Viele kennen den Ex-Außenminister noch als rastlosen Vielflieger – von dem mal gesagt wurde, er würde sich irgendwann am Flughafen selbst begegnen. Jahre nach seiner Zeit in der aktiven Politik taucht Hans-Dietrich Genscher nun wieder auf, in Zeitungsinterviews, in Talkshows und Stammtischrunden, und spricht sich im Zusammenhang mit Finanzkrise und US-Wahlkampf (teils sehr leidenschaftlich) für eine „neue Weltordnung“ aus. Vergessen scheint, dass eben diejenigen, die unsere Welt erst an den politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Abgrund brachten, sich nun auserkoren fühlen, diese Ordnung zu etablieren. Denn eine solche Weltordnung existiert in groben Zügen bereits: Wer sich die Politik der Welthandelsorganisation (WTO) oder die expansive Durchsetzung von Interessen der global aufgestellten Konzerne näher anschaut, wird dort nichts anderes finden als das, was nun auch institutionell legitimiert werden soll.
Die Idee einer gerechten Welt erscheint logisch, genauso wie die Tatsache, dass die globalen Probleme nur global zu lösenr sind. Doch wer nimmt nun die Zügel in die Hand? Wer soll das Sagen haben? Ich sehe gerade am Kiosk den Titel des neuen Spiegel, der Barack Obama als „Weltpräsident“ anteasert. Wer also glaubt, der Spuk der globalen Weltelite und der ungetrübte Glaube an Demokratiezuwachs durch Marktliberalisierung sei vorbei, könnte sich grob getäuscht haben.
Genscher spricht im Phoenix-Interview offen aus, was manchem das Blut in den europäischen Adern gefrieren lässt:
„Europa hat die Verantwortung, den Weg zu zeigen. Ich glaube, was Europa nach dem II. Weltkrieg getan hat, kann eine Blaupause sein für die Gestaltung einer neuen Weltordnung.
Einer der Gründe für den großen Erfolg der europäischen Einigung ist die Tatsache, dass die großen Länder ihren Anspruch auf eine Vormachtstellung aufgegeben haben. Dass sie völlig gleichberechtigt sind innerhalb der Europäischen Union. Das ist ein Modell auch für die neue Weltordnung.“
So so. Ein Europa, dessen Funktionäre sich noch nicht einmal bereit erklären, auf ein Volksvotum einzugehen (siehe Irland, Frankreich, Holland), dass einen Grundlagenvertrag anstrebt, ohne dass sein Volk hier auch nur ein wörtchen mitzureden hat, dass militärische Optionen zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen anstrebt und sich von der Basis einer auf Menschenrechte gegründeten Philosophie verabschiedet – sollte (und darf) dieses Europa tatsächlich ein Vorbild sein für eine globale Ordnung?
Was soll geschehen?
Beim Sonntags-Stammtisch auf BR sprach Genscher heute von einer „Weltnachbarschaftsordnung“, ohne allerdings eben jene Nachbarn zu nennen, auf deren Kosten die westlichen Industrienation ihren Reichtum begründeten und begründen. Ohne auf den Druck einzugehen, den reine Wirtschaftsinteressen auf unwillige Länder, z.B. in der „Dritten Welt“ ausüben. Ohne von den Handelshemnissen, Patent- und Lizenzrechten oder auch militärischen Interventionen zu sprechen, die schon seit Jahren eben die schwächsten Länder der Erde – unsere Nachbarn – bedrohen.
Herr Genscher spricht auch Wahres: So fordert er eine sofortige Wideraufnahme von Abrüstungsgesprächen und unterstützt ebenso Bestrebungen eines vollständigen Abbaus der atomaren Waffensysteme. Er fordert die mächtigen Staaten auf, auch die Schwachen an den Tisch zu holen. Er betont zu Recht, dass wir uns endlich an die globalen Lösungen für die großen Probleme der Zukunft machen. Doch so wie er in der Figur „Barack Obama“ durchaus eine Lichtgestalt des großen Wandels zu sehen scheint, so verschweigt er uns auch, dass weder die Politiker allein entscheiden, wo es politisch hin geht. Noch benennt er diejenigen, welche nicht nur bei uns – sondern ganz besonders auch in den USA – die Macht in den Händen halten.
