Vor einigen Tagen erschien eine Studie der SPD-nahen Friedrich Ebert Stiftung, Thema: „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“. Unterm Strich sagt sie, dass Ressentiments gegen alles Fremde, das Ausländerfeindlichkeit und Nationalgefühl in den letzten Jahren zugenommen haben. Man bräuchte zwar keine Studie, um dies gerade in den letzten Wochen mitzubekommen, doch dokumentieren die Zahlen überdies einen Zustand der Befindlichkeiten, der den Drahtziehern der Finanz- und Bankenkrise (ganz zufällig) sehr gelegen kommt. Denn von ihnen spricht fast niemand mehr.
Irgendwie keine Überraschung: In Deutschland macht sich mehr und mehr ein Geist breit von dem viele glaubten, er sei längst überwunden. Biedermann trifft Brandstifter… Während eine zunehmende Anzahl an Menschen schon heute an die Grenzen finanzieller Belastung stößt, fällt den Brandstiftern nichts anderes ein, als die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und auszuspielen. Und das ist erst der Anfang. Denn trotz der gewaltigen PR-Maschinerie die uns heute wieder Wohlstand für die nächsten Jahre verspricht, geht es vielen im ganz realen Leben immer schlechter. Ein guter Bodensatz für Brandstifter.
Und der eigentliche Kahlschlag steht noch bevor, da in den kommenden Wochen und Monaten die Kommunen damit beginnen werden, die finanziellen Zügel noch weiter anzuziehen. Das Volk könnte, wie es in anderen europäischen Ländern geschieht zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, doch ein großer Teil richtet seinen Zorn lieber gegen andere. Hier betritt nun der Biedermann die Bühne.
Alles steht auf dem Kopf
Man könnte meinen, man sei kurzerhand in ein Paralleluniversum versetzt worden: Alles sieht zwar irgendwie noch genauso aus wie vorher, doch das ist nur oberflächlich der Fall. Eben noch diskutieren wir die kriminellen Machenschaften des Finanzmarktes, stellen unser wirtschaftliches System und die politische Willfährigkeit gegenüber Wirtschaftsinteressen infrage, rufen nach einer neuen Gesellschaftsmoral. Tags darauf scheint jedoch alles vergessen und wir streiten uns lieber wie kleine Kinder, weisen uns gegenseitig die Schuld zu – hieven das Ganze auf eine rein emotionale Ebene. Wir wurden von einer Bande skrupelloser Spekulanten, mit Unterstützung von Politikern, geradezu ausgeraubt und auf Generationen finanziell geschädigt, doch das scheint gar nicht zu zählen.
Der finanzielle Kahlschlag ist noch lange nicht vorbei – im Gegenteil. Praktisch jede Kommune, jede Gemeinde, jedes Bundesland muss nun bluten und reagiert mit drastischen Sparplänen auf die Auswirkung des Finanz-Desasters. Und wo wird zuerst gespart? Natürlich bei denen die a) eh schon kaum noch was haben und b) bei sozialen und kulturellen Einrichtungen, deren Aufgabe es nicht zuletzt ist, eine gesellschaftliche Teilhabe auch denen zu ermöglichen, die keinen goldenen Löffel im Munde tragen. Erhöhung der Kita-Kosten, der Fahrpreise im Nahverkehr, höhere Eintrittspreise oder gar Schließungen im staatlichen Kulturbetrieb, teurere Bauvorhaben, weniger Instandhaltung öffentlicher Einrichtungen, teurere Strafzettel, Streichung von Lehrerstellen,… die Liste ist lang und wird sich schmerzhaft auswirken. Und das alles – so wird argumentiert – als Antwort auf die Wirtschaftskrise. Hauptsache aber, ansonsten läuft alles so weiter wie bisher. Aus der Misere lernen will man nicht. Stattdessen kommt nun noch gegenseitiger Hass hinzu.
Das Leben wird sich ändern, für alle die eh schon gebeutelt sind. Zu viel Druck hält keiner aus. Doch wie reagiert ein großer Teil der Medien? Erst drischt er auf die Ärmsten in der Bevölkerung ein, kriminalisiert sie fast. Zugleich schützt er die Akteure der Finanzkrise und tatenlose Politiker. Als Nächstes zettelt er eine Wertedebatte an, die jedoch nicht an wirklichen, menschlichen Werten ausgerichtet ist, sondern lediglich die Rhetorik der Schuldzuweisung und Ausgrenzung etabliert. Wer noch hat, soll verächtlich auf die Habenichts herunter schauen; solange er dabei nicht mehr an die Verursacher der Krise denkt – wunderbar. Dann werden ebendiese Werte genommen, um daraus eine krude Debatte über das Konservative zu generieren. Doch es geht hier keinesfalls um das Schützen und Erhalten gesellschaftlicher Grundwerte, sondern um plumpe Ressentiments. Diese jedoch geben allen die Angst haben nun endlich eine konkrete Angriffsfläche… und lenken von den wahren Akteuren weiter ab.
