Wir verlernen die Fähigkeit bewusst zuzuhören, meint der Sound-Experte Julian Treasure. Das ist schlimmer, als es vielleicht klingt.
Bewusst und gekonnt zuhören, ist die Basis für Verständnis. Verstehen wiederum ist die Basis für Empathie, Kreativität und letztlich auch Frieden. Streit, unauflösliche Konflikte, ja sogar Kriege können nur entstehen, weil sich zwei (Partner, Gruppen, Länder) nicht mehr zuhören und folglich auch nicht mehr verstehen.
Was uns vom Zuhören ablenkt
Doch in einer Umgebung des „Information Overflow“ – des Überflusses an sicht- und hörbaren Informationen – gleicht es geradezu einer Notwehrreaktion, sich dem genauen Zuhören immer mehr zu verschließen. Ein gutes Extrembeispiel dafür sind Kopfhörer. Die ideale akustische Abschottung. Doch was passiert, wenn wir uns von einander trennen?
Den meisten von uns ist auch nicht bewusst, welche Filter in uns darüber entscheiden, was wir hören und was nicht: Unsere Kultur, Sprache, Werte, Glaubenssätze, Haltungen, Erwartungen und Intentionen bestimmen darüber, was wir wahrnehmen – und wie wir es wahrnehmen. Treasure geht davon aus, dass wir nur 60 Prozent unserer Kommunikation dem Zuhören widmen. Und dass wir nur 25 Prozent von dem tatsächlich bewusst erfassen, was wir hören.
Bewusst hören lernen
Es geht also nicht so sehr darum, immer alles genau zu hören – sondern um die Fähigkeit, sich den eigenen Grad und der eigenen Position des Zuhörens bewusst zu machen. Treasure empfiehlt dafür fünf verschiedene Übungen, die sich leicht in den Alltag einbauen lassen:
1. Genieße die Stille
Schon drei Minuten bewusste Stille am Tag reichen, um die Fähigkeit des bewussten Zuhören zu trainieren. Dies ermöglicht es Dir, Dein Zuhören quasi noch mal neu zu kalibrieren und den Unterschied zwischen Stille und etwas Hörbarem bewusst zu machen.
2. Schalte den Ton-Mixer ein
Ob Du Dich nun in einer ruhigen oder lauten Umgebung befindest: Versuche einmal, die verschiedenen Ton-Kanäle zu unterscheiden, die Du hören kannst. Welche unterschiedlichen Ton-Arten hörst Du? Was sagt Dir das über den Raum und die Zeit, in der/dem Du Dich gerade befindest? Und woher kommt welche Tonquelle?
3. Entdecke Deine Lieblingstöne
Deine Umgebung ist voller Töne. Welche davon findest Du besonders spannend, schön, interessant oder inspirierend? Deine Waschmaschine im Schleudergang? Deinen Expressokocher, wenn er gurgelt?
4. Finde Deine Hörposition
Aus welcher Perspektive und Position hörst Du anderen zu? Bist Du aktiv oder passiv, analytisch oder expansiv, kritisch oder empathisch etc.? Die Haltung, mit der Du zuhörst, entscheidet ganz wesentlich darüber, wie Du was wahrnimmst. Dabei solltest Du Deine Haltung bewusst wählen können.
5. Übe Dich in RASA
RASA ist ein Akronym, bedeutet in Sanskrit aber auch „Essenz“. Es steht für:
- Receive: Sei aufmerksam gegenüber den anderen
- Appreciative: Bringe den anderen Wertschätzung entgegen
- Summerize: Fasse das, was Du gehört hast, zusammen
- Ask: Stelle Fragen und versuche wirklich zu verstehen
Fazit
Julian Treasure hat sein gesamtes Leben dem Zuhören gewidmet. So weit will sicherlich nicht jeder gehen. Doch ich stimme ihm zu, wenn er meint, dass nur diejenigen ihr Leben tatsächlich vollkommen ausleben können, die auch zuhören können. Denn nur dann können wir unsere Kreativität entfalten. Und nur dann können wir in Frieden und Harmonie mit uns, anderen Menschen und der Natur leben.
Links zum Thema: Zuhören lernen
- Ted-Talk mit Julian Treasure: https://www.ted.com/playlists/92/listen_up
- Homepage von Julian Treasure: http://www.juliantreasure.com/
- Intuition: Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft…
Bildquelle: Quinn Dobrowski (flickr)
Ich kann dies nur bestätigen und über mich im hinhören 🙂
Das ist das Stichwort. Denn in unserer sprach sagen wir immer zuhören… Aber dann machen wir die ohren zu. Von der Wirkung wenn ich vom hinhören spreche ist deutlich merkbar. Ich bin dann aufmerksamer. Übe mich im Alltag vom hinhören zu sprechen auch wenn ich meiner Tochter Geschichten vorlese. Gar nicht so leicht da das Wort zuhören doch sehr stark verankert ist 🙂 liebe grüße
Hallo,
vielen Dank für deinen Kommentar über den ich mich doppelt freue:
1. Ja, du hast recht, das habe ich noch nicht so richtig bedacht. Da werde ich ab heute auch dran üben .-)
2. Ich hatte den Beitrag insgesamt gar nicht mehr im Kopf und das ist heute eine schöne Entdeckung, dass ich den einmal geschrieben habe!