Es ist doch immer wieder schön, wie die Werbeindustrie es versteht, gesellschaftliche Trends aufzugreifen – und zu parodieren.
Nicht nur, dass sie sich bekanntermaßen befleißigt, die Bild- und Symbolsprache subkultureller (und damit meist kritischer) Strömungen anzueignen. Vielmehr scheint sie sich mittlerweile zum Vorreiter gesellschaftlichen Widerstands und Protests aufschwingen zu wollen.
Entrüstete Media Markt noch Hunderte von Rio Reiser-Fans, als er dessen (eigentlich kritischen) Song „Wenn ich König von Deutschland wär“ in seinen Spots frech zweckentfremdete. So legt Procter & Gamble auf derlei Vorlagen und bereits im Volksgut angekommene Protestlieder keinen Wert mehr – sehr wohl aber auf die sprachliche und farbliche Symbolik: In seinem neuesten TV-Spot für die elektrische Zahnbürste von Oral B macht man schwer auf revolutionär und wirbt mit der „Volks.Zahnbürste“.
Es war gar nicht lange her, da warben diverse Unternehmen mit Energiesparprämien wie verrückt. Und nun ist – oh Wunder – die Abwrackprämie an der Reihe: Epson bietet 2.500 Euro Umweltprämie für alle, die sich statt ihres alten (A3-)Druckers einen neuen Epson Stylus Pro 11880 anschaffen. Premingo – nach eigenen PR-Aussagen der selbstverständlich größte und überhaupt beste Online-Marktplatz für Verbraucherverträge – führte eine Abwrackprämie für Handys ein. Die Strategie scheint hier zu sein: spring möglichst schnell auf einen fahrenden Zug auf. Wie originell.
Fällt denn den so genannten Kreativen (in Werbung und Entwicklung) tatsächlich nicht mehr selbst was Neues ein? Sind sie selbst denn schon so abgewrackt? Anscheinend nicht, wie ein Marktforschungsinterview zeigt, das wir neulich in Hamburgs Innenstadt absolvierten: Fünf „arme“ Studenten wollten von uns (mit Mikro und Video-Kamera bewaffnet) wissen, wie der „neue Revolutionär“ denn nun eigentlich aussieht…
Und wenn ihr euch nun fragt, wie ein Marktforschungsunternehmen dazu kommt, den neuen Revolutionär auszuspionieren – die Studententruppe kam nicht im Auftrag Schäubles. Nein, sie kam im Auftrag des Modeherstellers Hugo Boss‘. Nun gut – als wir erklärten, dass ein „echter“ Revolutionär wohl niemals Hugo Boss tragen würde, war das Interview für uns vorzeitig beendet. Schade eigentlich, wir wären gerne mit Trendsetter geworden.
Also, halten wir fest: Der Werbung fällt irgendwie auch nichts Richtiges mehr ein. Sie weiß nur: Die Menschen (wir alle) sind einfach nur noch genervt von dem ganzen, verlogenen Budenzauber. Wahrscheinlich versucht sie deshalb Volksnähe zu zeigen. Irgendwie mit dazu zu gehören, echt zu wirken („authentisch“ heißt das große Losungswort in der Werbebranche…).
Das einzige, was mich wirklich an diesen ganzen lächerlichen Werbe-Eskapaden freut ist, dass diese Versessenheit auf einen irgendwie rebellischen, irgendwie gesellschaftskritischen und irgendwie politischen Touch, den sich die Marken da so verzweifelt ans Revier zu heften versuchen – dass dieses hoffnungslose Hinterherrennen doch darauf hinzudeuten scheint, dass sich was tut in unserem Ländle. Dass der Wunsch der Menschen nach Veränderung vielleicht wächst. Dass wir uns vielleicht alle ganz unbewusst wünschen, unsere Welt zu verbessern – und sei es nun durch (sinnvolle oder sinnlose) Abwrackprämien, sprich ethisch korrekten Konsum. Oder durch unsere ganz kleine, eigene Rebellion…
P.S. Wie viel selbst eine kleine, persönliche Rebellion bewirken kann, zeigt übrigens der Film „Der Mann im grauen Flanell“ mit Gregory Peck, den ich neulich zum ersten Mal gesehen habe: Als Kriegsveteran haben sich die Wertmaßstäbe des „Mannes im grauen Flanell“ – also eines absoluten Durchschnittstypen – irgendwie auf den Kopf gestellt. Er, der erlebt hat, dass man im Krieg für einen Mantel einen Menschen tötet – kann die normalbürgerlichen Vorstadtsorgen seiner Frau irgendwie nicht mehr so richtig verstehen. Dennoch versucht er, ihr und allen anderen gerecht zu werden – bis er irgendwann beschließt, immer die Wahrheit zu sagen. Ein sehr schöner und vielschichtiger Film, den ich hiermit allen Liebhabern älterer Filme ans Herz legen möchte.
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