Wenn man davon ausgeht, dass bis heute nicht so ganz klar ist, wem zum Beispiel die Zentralbanken wirklich gehören – der Staat ist es nicht… Wenn man davon ausgeht, dass die großen Banken, für deren Eskapaden weltweit die Bürger zu haften haben, sich ebenso in privaten Händen befinden… Wenn man davon ausgeht, dass es anscheinend keines UN-Mandats mehr bedarf, um in fremde Länder einzufallen… Wenn man davon ausgeht, dass der Bock schon lange zum Gärtner gemacht wurde, dann fällt es schwer zu glauben, dass diese (durchaus wünschenswerte) Weltordnung eben nicht eine Ordnung der Weltbürger wird, sondern vielmehr eine gigantische Institutionalisierung von Kontrollinstanzen. Dann sieht alles schon ganz anders aus. Eine Weltgemeinschaft, ja! Ein Weltgewissen, ja! Aber eine Weltelite, die sich anmaßt, Weltfinanzen, globalen Umweltschutz, militärische Aktivitäten, aber auch die Definition von Demokratie allein zu übernehmen, könnte mehr Probleme bringen als sie löst.
Ein Dilemma entsteht
Natürlich tut es gut zu hören, dass endlich die Gerechtigkeit obsiegen soll, dass endlich Vernunft und Menschenrechte die Geschicke unseres Planeten bestimmen sollen. Doch was geschieht wirklich? Ist es nicht viel eher so, dass die Weltwirtschaftskrise eine gigantische Enteignung mit sich brachte. Kleine Banken, ja ganze Staaten wurden in den Ruin getrieben und sind nun auf genau diejenigen angewiesen, die das Problem erst los getreten haben. Eine unglaubliche Summe wurde in die Hände der Globalisten gespült, Geld für das wir alle gerade stehen.
Und ist es nicht viel eher so, dass es die großen Industrien waren, die sich in der Vergangenheit nicht sonderlich um ökologische Erwägungen kümmerten und hier (im wahrsten Sinne des Wortes) verbrannte Erde hinterließen? Ist es nicht so, dass auf allen Kontinenten (!) Demokratie und soziale Strukturen ständig abgebaut wurden? Die Realität sieht anders aus und wer denkt, dass die Verursacher mit eingezogenen Köpfen das Feld verlassen haben, der irrt. Denn sie sind mächtiger als je zuvor.
Wir sollten uns nicht durch schöne Reden einlullen lassen. Denn was ist denn beispielsweise aus der „Vorreiterrolle“ Deutschlands oder Europas in Sachen Klimaschutz geworden? In aller Öffentlichkeit (G8 und Klimaschutzkonferenz in Bali) werden große Töne gespuckt. Zuhause in Brüssel und Berlin werden unter Druck der Lobbyisten nicht nur die Bestimmungen und Ziele aufgeweicht, bis von einer Vorreiterrolle nicht mehr die Rede sein kann – es wird auch noch ein (in dieser Hinsicht) kontraproduktives Konjunkturprogramm hinterher geschoben!
Also: Vordergründig ist der Wunsch nach einer neuen Weltordnung durchaus berechtigt. Doch wir dürfen uns diese Ordnung nicht von oben diktieren lassen. Es muss eine Ordnung sein, die von allen Menschen, allen Völkern und von allen Unterdrückten geschaffen und getragen wird. Wir müssen uns an dieser Ordnung beteiligen und dürfen nicht darauf vertrauen, dass „die da oben“ das alles schon so richtig machen werden (wie sie es in ihren Reden anscheinend wollen). Wir dürfen uns nicht der Sehnsucht nach einer Führung hingeben, die für uns die Probleme lösen soll. Das hat – nicht nur in der Geschichte Deutschlands – in der Regel nicht zu den erhofften Verbesserungen geführt (wer sich genauer mit den Politikstrategien im Gefolge von Katastrophen auseinander setzen will, dem sei an dieser Stelle nochmals das Buch „Schock Doktrin“ von Naomi Klein empfohlen). Es würde uns wahrscheinlich auch diesmal eher ein globales Chaos bescheren.
Dies sollten diejenigen wissen, die im Moment die Gunst der Stunde nutzen möchten. Denn nicht nur Herr Genscher beschwört in diesen Tagen eine Fantasie, die schon so manchen Heilsverkünder (mit schönsten Versprechungen) an die Macht und das Volk in den Ruin getrieben hat.
Wann immer also ein Politiker oder Wirtschaftsvertreter nach einer neuen Weltordnung ruft, sollten wir immer etwas genauer hinschauen, was er selbst tut, um die Welt zu verbessern…
Bildquelle:
Stephanie Hofschlaeger, Pixelio.de
Der Artikel bringt es auf den Punkt. Wir sollten aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten! Und wir sollten darauf achten, wie weit Worte und Taten auseinander liegen. An den Worten erkennen wir „sie“ nicht, sondern an den Taten.
Wir brauchen eine Weltgemeinschaft. Aber dann bitte schön eine, die von den Menschen ausgeht und die von NGOs und (bekanntermaßen) klugen Köpfen getragen wird. Keine „Glocke“ von oben.
Das gab es schon zu häufig in der Geschichte und endete immer fatal.
Gregor