Und die wahren Schuldigen?
Was für ein Mensch muss man sein, wenn man sein Geld damit macht, auf die Stabilität einer Währung zu spekulieren? Was für ein Mensch ist man, wenn man nichts anderes im Sinn hat als Gelderwerb? Wie ist man gestrickt, wenn man dafür das Leid und Elend von Millionen Menschen in Kauf nimmt? Ein erfolgreiches Vorbild? Ein geschickter Kaufmann? Ein Sieger? Vielleicht – bei manchen Menschen gewiss. Doch in erster Linie ist man das was man nun selbst weitaus weniger mächtigen Teilen der Gesellschaft zuschreibt: asozial. Ein treffenderes Wort gibt es nicht. Wir leben zwar in einer Gesellschaft, in der reiche gewissenlose Menschen höher geachtet werden als arme gewissenhafte, doch eigentlich sollten wir doch auch mitbekommen haben, wohin das führt.
In den Talkshows wird nun rauf und runter über die muslimischen Mitbürger, über Türken, Araber, über Verhüllte und Kopftuchträger, über Moscheen und Jugendgewalt diskutiert. Dabei betrifft das Phänomen alle – nicht nur eine Gruppe. Das wir gerade in dieser Phase eigentlich dringend zusammenhalten müssten, um sie zu überstehen, klingt so gut wie gar nicht an. Dabei liegt doch auf der Hand, dass der neu auflebende Hass auf alles Fremde nur einem einzigen Ziel dient, nämlich der Ablenkung von eigenen Missetaten. Wenn man sich die Entwicklung in der Gesellschaft näher anschaut, dann erkennt man schnell, dass es einen Zusammenhang zwischen unserer nur auf Geld ausgerichteten Gesellschaft- und Wirtschaftsphilosophie und der Entsolidarisierung der Gesellschaft gibt.
Ein System wie wir es jahrzehntelang gelebt und gefeiert haben trägt nicht nur die Ungerechtigkeit als solche in sich, es läuft auch unweigerlich auf eine menschliche Katastrophe hinaus. Diejenigen die an diesem System festhalten wissen das, trotzdem machen sie auf eine menschenverachtende Weise mit, die sie als das entlarvt was sie sind: Menschen mit zwei Gesichtern. Das eine Gesicht gibt sich friedvoll, fürsorglich, ja christlich und voller gelebter Werte. Doch das andere Gesicht tut genau das Gegenteil: Es sucht nur seinen eigenen Nutzen, sein eigenes Image, seine Karriere zu verbessern. Es spukt das reine Gift überheblicher Verachtung in alle Richtungen aus denen Kritik an diesem Verhalten laut wird.
Was ist bitte schön christlich an all dem Hass und der Ausgrenzung? Was ist sozial an dem durchschaubaren Versuch, mit gespielter Empörung sein eigenes Image zu verbessern und sich als Partei auf diese Weise zu resozialisieren? Es ist zum Haare ausraufen, wenn man die politischen Akteure hört, wie sie unser massives Problem das wir in der Gesellschaft haben ausschließlich für eigene Zwecke nutzen oder sogar noch anheizen. Man sollte sich fragen, ob es nicht die Unehrlichkeit und offensichtliche Verderbtheit des politischen Systems ist, die die Menschen in Stuttgart auf die Straße treibt. Man will sich nicht länger belügen und betrügen lassen. Man ist angeekelt und im hohen Maße enttäuscht darüber, wie Menschen mit politischer Macht mit unserer Zukunft spielen. Von wegen Politikverdrossenheit, es sind die Akteure die zunehmend mehr Menschen einfach nur noch anekeln.
Dumm und dumpf
Interessant an der oben genannten Studie ist, dass die die Fremdenfeindlichkeit tief in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Kein Wunder, denn diese Mitte kracht nun genauso ab, wie es bei den Ärmsten der Gesellschaft schon lange der Fall ist. Angst nährt Neid, Neid gebärt Hass – und weite Teile der Presse, die eben noch von Moral und Werten faselte, gießen immer weiter Öl ins Feuer. Eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz, denn die Folgen für den „Gesellschaftsvertrag“ sind absehbar.
