Gesine Schwan, Kandidatin für das Präsidentenamt in Deutschland, hat schon in diversen Interviews und Talk-Runden gezeigt, dass sie durchaus das Herz am rechten Fleck trägt. Und obwohl sie den Eindruck macht, als würde sie die Dinge weitaus weniger oberflächlich sehen und sich tatsächlich Sorgen um die Menschen machen, ließ sie ihre Anteilnahme nie in das Jammertal politisch berechnender Polemik abgleiten. Sympatisch. In einem Interview mit dem Münchner Merkur warnte sie nun vor möglichen sozialen Unruhen. Dafür blies ihr sofort der politische Wind entgegen. Unmöglich! Verantwortungslos! Skandalös! So schallt es ihr entgegen. Denn es darf nun mal nicht sein, was nicht sein darf. Dabei rumort es schon seit Jahren; gehörten die Verzichtsforderungen an die Bürger zur jahrelangen Globalisierungsreligion der Experten. Reichtum für immer weniger, auf Kosten einer ständig wachsenden Gruppe von Menschen, die ins finanzielle und damit soziale Abseits gerieten waren das Resultat. Das war natürlich nicht unmöglich, nicht verantwortungslos und schon gar nicht skandalös. Die soziale Unruhe wächst – auch wenn man das an manchen Stellen nicht hören will. Doch was gilt es zu tun, dass sie sich nun nicht Bahn bricht und zu den gefürchteten brennenden Barrikaden führt? Oder braucht es vielleicht sogar mehr Unruhe, damit der weitaus größte Teil der Bevölkerung endlich zu seinem Recht kommt?

Obwohl Gesine Schwan nicht die Erste ist und sicherlich auch nicht die Letzte sein wird, die sich ernsthaft Sorgen macht, hat sich an dieser Stelle sogar die Kanzlerin eingeklinkt und verkündet über Deutschlands größte Tageszeitung ihren Unmut. Ob dieser Rüffel nicht vielleicht ein Schuss ist, der nach hinten los geht, bleibt abzuwarten. Soziale Ruhe lässt sich eben nun mal nicht verordnen.

Ein Disput, der Folgen hat: Denn so langsam wird bis in die letzten Wohnzimmer deutlich, dass die „große Krise“ nach Jahren des Verzichts auf höhere Löhne und soziale Sicherheit nun auch die letzten Hoffnungen auf bessere Zeiten rauben könnte. Irgendwie bietet sie zwar auch Chancen, doch ob tatsächlich die entscheidenden Weichen gestellt werden, wird zunehmend bezweifelt. Und dort wo kein Platz für positive Visionen mehr gegeben scheint, nisten sich nun mal Unverständnis und Wut ein. Wenn diese mit kühler Hand beiseite gewischt und auf sie nicht ernsthaft eingegangen wird, wächst die Distanz zwischen Staat und Bevölkerung. Politikverdrossenheit und Abscheu vor dem Lager der Politiker und Wirtschaftsexperten nehmen zu und führen zu einer allgemeinen Instabilität. In Anbetracht der letzten, von reinen Wirtschaftsinteressen und politischer Macht geprägten Jahre ein Eisen, das tatsächlich nun zu heiß geworden ist.

Maul halten oder aufschreien?

Während die einen noch immer hoffen, dass sich die Lage irgendwie doch noch bessern wird, glaubt eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr so recht daran. Sich irgendwie durchzuwurschteln und einzureden, dass dieser Kelch womöglich doch an einem vorüber ginge, kann sicherlich eine Weile tröstlich sein. Doch der Mensch besitzt einiges Talent darin, sich etwas vorzumachen und sich in eine Welt hinein zu träumen, in der alles unversehrt und das persönliche Glück noch möglich ist. Irgendwann muss er jedoch aus dieser Illusion auftauchen und etwas für seine Träume tun. Nur was, das wird er sich fragen.
Während die einen auf keinen Fall noch mehr Unruhe wünschen – obwohl sie selbst innerlich nicht gerade gelassen sind – sehen andere nur in dem kollektiven Aufschrei der Massen noch ein Mittel, um gegen die als fatal wahrgenommenen Fehler der politischen Entscheider aufzubegehren. Doch inwieweit ein Aufstand tatsächlich Erfolg verheißen könnte, weiß niemand von ihnen so genau. Es scheint eine Wahl zwischen Regen und Traufe zu sein, die sich nun abzeichnet. Entweder (wie seit langen Jahren schon) Schnauze halten und womöglich noch tiefer in das finanzpolitische und gesellschaftliche Chaos eintauchen, oder aber aufbegehren und damit eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Bevölkerung riskieren. Ganz gleich was es wird, in diesen Tagen scheinen sich die Allianzen zu schmieden, die durch ihr Handeln ihren Weg in die Geschichtsbücher finden werden. Und ab einem gewissen Punkt wird sich niemand mehr entziehen können; trennen sich Spreu von Weizen.

