Das Leben ist schon grotesk. Doch immer wenn man meint, nun sei die Spitze des Absurden erreicht, wird noch einer drauf gelegt. In den USA hat sich der Streit um den Bau einer Moschee in New York in den letzten Wochen zu einem internationalen Streit ausgeweitet. Es geht um ein Bauvorhaben in der Nähe von „Ground Zero“ – also dort wo die Twin Towers standen – das einige Kräfte mit allen Mitteln verhindern wollen. Zum 11. September war nun eine Bücherverbrennung geplant die weltweit auf Proteste stößt. Zwar kurzfristig abgesagt brennt die Lunte bereits und droht weitere Pulverfässer zu gefährden.
Strikt nach dem Motto „Man wird ja noch mal was sagen dürfen“ haben sich einige christliche Fundamentalisten hinter den radikalen Pastor Terry Jones gescharrt und wollen mit der Aktion auf die Radikalität des Islam hinweisen. Seltsam, denn dieses Signal könnte angesichts geschichtlicher Erfahrungen mit dem Thema Buchverbrennungen nicht radikaler sein. Es geht hier auch weniger um die Aktion als solche, als vielmehr um ihre Auswirkungen… Immer mehr muslimische Länder legten Protest in Washington ein, Menschen aus aller Welt, Prominente, Politiker nehmen zu der Aktion Stellung. Demonstrationen und Proteste finden statt – und den ersten Toten (bei einer Kundgebung) gab es auch schon. Und das alles wegen einer wirklich überschaubaren Anzahl christlicher Aktivisten die in ihrem Hass ihrem Feind in nichts nachstehen.
Es sei ein Affront gegen die Toten des 11. September 2001, wenn es gestattet würde gerade in dieser Gegend eine Moschee zu errichten. Wie ein Schlag ins Gesicht der freien Welt, sagen die einen. Es sei grundverkehrt nun in gleicher Weise verbohrt zu sein wie diejenigen gegen den sich die Gegenwehr ja richte, sagen die anderen. Dazu käme, dass eine solche Aktion nicht nur ganz allgemein die Gräben zwischen der muslimischen und der westlichen Welt vertiefe, sondern nichts anderes als weiteren Hass produziere und damit auch eine Radikalisierung der ohnehin schon angespannten Situation.
Irgendwie kommt einem das in Deutschland mehrfach bekannt vor. Denn hier gibt es eine genauso groteske Diskussion um das Anderssein. Und auch hier werden tatsächliche Probleme des Miteinanders mit Argumenten verquast die nichts weiter sind als Stammtischphilosophie. Das Ergebnis bei uns in Deutschland wird sein, dass es in den Köpfen vieler eher um Ressentiments als um Fakten, eher um Sozialneid als tatsächliche Lösungen geht. Außerdem brauchen wir doch nur unsere Geschichtsbücher aufzuschlagen und uns die Geschehnisse des Jahres 1933 anzuschauen. Dort wurden in 70 Städten Deutschlands Bücher verbrannt. Bücher von unliebsamen Zeitgenossen, von jüdischen Schriftstellern und Menschen die eine andere Moral als die damals gewünschte vertraten. Selbst einer meiner Lieblingsautoren, Erich Kästner, war dabei.
Wohin uns der heiße Herbst 1933 geführt hat, das wissen wir doch. Wohin jedoch die aufgebrachte und heiß gemachte Bevölkerung eines Landes abdriften kann, dass liegt auf der Hand. Und trotzdem sind auch bei uns in Deutschland tatsächlich Argumente im Spiel die damals auch verwendet wurden, um andere Menschen diskreditieren. Das Seltsame daran: Die Aktionen die in dieser Zeit durchgeführt wurden, gaben doch von den Akteuren so viel preis, dass man durchaus erkennen konnte, dass sie genau die Verhaltensweisen zeigten die sie bei ihren Feinden anprangerten…
Die Welt spielt mit dem Feuer und einzelne Akteure weltweit nutzen ihre Gelegenheit, eigene Lunten zu legen. Die Stimmung wird immer angespannter und man entfernt sich immer weiter von den nötigen Lösungen. Auch in den USA ist die Kritik an dem Vorhaben groß – und wächst weiter. Dennoch zeigt diese Groteske, dass es manchmal nur eines kleinen Haufens verstiegener Extremisten bedarf, um aus vielen Feuern ein Großes zu machen. Und leider besitzt die Gesellschaft zunehmend weniger moralische Mittel, um dem zu begegnen. Denn die Moral wurde in den letzten Jahren weitgehend abgeschafft, zugunsten des neuen Gottes der „zivilisierten Welt“, dem Geld. Doch dieses wird uns vor einem Versagen demokratischer Grundwerte nicht schützen – im Gegenteil.