Wer glaubt, das die muslimische Bevölkerung an dem Dilemma Schuld sei, sollte sich die Augen reiben und noch mal einen Blick in die Zeitungen der letzten drei Jahre werfen, die Geschichtsbücher bemühen oder einfach mal über den Menschen als solchen nachdenken… Was zeichnet uns denn aus? Worauf sind wir hier stolz? Auf den Wohlstand, den wir auf den Rücken von Millionen von Menschen genossen haben? Auf unser stolzes Gehabe, unsere Besserwisserei, unsere Selbstliebe, auf das Geld das wir auf dem Konto haben (egal wie wir dazu gekommen sind)? Sind wir ein gutes Beispiel für Toleranz und Güte? Sind wir wirklich besser als die auf die wir meinen herunter schauen zu müssen?
In erster Linie sind wir Menschen und allein schon das sollte uns zur Menschlichkeit verpflichten. Doch was machen wir? Wir erfinden Systeme, in denen es manchen von uns möglich ist, andere auszunutzen, zu unterdrücken und auszubeuten? Was anderes als das ist es denn zumeist der wirtschaftliche Erfolg den wir so bewundern?
Wo sind bitte unsere Tugenden? Geld? Arroganz? Schicke und teure Klamotten? Designer-Möbel? Exquisite Reisen, angeberisches Gefasel? Mobbing? Bewunderung für die größten Fieslinge, nur weil sie all dies bieten können? Mir scheint nichts davon auch nur im Ansatz geeignet eine Gesellschaft zu solidarisieren und letztlich am Leben zu halten. Und dennoch: Gerade im Moment wird über die Deutschen Tugenden gesprochen, als seien wir allesamt von Weisheit und Herzensgüte geprägt. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Wir bilden uns auf die niedersten Dinge etwas ein und vergessen darüber, worauf es eigentlich ankäme. Als Folge beobachten wir nun die Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft und damit den Anfang ihres Zerfalls. Alles das nur, weil eine Clique Gieriger dem Leben keinen anderen Sinn als Geld und Macht abgewinnen kann? Dümmer geht es doch gar nicht, oder doch?
Und die Medien ziehen mit
Natürlich geht es noch dümmer… immer dann, wenn die Medien dabei mithelfen. Sie sollten sich was schämen die Redaktionen die für Fernsehen, Zeitung, Internet und Radio das schmutzige Spielchen betreiben. Natürlich gibt es ein paar einsame Streiter die sich an ihre journalistischen Grundsätze erinnern. Aber dieser Anteil fällt denkbar klein aus.
Und wie immer geht es gar nicht wirklich um Zahlen, sondern um Gefühle. Es geht nicht um Aufklärung, nicht einmal um die Wahrheit, sondern darum, was wir aus ihr machen. Wir lassen uns emotionalisieren und gegen andere Gesellschaftsgruppen aufbringen. Wir lassen den schwelenden Zorn kanalisieren und laufen wie am Nasenring entlang der demagogischen Spur die uns die Medienakteure legen. Es geht nicht um Zahlen, sondern um Gefühle, um Propaganda und eine emotionalen PR-Strategie der sich der Großteil der journalistischen Kaste anheim stellt, natürlich ohne dabei auf arrogante Selbstinszenierung zu verzichten.
Da werden uns schlotternde Menschen gezeigt – am besten mehrere Hintereinander – die ihrer Angst vor Ausländern Ausdruck geben. Und man weiß genau, welche Zeitung sie lesen, da ja ein Großteil des Gesagten fast wörtlich nachgeplappert wird. Und für jeden ist etwas dabei: Für Bildungsmuffel gibt es einprägsame Slogans und schlichte Erklärungen, die sich aber vorzüglich merken und später ausposaunen lassen. Für den Bildungsbürger gibt es gediegene Erklärungen mit einem Zierrat erklärungspädagogischer Ermahnungen. Hier glaubt man sich schlau, und kann sich gar nicht vorstellen, dass dies nicht viel mehr ist als PR, als der Versuch bürgerliche Ängste freizulegen, ist. Na, und für die Bildungselite gibt es dann gediegenere Zusammenhänge, den Blick aufs große Ganze, nicht selten verquast mit einem schalen Blick auf die Nichtsahnenden „Unterschichten“, denen die selbsternannte Elite nun mal zu sagen hat wo es lang geht. Wenn man sich jedoch mit den Texten etwas beschäftigt, dann sieht man hier dieselben Argumentationsstrategien und denselben vermeindlich alternativlosen Lösungsweg, wie bei den anderen. Doch wenn es in einem intellektuellen Blatt steht oder in einer ebensolchen Sendung im TV läuft, dann muss wohl was dran sein…
Die Medien haben nun mehrfach versagt: Zunächst einmal, in dem sie weitläufig das alte System unterstützten und nicht wirklich Interesse an tief greifenden Änderungen hatten. Dann, als sie sich mit einem Erklärungsmodell für die Weltwirtschaftskrise zufrieden gaben, anstatt die Geschütze richtig in Stellung zu bringen. Als Nächstes, als sie bereit waren, sich anstatt dessen lieber mit einer Pseudowertediskussion zu beteiligen und nun, wenn sie sich zu Posaunisten des Fremdenhasses machen. Mal offensichtlich, mal gut getarnt. Das Versagen der Medien in diesen wichtigen Momenten gesellschaftlichen Umbruches ist mit der größte Verlust, den die Demokratie derzeit zu überwinden hat.
