Vor über zehn Jahren wandelte sich Adam Hyde vom Medienkünstler zum Verfechter freien Contents und Co-Autoren zahlreicher Handbücher über freie OpenSource-Software. Ein Gespräch über Book-Sprints.

»Ich hatte damals viel mit freien Radio-Sendern zu tun und experimentierte entsprechend mit freier Software für Streaming-Codecs und -Servern«, erklärt er. Nicht lange und er leitete Workshops über die Nutzung freier Software. So sammelte er jahrelang immer mehr Wissen an, das er eines Tages im Internet veröffentlichte – und zwar so, dass jeder User getreu dem Gedanken des OpenSource die Bücher weiter entwickeln kann: Floss Manuals. Mittlerweile hat sich um das Thema herum eine richtige Community entwickelt. Wir sprachen mit Adam über die Rolle der Schwarmintelligenz beim Bücherschreiben und die Zukunft des freien Verlegens.

Du hast Floss Manuals ins Leben gerufen. Was findet man auf der Plattform?

Floss Manuals ist eine ganze Reihe von Dingen. Als erstes findet man auf der Website natürlich eine ganze Palette an Handbüchern, mit denen man sich die Nutzung von freier Software entweder selbst aneignen kann – oder die man für Schulungen etc. verwenden kann. Das ist sozusagen das Frontend-Office: die Manuals in verschiedenen Formaten und Übersetzungen.

Das andere ist die Community die dafür sorgt, dass die Handbücher überhaupt entstehen. Derzeit gibt es rund 3.000 registrierte Mitglieder. Davon ist natürlich nur ein kleiner Prozentsatz sehr aktiv. Aber da hat sich schon eine gute Community entwickelt, die kollaborativ an den Dokumentationen arbeitet.

Einige Bücher sind in sogenannten »Book Sprints« entstanden. Was ist das?

Entstanden ist die Idee, als ich Floss Manuals vor einigen Jahren in Budapest auf einer Konferenz vorstellte. Dort traf ich einen Typen, der den Begriff »Book Sprint« geprägt hat. Er hatte mit ein paar anderen Leuten zusammen ein Buch geschrieben. Zunächst per E-Mail und dann, indem sie sich für eine Woche trafen und einen ersten Entwurf ausarbeiteten. Danach schrieben sie das Buch weiter, indem sie Abschnitte per E-Mail austauschten und überarbeiteten. Das dauerte insgesamt neun Monate, was für ein Buch mit einem solch komplexen Thema (es war ein Buch über freie Radiosender) eine recht kurze Zeit ist.

Wir hatten damals nicht viel Zeit, um miteinander zu sprechen und so hatte ich den Typen glatt falsch verstanden: Ich dachte, er und die anderen hätten in der einen Woche das gesamte Buch geschrieben! Das hat mich total begeistert. Und als ich wieder zuhause war, organisierte ich deshalb genau so etwas. Ich bekam von Google eine kleine Finanzierung. Relativ wenig Geld, aber genug, um fünf Leute nach Paris zu bringen. Da saßen wir dann um den Tisch herum und ich erzählte ihnen, dass man tatsächlich in einer Woche ein Buch schreiben kann – es sei schon gemacht worden … was ja eigentlich gar nicht der Fall gewesen war (lacht).

Fünf bis zehn Experten, eine Unterkunft, Verpflegung und jede Menge Diskussionen – so kann man mit Hilfe eines Book Sprints in einer Woche ein komplettes Handbuch schreiben.

Wie laufen Book Sprints ab?

Das ist im Grunde ganz einfach: Man bringt fünf bis zehn Leute in einem Raum zusammen, indem sie sich gegenüber sitzen und gemeinsam an den Texten arbeiten. Optimal ist es, wenn man dafür ein Haus hat – ein Ferienhaus zum Beispiel. Wo man gemeinsam kocht, wohnt, schläft, spazieren geht, Spaß hat und vor allem eben auch an dem Buch schreibt.

Dann entsteht eine Atmosphäre ähnlich wie bei einer Klassenfahrt. Es entwickeln sich sehr enge Verbindungen zwischen den Autoren und sehr reichhaltige Unterhaltungen. Ich als Organisator versuche dieser Woche eine Struktur zu geben, in der die Leute diese Energie heraus lassen – und ein komplettes Buch produzieren können.

