Lupenrein: Gewalt gegen Demonstranten hier und dort und überall?

Seit Monaten demonstrieren die einen für mehr Demokratie – und die anderen bauen sie sukzessiv ab. Nun brodelt es auch in Russland. Und während man in Großbritannien und den USA darüber nachdenkt, die Occupy-Bewegung als Terroristen abzustempeln, überlegen Merkozy sacht, die ohnehin kaum vorhandene Demokratie in Europa abzubauen. Ein Überblick über Bewegungen und Gegenbewegungen.

Manipulation und Korruption

Seitdem in Russland die Ein-Mann-Partei Putins, „Geeintes Russland“, knapp die absolute Mehrheit erlangte, reißen die Proteste im Land nicht mehr ab. Schon am Wahltag waren Videos aufgetaucht, die einen Kamerablick in die Wahlurnen zeigten. In diesen lagen, bereits einen Moment nach Eröffnung des Wahllokals bereits Dutzende ausgefüllte Wahlscheine… Schon im Vorfeld waren Webseiten der Opposition, regierungskritische Nachrichten-Seiten und Blogs massiv gestört worden – und einfach nicht mehr erreichbar:

http://www.youtube.com/watch?v=UgFi0HCiVgQ

http://www.youtube.com/watch?v=Xz2ec4fm3lw

Mittlerweile sind Russlands Straßen voll mit Menschen, die gegen die Manipulation protestieren. Doch ihnen schlägt die  Härte von 50.000 (!) Polizisten und „Spezialkräften“ entgegen. Man fühlt sich an die 50er Jahre erinnert, an den Eisernen Vorhang, an Agenten, Geheimdienste und paramilitärische Schergen. Und das im 21. Jahrhundert! Warum kann ein Russland dieser Tage nicht auf demokratischem Boden gedeihen? Was hat das mit dem „lupenreinen Demokratie“ zu tun, wie sie Ex-Kanzler Gerhard Schröder noch 2004 nannte:

„Er sei sicher, daß Putin Rußland „zu einer ordentlichen Demokratie machen will und machen wird“, meinte Schröder. Das Land habe 75 Jahre kommunistischer Herrschaft hinter sich sowie zehn Jahre, in denen alle Staatlichkeit zerfallen sei. ‚Putin schafft es jetzt, den Staat wieder in seine Funktion zu setzen.“ Es sei klar, „daß dabei nicht alles idealtypisch laufe‘.“

Ganz „automatisch“ gewählt?

Nicht idealtypisch? Das ist eher finsterstes Mittelalter. Hat ein so mächtiges Land wie Russland das nötig? Anscheinend… Denn in den anderen „Reichen“ Ländern läuft es ja nicht anders. Wie viel Demokratie findet man in China (dass hier die Wirtschaft und Politiker, teils auch die Medien so anhimmeln)?

Oder wo ist der Unterschied zur US-Wahl 2004, die George W. Bush „ganz automatisch“ zum Wahlsieg verhalf? Das Problem ist also keinesfalls auf ein Regime, auf eine Wirtschafts- oder Gesellschaftsform begrenzt. Es steckt sozusagen wie der sprichwörtliche Wurm in allen diesen großen Äpfeln. Und lässt sich faul werden.

Occupy = Terroristen?

Ein weiterer, guter Grund sich eingehend mit diesen Systemen auseinanderzusetzen, die einerseits derartige Betrugsszenarien erlauben, andererseits den Betrügern auch noch die exekutive Macht geben, damit durchzukommen. Denn was ist es denn, was wir derzeit überall auf der Welt mit den Demokratiebestrebungen, wie z.B. der Occupy-Bewegung erleben? So hat jüngst die Polizei die Occupy London-Aktivisten einfach mal so als „Terroristen“ klassifiziert. Nur, weil diese das System für ungerecht halten und vor noch größeren Schäden für uns und kommende Generationen warnen wollen. Weil sie mehr Menschlichkeit, mehr Gemeinsamkeit, mehr Gerechtigkeit – eben mehr Demokratie – fordern… sind sie gefährlich. Was ist das für ein Unsinn.

Wohin führt uns eine derartige Interpretation des Wählervotums, wohin dieser Missbrauch der eigenen Macht, wohin die Verurteilung von sozialen Bewegungen, wenn nicht genau dorthin, wovor man durch diese Härte argumentativ offiziell ja bewahren will? Vor dem kompletten Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Deshalb sollte man die sozialen Bewegungen stärken und nicht tatenlos zusehen, wie überall die Grundidee der Demokratie zu Grabe getragen wird – nur weil man sich irgendwie mit dem Zustand arrangieren oder davon profitieren will. Denn das ist ein höchst wackeliges Konzept…

Marek

Schon als kleiner Junge lief ich mit dem Bleistift herum und fragte die Menschen Löcher in den Bauch. Genauso stelle ich mir noch heute einen Reporter vor – wie einen Detektiv mit Schreibblock … Doch die Welt hat sich sehr verändert. Mehr denn je brauchen wir neue Erzählungen, neuen Mut, Gemeinschaften und Vorbilder. Als Medien- und Projektmacher, Journalist und Publizist berichte ich seit 30 Jahren über Themen, die mich bewegen: Demokratie, Technologie, Wirtschaft, Medien, Umwelt- und Tierschutz – motiviert vom Wunsch nach einer besseren Welt für alle.

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