Stolz und Vorurteil
Natürlich, es ist leicht sich über andere zu ereifern. Es ist jedoch gar nicht leicht, sich für Menschlichkeit und Solidarität auszusprechen und dann diese Gedanken auf alle anzuwenden. Man denkt sich, dass es Menschen gibt, denen diese Dinge am Hintern vorbei gehen, die allenthalben Häme für Mahnungen übrig haben. Sie sind nicht bereit, darüber mit sich verhandeln zu lassen. Lieber werden die Urheber solcher Forderungen für wirklichkeitsfremd, naiv und damit sogar gefährlich gehalten. Gleichzeitig wird aber mit Moral argumentiert, wird diese sogar lauthals eingefordert. Hier mischen sich Stolz und Vorurteil zu einem giftigen Gebräu zusammen. Einem stinkendem Pfuhl, der alles vergiftet was ihm zu Nahe kommt.
Sollten wir aber wünschen, dass die Zukunft unserer Gesellschaft nicht in einem Hauen und Stechen endet und aus latenter Feindseligkeit offene Gewalt entsteht, so muss dringend die Notbremse gezogen werden. Und wenn Politiker und Medien nicht tun, so muss es die Gesellschaft übernehmen. Der einzige Weg das Kommende durchzustehen ist Gemeinsamkeit, sind Solidarität und Menschlichkeit. Der Mensch ist nicht gerade bekannt dafür dass er der Welt Gutes angedeihen lässt. Er ruiniert die Umwelt, führt Kriege, ist eigensüchtig, egoistisch und voller falschem Stolz auf Dinge die die Lange noch schlimmer, nicht aber besser machen. Vielleicht sollte er mal einen Augenblick innehalten, die kluge Zeitung weg legen, den tönenden Fernseher ausschalten und nachdenken. Nachdenken darüber, wie er als Mensch behandelt werden will und dieses dann auf sein Verhalten übertragen.
Ohne gemeinsame Werte zerfällt die Gesellschaft und deswegen ist die Zeit heute so wichtig. Wir alle sind Opfer eines gigantischen Finanzverbrechens – zumindest der größte Teil von uns. Wir sind Opfer eines hoch gezüchteten Lebensstils der sich nur noch durch Besitz definiert, den Besitz von Geld, Macht, Wissen… Dabei sind dies genau die Dinge die uns nicht weiter bringen. Es ist Zeit sich vor jeden zu stellen der in der Gesellschaft nun geächtet wird, der zum Sündenbock gemacht werden soll. Jeder der das nicht tut, ist letztlich Teil der gesellschaftlichen Zerstörung. Egal, ob er in kulturellen Fragen bewandert ist, sich in der Kunst und den schönen Dingen des Lebens auskennt, sich vor anderen zu inszenieren weiß. Die Werte der Zukunft müssen komplett andere sein – und die Antwort auf die Frage, wie wir mit Andersdenkenden, mit Fremden, mit anderen Kulturen, überhaupt mit anderen Menschen umgehen, wird dafür der Gradmesser sein. Hier müssen wir uns von politischen, wirtschaftlichen und medialen Einflüssen frei machen und ganz einfach auf unser Herz hören.
Solange wir es nicht verstehen, zu Beschützern der Schwachen und Minderheiten (womöglich beides in einer Person) zu werden, ist all unser Gerede über Konservativismus, über nationale Gefühle, über Werte und Moral keinen Cent wert. Es gilt nicht nur die Rhetorik der Brandstifter zu entlarven und deren Absichten freizulegen, sondern gleichfalls den Biedermann zu stärken, ihm zu zeigen dass es Auswege aus dem Dilemma gibt – und vor allem: das wir zusammen halten und auch ihn nicht fallen lassen. Ansonsten erleben wir vielleicht ein Stück unserer eigenen unrühmlichen Geschichte wieder. Und wir verbringen die Zeit dorthin damit zu streiten und uns gegenseitig zu verachten, anstatt endlich (endlich!) das Problem anzupacken – und gemeinsam, als Gesellschaft daran zu wachsen. Denn wie heißt es doch so passend: „Wer Wind sät, der wird Sturm ernten!“
Bildquelle:
Pixelio.de, StephanieHofschlaeger
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