Pressefreiheit in Europa – zum ungarischen Mediengesetz

Erst kam der Machtwechsel in Ungarn und mit ihm die „Rechtskonservativen“ um Ministerpräsident Viktor Orban ans Ruder. Die machten ein neues Mediengesetz, welches zu einem Aufschrei im ganzen EU-Raum führt.

Nun hat Ungarn zeitgleich auch noch die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und das macht sich irgendwie gar nicht gut. Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso fordert Klarheit von der ungarischen Regierung. Doch das Land will sich hier nicht rein reden lassen. Derweil versucht die ungarische Opposition den Spieß umzudrehen und das Gesetz gegen die Propagandisten der Regierung einzusetzen. Das Ganze hat etwas von einem düsteren Polit-Science Fiction. Doch man wird auch den Gedanken nicht los, dass hier ein europäischer Test in Sachen Medienkontrolle läuft.

Der Ungarische Außenminister Janos Martonyi versucht unterdessen einzulenken und bietet Kooperationen und notwendige Erklärungen an… Das Lustige dabei ist, dass es doch eigentlich nicht viel zu erklären gibt: Der neu geschaffene Medienrat ist bereits fleißig dabei in alle Richtungen um sich zu schlagen. So wurde unter anderem gegen den kleinen, linksliberalen Sender „Tilos Radio“ ein Verfahren eröffnet, da dieser vor einigen Monaten einen Song des Rappers Ice-T gespielt hatte. Um auf den jugendgefährdenden Charakter des Titels hinzuweisen, übersetzten die Kontrolleure diesen kurzerhand in die Landessprache – denn in Ungarn sei kaum ein Jugendlicher des US-Gangster-Rapper-Slangs mächtig. So so.

Big Brother is watching You

Mehrere ungarische Journalisten nahmen den Fehdehandschuh auf. Eine Big Brother-Behörde die sich anmaßt Fernsehen, Zeitungen und Radio zu kontrollieren, habe im 21. Jahrhundert keinerlei Berechtigung mehr. Zwei Zeitungen setzten sich auf der Titelseite mit den neuen Restriktionen auseinander. Das sozialdemokratische Blatt «Nepszava» schrieb in Ungarisch und Englisch: «In einem Land der Europäischen Union ist die Pressefreiheit ein Grundwert. Wir müssen in Ungarn unsere demokratischen Rechte verteidigen. Lasst uns Pressefreiheit fordern!» , zitiert NZZ Online eine der beiden. Im Ungarischen Parlament sah man Abgeordnete, die sich große Pflaster auf den Mund klebten und auf den Straßen die ersten Demonstrationen.

Das neue Mediengesetz biete die Möglichkeit, Kritik an der konservativen Führung des Landes – zum Beispiel mit hohen Geldstrafen – zu ahnden. Diese könnten teils so gesalzen sein, dass der so angegriffene Medienbetrieb in die Insolvenz gedrückt würde. Die Regierung wies diese Kritik schärfstens zurück, womit sie natürlich auf ihre Art zumindest die Haltung gegenüber Kritikern deutlich macht. Die nun in ganz Europa folgenden Buh-Rufe wurden ebenso brüsk abgewiesen. Nun prüft die EU das Gesetz – und könnte damit ein echtes Einfallstor für ganz Europa öffnen.

Ungarn – nur ein Testfall?

Immerhin bleibt Brüssel die Antwort auf die Frage schuldig, wie sie sich (und ihre zentralistische Struktur) generell vor Missbrauch schützen will. Denn was wäre, wenn die Führungsspitze der EU von einem unredlichen Geist übernommen würde – ausgestattet mit all der Macht die der Lissaboner Vertrag ermöglicht? Was wäre, wenn rechts- oder linksextremen Politikern ein weitreichendes Instrumentarium zur Kontrolle des EU-Raumes zur Verfügung stünde? Oder Menschen, denen es gar nicht um Politik, sondern allein um wirtschaftliche Macht und Kontrolle geht? Diese Frage ist gar nicht mal so abwegig, wenn man sich die eher undemokratischen Machtstrukturen des derzeitigen Europas ansieht.

Erweitert gefragt: Was würde geschehen, wenn das Mediengesetz aus Ungarn die Prüfung durch die EU überstünde? Würde dann nicht ein juristischer Präzedenzfall geschaffen, auf den sich dann weitere Länder oder gar Brüssel selbst stützen könnten? Womöglich wird der ungarische Vorstoß ein gefährliches Einfallstor für ganz Europa – gewollr oder ungewollt, das spielt keine Rolle.

Soziale Unruhen publizistisch im Kein ersticken

Es passt ja auch zeitlich ganz gut, denn immerhin steht ganz Europa unter Sparzwang und begibt sich immer stärker in den Krallengriff von EU und IWF. Was das politisch bedeutet, konnte man in mehreren Ländern beobachten, in denen die Volksseele überkochte. Ist es da strategisch nicht logisch, dass man dem Widerstand ganz einfach den publizistischen Hahn zudreht? Immerhin wäre das in Europa nicht zum ersten Mal der Fall. Ein Blick auf Italien zeigt ganz aktuell, wie schwer es Kritikern gemacht wird. Vielleicht geht es also weniger um Ungarn als Land, als um ein strategisches Mittel zur Kontrolle eben derjenigen Medien, die sich auf die Seite der womöglich zu erwartenden Proteste stellen. Unter diesem Aspekt, könnten sogar die Erfahrungen der Politik und der Medien in Stuttgart heran gezogen werden.

Vielleicht ist alles aber auch nur ein Spuk und wirklich die Sache einer sich vergaloppierenden Regierung… Das wird man sehen. Doch das Thema Pressefreiheit ist derart wichtig, dass es notwendig sein wird, diesen Fall weiterhin genau zu beobachten – genauso wie die Politiker die in ganz Europa nun aufschreien. Wie werden sie sich verhalten, wenn die EU-Prüfung ergibt, dass alles „rechtens“ ist? Welche „Projekte“ werden sie in ihren eigenen Ländern umzusetzen versuchen?

Auch Kirchenvertreter wie der katholische, ungarische Religionswissenschaftler Mate-Toth mahnen – aber anders herum: „EU sollte Ungarns Mediengesetz nicht vorschnell verurteilen“. Wir hoffen dass sie richtig liegen und werden es sehen… oder eben nicht…