Occupy Stuttgart

Occupy Stuttgart: Gespaltenes Ländle

Occupy Stuttgart – unsere vierte Station. Kaum eine Stadt ist in der jüngsten Geschichte so als Demo-Hochburg durch die deutschen Schlagzeilen gegangen wie Stuttgart.

In Stuttgart gibt es schon seit rund anderthalb Jahren ein Protest-Camp. Kein Wunder, dass wir extrem gespannt ins Ländle gefahren sind: Wir wollten sehen, ob der Disput um den Stuttgarter Bahnhofsumbau das Demokratie-Bedürfnis der Stuttgarter in besonderer Weise angestachelt hat – immerhin ja eines der zentralen Themen der Occupy Bewegung.

Stuttgart – die Demo Hochburg

Das Camp im Schlossgarten ist vergleichsweise riesig: In mehreren Gruppen stehen Iglu-Zelte, Tipis und grob gezimmerte Unterkünfte . Darum herum kleine, liebevoll angelegte Stadtgärten sowie phantasievolle, ausdrucksstarke und nachdenklich stimmende Kunstwerke: An verschiedenen Bäumen hängen Kuscheltiere – in Anlehnung an die Devotionalien, die sich bei berühmten Todesopfern vor den Türen ansammeln. Einige versprengte Parkschützer sprechen mit Passanten. Doch die Stimmung ist angespannt.

Denn in rund vier Wochen findet die Abstimmung statt. Dann soll landesweit entschieden werden, wie es mit dem Streitobjekt S21 weiter geht. Interviews geben die Parkschützer keine. Zu schlecht sind die Erfahrungen der letzten Monate. »Stuttgart ist müde«, bestätigt uns Putte (alias Thorsten Puttenat), einer der Gründer von fluegel.tv, den wir später am Abend zu einem Interview treffen. Klar: mehrmals in der Woche neben der Arbeit und dem restlichen Alltag bei Arbeitsgruppen aktiv sein, zu Demos und Mahnwachen gehen, Info-Stände betreuen und immer wieder reden, überzeugen, argumentieren und sich nicht entmutigen lassen – das zehrt nicht nur mental, sondern auch körperlich an den Kräften.

Occupy Stuttgart – ist die Stadt ausgebrannt?

Entsprechend schwierig ist es, eine Occupy Bewegung in Stuttgart auf die Beine zu stellen. Es gab große Demos am 15. und 22. Oktober. Doch für regelmäßige Aktivitäten scheint momentan die Kapazität Stuttgarts aufgebraucht zu sein. Dennoch gibt es einige Unermüdliche: jeden Tag findet um 17 Uhr auf dem Börsenplatz eine Assamblea statt. Dabei will sich die Bewegung ganz klar vom S21-Protest abgrenzen. »Der Bahnhof spaltet die Stadt. Es gibt die Befürworter und die Gegner – und oft ist es so, dass die einen nicht mehr mitmachen wollen, wenn sich die anderen für eine Sache engagieren«, erzählt uns Marc, den wir auf dem Börsenplatz treffen.

Sie aber wollen gerade alle zusammen bringen – über die Grenzen und Schranken hinweg, die uns 99 Prozent vermeintlich trennen. Das zeigt sich auch einmal mehr in dem Gespräch mit Putte. »Es ist ungemein wichtig, sich gegenseitig als Menschen wahrzunehmen«, hat er aus seinen Erfahrungen mit S21 gelernt. »Und wir müssen uns fragen, wie wir persönlich mit den anderen Menschen umgehen wollen – denn hier fängt die Demokratie an«, erklärt er. Eine Erkenntnis, die wir aus Stuttgart mitnehmen – einer Stadt, die durch einen Interessenkonflikt mittlerweile tief gespalten ist und sich künftig daran machen muss, diese Wunde wieder heilen zu lassen.

Das ist übrigens auch die Erkenntnis, die wir unter anderem mit zwei Bloggern aus Konstanz in einem anschließenden »Nachtgespräch« haben. Die beiden Gründer des Blogs www.echte-demokratie-jetzt.de haben wir auf ihrer Durchreise ebenfalls in Stuttgart getroffen. Vielen Dank noch mal an Euch für das tolle Gespräch!

OccupyStuttgart
Asamblea: Jeden Tag um 17 Uhr
Ort: Börsenplatz

Unser Dokumentarfilm: Occupy Me!

Nachdem wir in Hamburg im Camp waren, haben wir uns gefragt: wie sieht es eigentlich in den anderen Städten Deutschlands aus? Als wir die Menschen im Occupy Camp in Hamburg fragen, gab es nur Schulterzucken. Kurzerhand haben wir und einen VW-Bus ausgeliehen, haben eine Kamerafrau mit an Bord geholt und sind durch Deutschland gefahren – von Occupy Camp zu Occupy Camp. Wochen später – nach langen Nächten des nervenzermürbenden Filmschnitts – sehr ihr hier unser fertiger Dokumentarfilm über die Occupy Bewegung in Deutschland:

ilona

ist freie Jour­na­lis­tin, Publizistin, Projekt­ma­che­rin und Medienaktivistin. Seit über zehn Jahren schreibt sie Bücher, Blogposts, macht Podcasts, gibt Workshops und hält Vorträge. Zudem begleitet und berät sie öko-soziale Organisationen, Gemeinschaften, Künstler:innen, Kreative und Aktivist:innen bei der ganzheitlichen und nachhaltigen Planung und Kommunikation ihrer Projekte und Bücher.

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