Ganz gleich wie die Posse ausgeht. Ihren PR-Effekt hat sie bereits und das was nach bleibt, ist wie bei unserer deutschen Migrantendebatte nicht mehr Vertrauen und Zuversicht auf eine gemeinsame Zukunft, sondern nur weitere Argumente gegen die jeweils andere Seite. Tottraurig das es hier um Religionen geht, denn ihrem Wesen nach sind sie Glaubenssache und als solche nicht diskutierbar. Und wie stets in Glaubensfragen können beide Seiten Recht haben und der jeweils anderen dieses absprechen. Man sollte glauben, dass das Wesen dieser Religionen den Frieden im und unter den Menschen zum zentralen Kern der Botschaft macht. Doch bieten sie anscheinend genügend Interpretationsraum für jede Art radikaler Erlösungsphilosophie. Und wie soll man sich in einem solchen Glaubensgebilde wohl, sicher und gut aufgehoben fühlen?
Die Lage ist eh schon nicht rosig. Umso mehr wird es darauf ankommen, dass die Vertreter der Religionen zeigen, dass sie es ernst meinen mit ihrem Glauben. Einem Gott zuzumuten, dass er Gefallen an Streit, Mord und Kriegen fände, erscheint wie ein Widerspruch. Warum sollte man schließlich einer Religion angehören, wenn man in ihr das Gegenteil von dem findet, was sich jeder Mensch im Innersten wünscht: Frieden und Liebe? Wenn die Religionen, deren Geschichte zumeist von Blut durchtränkt ist, hier nicht die Kurve bekommen, dann doch jeder Einzelne. Das bleibt zu wünschen und zu hoffen. Alle Anderen sollten sich stets fragen, welche Welt sie sich denn letztlich wünschen. Denn eine Gesellschaft die intolerant mit allem umgeht was fremd und anders ist, wird stets auch Situationen hervorbringen, wo der Einzelne mit einem Mal selbst als fremd und anders gelten kann. Und dann wird er zum Feind.
Eine bessere Welt ist keine Welt, in der man Probleme nicht benennen sollte. Im Gegenteil. Doch dann muss es weiter gehen, muss eine Lösung für alle gefunden werden. Dies ist mit verhärteten Ansichten nicht zu machen. Der Kampf um die Antwort auf die Frage: „Mit- oder gegeneinander?“ ist im vollen Gange. Die Geschichte zeigt uns, dass es auf diese jedoch nur eine Antwort geben kann. Denn eine Alternative zum Miteinander gibt es nicht. Wo immer dieses vermieden wurde, konnte sich das Feuer ausbreiten und letztlich alles erfassen, ungeachtet der Frage wer nun Recht hatte und wer nicht. Hier geht es nicht um das Rechthaben (zumindest nicht auf der gesellschaftlichen Ebene), sondern um die Akzeptanz und den Respekt gegenüber dem Anderen. Erst wenn hier eine Grundlage geschaffen wird, werden pädagogische und rechtliche Maßnahmen greifen.
Wer sich etwas näher mit dem Thema Fanatismus auseinandersetzen will, dem sei das Buch „Fanatismus – Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens“, von Peter Conzen, empfohlen.
Bildquelle:
Pixelio.de, Paulwip
Beretta: „Aber wer bitteschön wird denn nun aufstehen und allen verkünden, dass die Religionen, also größtenteils auf Fiktion beruhende subjektive Wertekataloge, an sich die Grundlage für gesellschaftliche und politische Spannungen (ich möchte ja fast sagen: einen Großteil) sind?“
Jeder von uns. Und das wird schwierig. Aber genau deshalb braucht es Wertemaßstäbe die außerhalb religiöser Denkmuster genauso Bestand haben. Werte, an die sich alle zu halten haben und an denen die Religion gemessen kann. Rücksichtnahme heißt ja nicht den anderen einfach machen zu lassen, sondern seine Sicht der Dinge zu akzeptieren. Das Wertesystem sollte dadurch allerdings nicht verschoben und von Religionsvertretern vorgegeben werden. Denn wenn man mal näher hin schaut, dann halten sich die Religionen selten an ihre Glaubensregeln.
Wen wir unsere Werte nicht auf Gemeinsamkeit und gegenseitigen Respekt begründen, werden sie auch nicht angenommen. Und nur dann sind sie gefestigt genug, dass die Gesellschaft Rücksichtlosigkeit, politischen Egoismus und Machtstreben verurteilt. Im Moment bewundern wir diese Eigenschaften, da für uns Reichtum und Macht so wichtig sind und wir Menschen eher danach beurteilen. Das Problem zieht sich durch alle Bereiche und Ethnien der Gesellschaft.
Phillip
„Eine bessere Welt ist keine Welt, in der man Probleme nicht benennen sollte.“
-> Genau da fängt das ganze Problem an: Aber wer bitteschön wird denn nun aufstehen und allen verkünden, dass die Religionen, also größtenteils auf Fiktion beruhende subjektive Wertekataloge, an sich die Grundlage für gesellschaftliche und politische Spannungen (ich möchte ja fast sagen: einen Großteil) sind? Das wird kein bekannter Politiker oder sonstwer, der gehört würde, machen. Auch hier ist das unproduktive Ausgangsdefizit falsche Rücksichtnahme/ politische Korrektheit/ Machterhaltsstreben. Gegen solche historisch bedingten Schieflagen kann man nur langfristig ankommen, indem man über Generationen hinweg an den richtigen Stellen die Weichen richtig stellt.