Gerald Hüther ist einer der bekanntesten Gehirnforscher Deutschlands und bislang vor allem aufgrund seiner Kritik am herrschenden Bildungssystem in die Schlagzeilen geraten. Nun befasst er sich mit der Frage, inwieweit unser Zusammenleben unsere Gehirnstrukturen beeinflussen – und umgekehrt.

Was ist eigentlich eine Kommune?

>>Eine Kommune, das ist weit mehr als eine Verwaltungseinheit, das sind wir alle<<, lautet Hüthers lapidare Antwort. Doch in ihr verbirgt sich mehr Tiefe, als so manchem vielleicht lieb sein mag. Denn eine Kommune ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Gemeinschaft. Das könne, so Hüther, eine Familie, ein Dorf oder eine Stadt sein. Und sie ist im besten Fall der Lernort, an dem wir alle – aber vor allem natürlich Kinder und Jugendliche – lernen: Lernen, wer wir sind, worauf es im Leben ankommt und wie wir unser Zusammenleben und unsere Welt gemeinsam gestalten können.

Kommunen, das sind heutzutage und hierzulande aber vielerorts Gemeinschaften, in denen keine kreative, in die Zukunft gerichtete, gemeinschaftliche Aufbruchstimmung herrscht. Es sind Verwaltungseinheiten, in denen es den Menschen vor allem darauf ankommt, das bisher Erreichte zu bewahren und zu halten. Hier gedeiht keine Innovation, kein Miteinander und keine echte Weiterentwicklung – orientiert an den wahren Problemen unserer Gemeinschaft. Hier sprießt vielmehr Besitzstandsdenken, Konkurrenzkampf und Missgunst.

Warum Kommunen unser Denken prägen

Nun sind Kommunen – wie bereits gesagt – laut Hüther die wichtigsten Lernorte für uns und unsere Kinder. Denn laut Hüther kann man niemanden >>bilden<<. Man kann nur Umstände schaffen, in denen bestimmte Erfahrungen möglich sind. Doch welche Erfahrungen machen Kinder und Heranwachsende in einer Gemeinschaft, in der Konkurrenzdenken, Machterhalt und Bewahrung von Privilegien im Vordergrund stehen? Kinder und Heranwachsende lernen natürlich, dass es nichts bringt, sich in einer Gemeinschaft zu engagieren, mit einander etwas zu erreichen und sich um einander zu kümmern – ja, viele werden vielleicht sogar bezweifeln, dass es überhaupt möglich ist.

Das Unpraktische ist nun, dass sich genau diese Erfahrungen in den Gehirnen von Menschen in Form neuronaler Vernetzungen manifestieren. Je jünger wir sind, desto tief greifender sind diese Verschaltungen. Je älter wir sind, desto schwieriger ist es, sie umzupolen. In jedem Fall aber sorgen diese Verdrahtungen für Überzeugungen und eine bestimmte Wahrnehmung der Welt. Das wiederum führt dazu, dass sich die Welt auch in ebendiese Richtung entwickelt. Wer eine feindliche und unwirtliche Umwelt erwartet, der erschafft sie zugleich auch.

Community Education: Die positive Kraft der Kommune

Umgekehrt können gut funktionierende Kommunen aber auch Gehirnentwicklungen ermöglichen, die wiederum zu einer stärkeren, kreativeren und stabileren Gemeinschaft führen. Wichtig ist laut Hüther dazu vor allem, Kindern und Jugendlichen die Lernorte zu bieten, die sie dazu brauchen. Und das sind Erwachsene, die es Kindern ermöglichen, eigene Erfahrungen zu machen. Das setzt voraus, dass die Mitglieder Kommune ihre Fähigkeiten wertschätzen – und dass sie tatsächlich die Möglichkeit haben, in der Kommune etwas zu bewirken, ernst genommen und gebraucht zu werden.

Wenn Kinder und Jugendliche diese Erfahrungen machen können – und zwar nicht in punktuellen, zeitlich befristeten Projekten, sondern als essentielles Fundament der Gemeinschaft –, dann können sie sich zu Erwachsenen entwickeln, für die eigenständiges, eigenverantwortliches und dennoch gemeinschaftliches Handeln eine selbstverständliche Freude ist – und keine illusionäre Utopie weltfremder Idealisten.

Fazit zum Buch

Mit seinem schmalen Büchlein >>Kommunale Intelligenz. Potentialentfaltung in Städten und Gemeinden<< gibt Gerald Hüther interessante Gedankenanstöße, um sich dem Thema >>Kollektive Intelligenz<< (teils auch fälschlicherweise als >>Schwarmintelligenz<< bezeichnet) anzunähern. Die Ansätze sind interessant – sie bleiben aber leider auch an der Oberfläche. Zu pauschal und verallgemeinert beschreibt Hüthers die Entwicklung unserer Kommunen von echten Gemeinschaften – entstanden um tatsächliche Probleme und Bedrohungen in der Gemeinschaft zu lösen – hin zu egozentrischen, auseinander fallen Verwaltungseinheiten.

Obwohl das Taschenbuch nur 125 Seiten lang ist, hat man nach der Lektüre doch einerseits das Gefühl, das Ganze hätte sich auch in wesentlich weniger Sätzen schreiben lassen. Andererseits wünscht man sich, Hüther hätte die roten Fäden noch ein bisschen weiter gesponnen. Hätte sich in vielerlei Hinsicht noch ein bisschen mehr in die Tiefe gedacht. Dennoch: Alle, die sich mit Gemeinschaften, Kollektiver Intelligenz und dem aktuellen Wertewandel beschäftigt, dem sei die kurzweilige Lektüre wärmstens empfohlen.

Buchtipp für eine bessere Welt: Gerald Hüther Kommunale IntelligenzKommunale Intelligenz
Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden
Gerald Hüther
Edition Körber Stiftung
ISBN 978-3-89684-098-1
12 Euro

Vielen Dank an Joachim Jotzo für die Illustration (via Pixelio).