Wenn am Anfang alle zur Tür rein kommen, dann kennen sich die Leute vielleicht schon – vielleicht aber auch nicht. Es gab in der Regel noch keinerlei Vorrecherche oder Vorproduktion. Es gibt nur die Idee und das gemeinsame Interesse an diesem Buch. In den ersten drei Stunden zeichnen wir normalerweise die Umrisse des Buchs und legen die Kapitel fest. Dann legen wir los. Dabei gibt es nicht diese klassischen Autoren-Egos. Alle schreiben gemeinsam an allem. Jeder kann den Text eines anderen überarbeiten und verbessern. Meiner Erfahrung nach ist das sehr produktiv und die Leute gehen immer sehr respektvoll mit den Texten der anderen um: In der Regel besprechen sie die Änderungsvorhaben die größer sind, vorher mit dem Originalautor. Das führt zwangsläufig zu Diskussionen und so gewinnen die Bücher inhaltlich sehr viel.

Ja, und am Ende der Woche – Freitag um 18 Uhr – drücken wir den »Publish«-Button der kollaborativen Software, die wir dafür nutzen. Und das war es! Wir haben innerhalb weniger Minuten ein vorformatiertes PDF, das wir dann bei der Publishing-Plattform Lulu.com hochladen oder als E-Publikation veröffentlichen – was immer wir möchten.

Heißt das, dass »Book Sprints« tatsächlich wie die Sprints der agilen Software-Methode organisiert sind?

Nein. Den Vergleich mit Scrum mag ich eigentlich auch gar nicht so sehr. Das wird zwar oft verwendet, wenn man über Book Sprints redet. Aber bei Scrum greift man sich ein kleines Detail heraus, an dem man arbeitet – zum Beispiel eine Funktion einer Software. Das heißt, das Team, das daran arbeitet, entfernt sich quasi vom zentralen Team der Software-Entwicklung und stößt nach Beendigung ihres Sprints wieder dazu.

Bei Book Sprints ist das ganz anders: Anfangs gibt es noch gar kein Team (bei Scrum gibt es das immer). Man setzt sich hin und entwickelt gemeinsam das komplette Ding – nicht nur eine Komponente, sondern das gesamte Buch! Also die Methode Scrum ist wirklich interessant aufgrund ihrer Dynamik. Aber da hört es auch schon auf, was die Analogie zu Book Sprints betrifft.

Meiner Meinung nach wären „Unconferences“ das, was Book Sprints noch am nächsten kommt. Auch hier sind es nur die Teilnehmer, die die Unconference möglich machen. Jeder ist gleichwertig – alle schaffen gemeinsam die Veranstaltung. Bei Book Sprints ist das ähnlich: man setzt sich hin und entscheidet, wie das Buch sein wird – denn diese Menschen sind die einzigen, die es realisieren können.

So sehen die Bücher aus, die man mit dem Collaboration-Tool booki.cc erstellen kann. Hier zum Beispiel das Floss Manual für das OpenSource-Betriebssystem »Sugar«, das auf den 100-Dollar-Laptops läuft.

 

Für das kollaborative Schreiben habt ihr sogar ein Online-Tool entwickelt, das sich Booki.cc nennt. Heute gibt es das noch in einer Alpha-Version – wann wird es die erste Beta-Version geben?

Ja, das stimmt – es befindet sich zwar noch im Alpha-Stadium, aber das ist eher unsere Art zu sagen, dass es sich noch im Entwicklungsprozess befindet. Es funktioniert aber schon komplett. Wir nutzen es fast täglich für unsere Arbeit.

Welche Funktionen hat Booki.cc?

Viele, viele (lacht). Wer sich registriert hat, kann ein Buch erstellen. Dann kann man mit einem WYSWYG-Editor anfangen die Kapitel zu erzeugen. Es ist wirklich sehr simpel, einfacher als ein Wiki. Die meisten finden sich sofort intuitiv zurecht. Anschließend kann man Versionen von Büchern erstellen, man kann sie klonen – zum Beispiel für Übersetzungen. Man kann Bücher zwischen verschiedenen Booki-Clients austauschen und so gemeinsam an einem Buch arbeiten.

