Man hätte es auch früher und einfacher und vor allem ehrenhafter haben können – aber weil der politische Machtapparat es nicht von selbst erkennt, muss nun eben mit 7 Jahren Verspätung und durch den Druck dreier klagender Hartz-IV-Empfängerfamilien das Bundesverfassungsgericht die Sachlage aussprechen: Die Hartz IV Regelsätze sind verfassungswidrig… Wohl gemerkt allerdings nicht die genaue Höhe von Kinder-, Jugendlichen und Erwachsenen-Regelsätzen, sondern deren Ermittlung!

Ein Fokus-Mitarbeiter war anscheinend zugegen bei der Verhandlung – jedenfalls berichtet das Magazin online recht unterhaltsam (wenn man dies in diesem Zusammenhang sagen darf), wie das Kopfschütteln der Richter zu nahm, als Experten versuchten auf deren bohrende Fragen zu erläutern, auf welcher Grundlage sie die Regelsätze ermittelt hätten. „Wiederholt musste Professor Stephan Rixen eingestehen, dass dem Gesetzgeber zu dem Zeitpunkt, zu dem er die Regelungen festlegte, noch Wissen fehlte. Er versuchte, dies dem Gericht als „lernende Gesetzgebung“ schmackhaft zu machen – die Zweifel in den Gesichtern der Richter waren jedoch unübersehbar“, heißt es beispielsweise.

Nun soll bis Ende 2010 nachgearbeitet werden und wir dürfen gespannt sein, ob dabei nun ein niedrigerer, gleicher oder gar höherer Satz heraus kommt – oder ob sich gar etwas an der Gewissenhaftigkeit der „Experten“ ändert, mit der sie über die Existenz von immerhin 6,5 (laut Spiegel-Online) bis 7,4 (laut focus.de) Millionen Menschen entscheidet, die derzeit Hartz IV beziehen.

Denn wer seit mindestens 7 Jahren – so lange gibt es Hartz IV schon, das heißt die Ermittlung der Sätze muss ja schon früher erfolgt sein – nichts dabei findet, wenn anscheinend grob über den Daumen gepeilt und ohne wirklich realistische Grundlage die Basis für ein menschenwürdiges Dasein „geschätzt“ wird; wer erst vor das Bundesverfassungsgericht zitiert werden muss, um sich Rechenschaft abzulegen darüber, ob wir mit den Schwachen in unserer Gesellschaft fürsorglich und unserem Grundgesetz entsprechend umgehen – von dem würde ich nun nicht unbedingt erwarten, dass er auf einmal ehrlichen Herzen für systematische Verbesserungen und Gerechtigkeit eintritt.

Der eigentliche Skandal dieses Vorgangs liegt nämlich nicht nur in der konkreten Höhe (bzw. Niedrigkeit) der Hartz IV Bezüge. Er liegt auch in der Gleichgültigkeit, mit der hier mit der Existenz, dem Glück und der Achtung von Menschen umgesprungen wird! Dazu muss sich aber auch die öffentliche Debatte ändern. Es kann nicht sein, dass Boulevardzeitungen Kampagnen gegen die vermeintlichen Sozialschmarotzer fahren (siehe auch www.gegen-hartz.de). Dass irgendwelche (hessischen) Politiker  in so genannten Leitmedien befinden „niemand dürfe das Leben von Hartz-IV als “angenehme Variante” sehen“ (siehe auch Zeit-Online „Wer sind die Sozialschmarotzer?„). Dass in Talkrunden darüber debattiert wird, ob man nun die Hartz-IV-Sätze absenken solle, damit sie nicht zu nah an den derzeit gängigen Mindestlöhnen lägen…

Und dabei findet der eigentliche Betrug an ganz anderen Ecken statt! Dazu ein Vergleich, den Zeit-Online aufstellt: Die derzeit ermittelte Zahl derjenigen, die Hartz IV nicht hundertprozentig zu Recht in Anspruch nehmen, verursachen demnach einen Schaden von rund 3,6 Milliarden Euro. Dagegen stünden jedoch geschätzte 30 bis 100 Milliarden Euro, die an Steuern hinterzogen werden!

Wo sich mit derartiger Gleichgültigkeit die „Stärkeren“ einfach nehmen können, was ihnen passt, kann es dauerhaft keinen sozialen Frieden geben. Die Politiker sollten sich jedenfalls schämen, dass sie auf eine Farce warten müssen – wie sie anscheinend vor dem Bundesverfassungsgericht abgelaufen ist –, um zu erkennen, dass sie nicht in der Weise für soziale Gerechtigkeit eingetreten sind, wie es ihre Pflicht und ihr Auftrag ist. Das heißt: hoffen wir mal, dass ihnen das damit überhaupt klar geworden ist …

Bildquelle: Frank Knauer, pixelio.de