Brot und Freiheit

Im Internet taucht immer häufiger das Wort „Revolution“ auf. Doch wenn man weiter liest, dann findet man meist nicht mehr als einige Brandreden, Beschimpfungen und Ätz-Rhetorik. Meistens ergeht man sich in Vorwürfen gegen „die da Oben“, analysiert aber nicht weiter, ob es sich hier um ein tiefer liegendes gesellschaftliches Phänomen handelt. Wie eine Welt nach der Revolution aussehen soll, dass erfährt man (meistens) nicht. So wichtig die Beteiligung der Bevölkerung am Umbruch und die Kritik an bestehenden Strukturen ist, so gefährlich kann sie sein, wenn sie mehr entzweit als verbindet. Dabei liefert die Geschichte hinreichend Beispiele für Revolten gegen Eliten, die lediglich dazu führten, dass sich wieder neue Eliten bildeten, die bald genauso handelten wie ihre Vorgänger. Das was eine Revolution hätte werden können, war nicht mehr als eine Verschiebung der Macht.
Wie oft schon wurden von revolutionären Geistern Brot und Freiheit in Aussicht gestellt? Doch was war das Ergebnis? Hunger und Unterdrückung. Die Linken gegen die Rechten. Die Rechten gegen die Linken. Im Ergebnis war es egal, wer an die Macht kam. Wäre es da nicht an der Zeit, diese ideologischen Grabenkämpfe gleich heute zu beenden? Ist es nicht ermüdend, wieder mal die Politiker aus allen Parteien dabei zu beobachten, wie sie sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben und dabei letztlich nur an ihre eigenen Positionen denken? Wäre es nicht der richtige Moment, um wirklich an die Gründe heran zu gehen und so etwas revolutionäres, nämlich den Umbau unserer – gesamten – Gesellschaft einzuleiten? Oder wollen wir lediglich die Geschichte wiederholen?

Die Welt wird neu!

Ganz gleich, welche der beiden Fraktionen Unwilliger – die Stillhalter oder die Aufschreier –  sich durchsetzen wird, entscheidend wird der Leidensdruck bei den Menschen sein. Ist dieser groß genug und reduzieren sich die Möglichkeiten der Duldung, Ablenkung und des Selbstbetruges auf Null, so kann und wird der Aufschrei tatsächlich zur einzigen Option. Denn jeder Leidensdruck ist nur bis zu einem gewissen Maße auszuhalten, wie man in anderen Ländern, in denen heute weitaus bedrohlichere Situationen vorherrschen, bereits sehen kann. Das ein Mensch sich wehrt, wenn er erst mal mit dem Rücken an der Wand steht, dass ist verständlich. Doch was dann? Wir haben schon häufiger in diesem Blog über die Frage nachgedacht, die sich unmittelbar aufdrängt: „Was geschieht danach?“
Der Verlauf der politischen Ereignisse erscheint derart langsam, fast wie bei einer Zeitlupe, dass er kaum wahrnehmbar ist. Fast so wie eine Wolkenformation in die man hinein sieht, die kaum merklich ihre Position und Formen verändert. Starrt man mit den Augen darauf, so nimmt man die Veränderungen kaum wahr, doch wendet man eine Weile seine Blicke ab und sieht dann wieder nach oben, so erkennt man, dass alles in Bewegung ist; sich alles verändert, vergeht und neu entsteht. Und so ist es auch mit der nebulösen Krise. Es gibt noch genug Menschen die alles andere wahrnehmen, nur keine Krise. Alles läuft – so scheint es – weiter wie bisher. Die Läden sind bis unter die Decke mit Ware vollgestopft. Geschäftiges Treiben auf den Straßen. Im Fernsehen laufen die gleichen Commedy-Shows wie immer. Und wer noch seine Arbeit oder genügend Geld zur Verfügung hat, hat Mühe, überhaupt eine Krise auszumachen. Die Sinnestäuschung klappt perfekt.

Und doch: Die Welt wird neu! Alles ist einer Veränderung unterworfen, die immer größere Kreise zieht. Erst ganz weit entfernt in irgendwelchen Finanzmärkten, die für die meisten ohnehin rein abstrakte Wirkungsstätten der Wirtschaft sind. Dann – nach und nach – auch in der realen Wirtschaft, in den Unternehmen, in denen die Angst wächst. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst irgendwie aufzufallen, Fehler zu machen und sich selbst ins Abseits zu stellen greift um sich. Dazu kommen die Politiker und Experten der Wirtschaft, die mit verkrampfter Gestik die Besserung herbei reden wollen und gegen jeden speien, der Milliardenmaßnahmen und Durchhalteparolen widerspricht.

Ein Schrei nach Gerechtigkeit

Als der größte Teil der Welt ins Elend gedrängt und die eigenen Bürger unter die Globalisierungsknute getrieben wurden, war der Aufschrei der Eliten gleich Null. Jeder machte mit und suchte seinen Hunger zu stillen. Ganz gleich, was dies für Milliarden von Menschen auf diesem Planeten bedeutete. Es stellt sich die Frage, wer hier das Recht hat sich zu beschweren. Die Verursacher oder die Leidtragenden…
Wir erfahren nichts genaues darüber, wer in diesem Moment welche Entscheidungen mit Geldern trifft, die nicht ihm gehören, sondern uns allen.  Denn wir werden am Ende die Zeche zahlen für alles was heute geschieht. Mitreden sollen wir nicht, aufmucken auch nicht, wir sollen lediglich Vertrauen in diese Entscheidungen haben und die Verantwortlichen machen lassen.

Doch so kann das nicht funktionieren. Schon jetzt ist klar, dass die Milliarden und Billionen die derzeit in die Märkte gepumpt werden einerseits die Inflation anheizen, andererseits in irgendwelchen dunklen Kanälen zu verschwinden scheinen und nur eins nicht tun: den seit Jahren geplagten Menschen zugute kommen. Es heißt, die Banken seien systemrelevant. Warum aber, so fragt sich doch der Normalbürger, haben sie dann unsere Gelder derart verzockt?

Soviel ist klar: Den so gefürchteten sozialen Unruhen geht stets ein Schrei nach Gerechtigkeit voraus. Und ob die Massen auf die Barrikaden steigen, hängt davon ab, ob und wie die Mächtigen auf den Schrei reagieren.

Bildquelle:
Gerd Altman, Pixelio.de