Es gibt Funktionen, mit denen man die Lizenzen eines Buches regeln oder manche User blocken kann. Über eine History kann man die verschiedenen Versionen des Buchs durchsuchen. Man kann anderen Usern und ihren Aktivitäten per RSS folgen. Man kann ein Buch einer Gruppe hinzufügen oder Gruppen um Bücher bilden. Man kann die Bücher nach E-Pub exportieren – das ist das offizielle Format für E-Books. Man kann die Bücher aber auch nach XHTML exportieren, sodass man Websites aus den Büchern erstellen kann. Oder man kann sie als PDF-Dateien ausgeben – jeweils mit bidirektionalem Text. Das heißt wir können zum Beispiel auch arabische Bücher produzieren.

Soviel zu den ganzen Funktionen, die sich ums Büchermachen selbst drehen. Darüber hinaus haben wir seit zwei Tagen noch ein Micro-Messaging-System integriert. Das heißt booki.cc ist auch ein Soziales Netzwerk – genauer gesagt ein soziales Produktionsnetzwerk, indem man sich gegenseitig sehr einfach in den Arbeitsablauf einbinden kann. Wenn ich zum Beispiel mit dem Schreiben eines Kapitels fertig bin, kann ich Dir ganz einfach eine Nachricht mit einem Auszug aus dem Kapitel schicken – das Messaging-System hat einen WYSWYG-Editor – und Dich bitten, diesen Ausschnitt zu übersetzen oder gegen zu checken. Das Ziel ist es, den gesamten Prozess zu vereinfachen und zu minimieren: Wenn man an einem Buch arbeitet, kann man andere im Netzwerk kontaktieren und sie um einen kleinen Gefallen bitten – sie müssen nicht gleich ein ganzes Buch oder Kapitel mitschreiben. Zu diesem Zweck gibt es Buch-Tags, Hash-Tags und Group-Tags.

OpenSource ist für viele das Hoffnungsmodell für eine andere Art des Wirtschaftens, indem Kollaboration, Teilen und Teilhaben wichtiger ist als Profit. Lässt sich das Prinzip denn auf die Publishing-Branche übertragen – so wie ihr das macht?

Das Modell der Social-Production ist tatsächlich sehr interessant, denn der grundsätzliche Ansatz ist der, dass die Leute nur dort Energie in Verbesserungen investieren, wo diese auch tatsächlich gebraucht werden. Das Gleiche könnte man auch auf Bücher übertragen: Wenn Du zum Beispiel ein Buch übers Bloggen brauchst, warum solltest Du es dann nicht gemeinsam mit anderen produzieren? Dann kann man es entweder komplett frei zur Verfügung stellen – oder es zu einem Verlag bringen…

Für mich ist natürlich der interessanteste Gedanke der, es anschließend als »Free Content« zu veröffentlichen. Booki.cc zielt ganz klar darauf ab. Das heißt, man muss eben vorher jemanden finden, der Dich dafür bezahlt, dass Du das Buch schreibst. Ich glaube, das ist das Modell der Zukunft. Sicherlich wird das nicht immer funktionieren – aber oft. Also zum Beispiel ist es sehr sehr schwierig für einen jungen Schriftsteller, einen Verlag davon zu überzeugen, dass er ihn finanzieren soll. Noch schwieriger dürfte es werden, Leute zu überzeugen, die nicht in der Verlagsbranche zuhause sind. Aber es ist nicht unmöglich.

Wenn man sich anschaut, was die Crowdfunding-Plattform kickstarter.com etwa bereits ermöglicht hat, dann ist das doch schon mal ein ganz guter Vorschlag, wie auch das Publizieren in Zukunft laufen könnte. Wir haben das schon mal mit einem Buch für Floss Manuals gemacht und es hat funktioniert: Wir haben auf diese Weise einige Tausend Dollars zusammen bekommen. Sicherlich nicht viel Geld, aber es reichte, um das Buch zu ermöglichen.