30 Jahre nach dem Fall der Mauer in Deutschland leben wir in einem Zeitalter neuer Genzmauern: Überall versuchen Menschen Menschen in Not aufzuhalten. Doch was macht das mit uns. Eine Rezension.

»Wir leben in einer Ära der Mauern«, schreibt Marc Engelhardt, Herausgeber des spannenden und wirklich lesenswerten Titels »Ausgeschlossen. Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen«. Zusammengenommen seien sie heute 41.000 Kilometer lang. 60 neue Grenzzäune, -mauern und -absperrungen seien seit 1990 errichtet worden, würden gerade geplant oder gebaut. »Im Kalten Krieg waren es gerade einmal 19, von denen noch zehn erhalten sind«, schreibt er. Doch was macht das mit Menschen? Wie geht es denen, die an der Mauer oder dem Zaun wohnen müssen? Und wie denen, die hinüber wollen?

Eine Weltweise an die Grenzen

Ein Team von mehr als 20 Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt haben sich auf den Weg gemacht und Grenzen besucht. Der erste Trip führt – natürlich – an die amerikanisch-mexikanische Grenze. Klar, wer denkt nicht fast automatisch beim Wort »Grenzmauer« an Trumps leicht zu durchschauende und dennoch anscheinend fruchtende Propaganda rund um das geplante Milliardenbauwerk? Wir reisen mit den Autorinnen und Autoren aber auch nach Südamerika, nach Korea, nach Gaza, Somalia, Tunesien, in die Ukraine, nach Serbien, Brasilien, in die Schweiz, die Türkei, Armenien, Australien, Nordirland, Russland und Neuseeland.

Alleine diese Aufzählung zeigt schon: Die neuen Grenzmauern zwischen Staaten sind ein globales Phänomen. Deshalb ist es gut, dass zwischen diesen konkreten und sehr anschaulich geschilderten Reportagen auch Kapitel zu finden sind, die die Phänomene geschichtlich und gesellschaftlich einordnen: Warum haben die Menschen vor uns Grenzmauern gebaut? Wie steht es um die Festung Europa? Welche Bedeutung haben Reichtum und Armut dabei? Welchen Sinn haben Virtuelle Mauern? Und welche Mittel und Wege finden die Menschen, um Mauern zu überwinden, zu umgehen, zu unterwandern oder einzureißen?

Empathie statt Schulterzucken

Den Autorinnen und Autoren ist es gelungen, ein sehr eindringliches Buch zu schreiben. Gerade der Ansatz, die Menschen vor Ort zu beschreiben, ist besonders eindrücklich. Mit ihren Reportagen nehmen sie die Leser hautnah mit – Menschen auf der Flucht sind nicht mehr nur eine anonyme Masse. Sie sind ein Einzelschicksal, ein Mensch mit Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Niederlagen. Letzteres vor allem. Dieser emotionale Blickwinkel ist es – wobei die Autorinnen und Autoren keineswegs tränendrüsig Emotionen hochkochen lassen – der die so dringend notwendige Empathie bei uns allen erzeugen kann, die hinter ihren Grenzmauern im Trockenen hocken. Ob bewusst oder unbewusst.

Darüber hinaus stellt das Buch die oft als alternativlos bezeichneten und als wirksam gepriesenen Mauern infrage: Stimmt es, dass die Mauern Flüchtende aufhalten können? Nein. Sie machen die Flucht nur noch teurer und gefährlicher. Die Zahl der Ausgeraubten, Vergewaltigten, Verletzten oder gar Gestorbenen erhöht sich. Sorgen sie für Frieden und Gerechtigkeit? Nein. Denn diejenigen, die sie überwinden wollen, um etwa zu schmuggeln oder Attentate durchzuführen werden immer ein Schlupfloch finden.

Mauern aus dem Kopf

Klar zeigt das Buch, dass die Sache dennoch nicht so einfach und schwarzweiß ist, wie man jetzt vielleicht denken könnte: »Grenzmauern wieder weg und alles wird gut« kann mit Sicherheit keine Antwort sein. Was die Menschen bräuchten sind echte Lösungen: Der Wille zu Friedensverhandlungen, Abrüstung, fairem Handel, Klimaschutz. Alleine die Vorstellung, was möglich wäre, würden die Milliarden statt in den Mauerbau in Projekte der Völkerverständigung gesteckt …

Doch all das würde natürlich bedeuten, dass sich diejenigen ändern müssten, die gerade viel Geld mit dem Bau von Mauern verdienen oder sich solche Prestigeprojekte als politische Erfolge ans Revers heften. Diese Mauern in den Köpfen einzureißen dürfte wohl nicht so schnell gehen. Deshalb mein Aufruf: Buch lesen und verschenken. Wir brauchen den Wandel der Gedanken und Einstellungen, die Empathie und den Mut zu sagen: Die Sache ist schwieriger und es gibt keine einfachen Lösungen (wie Mauern) – lass es uns dennoch oder gerade deshalb jetzt gleich anpacken …

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Buchtipp: Ausgeschlossen - Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen (Marc Engelhardt)Ausgeschlossen

Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen

Hrsg.: Marc Engelhard

ISBN: 978-3-421-04816-5

Preis: 18,00

Bestellen: Buch7.de

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Bildquelle: Die Grenze zwischen Mexiko und den USA endet im Pazifik (Wikimedia)