück zu geben…

Bildquelle:
Pixelio.de, Gerd Altmann