Wer frei und selbstbestimmt leben möchte, muss zunächst einmal untersuchen, wie die Strukturen aussehen, die ihn oder sie umgeben – und ob diese Strukturen ihn oder sie in seiner oder ihrer Freiheit unterstützen oder behindern. Dabei hilft urbanes Gärtnern.
Es geht darum, Obst und Gemüse zu erzeugen und somit zumindest ein Stück weit unabhängig von der industriellen Landwirtschaft zu sein mit ihren Pestiziden. Es geht darum, sich wenigstens zum Teil selbst zu versorgen und damit unabhängiger von ökonomischen Zwängen zu werden. Es geht darum, gemeinschaftlich mit den Hände tätig zu sein und auf diese Weise das Miteinander zu stärken und die Entfremdung von unserer Umwelt zu reduzieren. Und es geht darum, sich Wissen und Erfahrungen anzueignen, die uns unabhängiger von anderen machen – etwa der Lebensmittelindustrie.
My Green City: Stadtgärten und Freiheit
Über die unzähligen Projekte und Initiativen, die es in dieser Richtung gibt, gibt es ebenso viele Bücher, Websites, Filme und sonstige Informationen. Ein neues Buch mit dem Titel „My Green City: Back to Nature With Attitude And Style“ ist im Berliner Die Gestalten Verlag (DGV) erschienen. Ein überaus bildreicher Band von fast 250 Seiten, der Initiativen und Projekte vorstellt – aber auch die Ideen und Utopien von Architekten, Designern und Künstlern präsentiert, die es in diesem Bereich gibt. Auf diese Weise kann man sich einen guten und inspirierenden ersten Überblick verschaffen – wobei mich ehrlich gesagt mehr (textliche) Information und weniger großformatige Bilder gefreut hätten. Style ist eben doch nicht alles 😉
Hier ein kleiner Überblick über Projekte, die ich einerseits ganz interessant fand, andererseits habe ich versucht, eine Auswahl zu treffen, bei der hoffentlich die Verschiedenheit der Projekte deutlich wird:
Der Prinzesinnengarten in Berlin
Er setzt vor allem auf Mobilität. Wie man in den Bildern sehen kann, dienen Milchtüten oder Bäckerkisten als Planzenkübel. Alles lässt sich abbauen und an anderer Stelle wieder aufbauen. Wie in einem schönen Video über die Initiative zu sehen, kommt es den Organisatoren daneben vor allem darauf an, dass die Prinzessinnengärten nicht abgeschlossen sind – wie etwa Schrebergärten, wo jeder vorrangig seine Ruhe haben will –, sondern ein Treffpunkt für Stadtbewohner sind. Hier kann gemeinschaftlich im öffentlichen Raum gearbeitet werden, was eher selten vorkommt normalerweise. Und es sind erfahrungsgemäß anscheinend auch gerade die Immigranten, die hier durch profunde Erfahrungen aus ihrer Heimat in Sachen Gemüseanbau punkten können. Weitere Infos: http://prinzessinnengarten.net/
The Waterpod
Er ist eine Initiative der New Yorker Künstlerin Mary Mattingly. Sie hat eine Art „städtischen Garten“ auf einem alten Frachter installiert, der durch die Welt zieht und als Beispiel für eine mobile Gartenlösung dienen soll, die auch mit einem steigenden Meeresspiegel klar kommt. Eine Art Mini-Arche-Noah sozusagen. Aber eben auch ein Kunstprojekt. Weitere Infos (unter anderem auch Videos) gibt es unter: www.thewaterpod.org
Brooklyn Grange
Er könnte glatt die Vorlage zu den Gottesgärtnern in Margeret Atwoods Science-Fiction-Roman „Das Jahr der Flut“ (www.yearoftheflood.com/de/) sein (das ich an dieser Stelle übrigens empfehlen kann): Das New Yorker Unternehmen baut auf den Dächern der Stadt Obst und Gemüse an, um es dann an dessen Einwohner zu verkaufen… Trotz der kommerziellen Ausrichtung, ist das Unternehmen aber offen: Schulklassen können beispielsweise die Gärten erkunden oder Freiwillige und Interessierte helfen. Weitere Infos zu Brooklyn Grange gibt es unter: brooklyngrangefarm.com
Fruit City
ist eigentlich kein Stadtgarten in dem Sinne – es ist viel mehr eine Londoner Initiative (mit immer mehr Nachahmern), die Obstbäume auf Google-Map einzeichnen, die im städtischen Raum zu finden sind: Apfel-, Kirsch-, Birnen- oder Quittenbäume. Selbst Feigen- und Pfirsichbäume sind auf die Art schon aufgetrieben und endlich ihrer Bestimmung zugeführt worden. Und wer schon mal von den Obstbäumen profitiert, kann natürlich im Gegenzug Dünger oder Wasser in dürren Zeiten liefern – und hat damit schon fast so etwas wie einen urbanen Garten… Weitere Infos: www.fruitcity.co.uk Für die deutschsprachige Region gibt es übrigens ein Pendant: www.mundraub.org
Fenstergärten oder Windowsfarms
sind dann etwas für Leute, die gar keine Möglichkeit für Flächen unter freiem Himmel haben. Mittlerweile hat auch diese Initiative eine weltweite Community, die fleißig das System aus Plastikflaschen und Wasserpumpanlage optimiert (aktuell ist derzeit die Version 3). Dazu kann man sich entweder Baupläne herunter laden oder komplette Sets zum selbst zusammen bauen kaufen. Weitere Infos: www.windowfarms.org
Moosgraffiti und Seedbombs
sind dann vielleicht noch etwas für diejenigen, die meinen, dass dieses ganze friedliche Gärtnergetue allein nicht reicht – und die ihre Meinung vielleicht etwas „schlagkräftiger“ zum Ausdruck bringen wollen: sie können zum Beispiel mit Moos allerlei Slogans und Parolen umweltfreundlich auf Wände und Flächen anbringen – oder mit Samenbomben (also Samen in einem Erde-Dünger-Gemisch zu einer Kugel geformt) für Überraschungen und eine hoffentlich explodierende Blütenpracht sorgen. Anleitungen dazu findet ihr unter: www.guerillagaertner.com
P.S. Wer sich nun mit dem Wunsch trägt, einen eigenen Stadtgarten anzulegen oder sich an einem bereits bestehenden zu beteiligen, dem empfehle ich zudem, sich mit dem Thema Permakultur auseinander zu setzen. Die Philosophie wurde in den 1970ern von den Australiern Dr. Bill Mollison und David Holmgren entwickelt und setzt sich systemisch mit unserem Umgang mit der Natur (und uns) auseinander. Infos dazu gibt es zum Beispiel auch hier bei Wikipedia.
Hier noch die bibliografischen Angaben zum o.g. Buch, in dem es natürlich noch viele, viele weitere interessante Projekte zu finden gibt:
My Green City. Back to Nature with Attitude and Style
R. Klanten, S. Ehmann, K. Bolhöfer
240 Seiten, Englisch, ISBN 978-3-89955-334-5, 38,00 Euro
https://shop.gestalten.com/index.php/catalog/product/view/id/3992
es ist schön zu sehen, dass sich noch Leute Gedanken über die wichtigen grünen Zonen in unseren grauen Städten machen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Vielen Dank für die tollen Eindrücke.
Hallo reset: super, danke für den Hinweis. Hab ich oben noch mit eingefügt! Gruss, iLona
Sehr schöner Artikel! Auch für Deutschland gibt es eine Website, die Obstbäume anzeigt, die jeder abernten kann: mundraub.org! Schöne Grüsse