Wechseljahre

Nun ist es also raus – die letzten Umfrageergebnisse im Vorfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahl haben nicht getrügt. Der „Underdog“ aus Chicago hat geschafft.

Was wohl bislang keiner für möglich gehalten hat: Nicht nur, dass er einen gigantischen Wahlkampf (Budget laut Medienangaben 600 Millionen US-Dollar) auf der Basis vieler Kleinspender organisieren konnte – manche sprechen deshalb schon von einer Demokratisierung des Wahlkampfes. Nein, er hat es als Sohn eines Schwarzen und einer Weißen geschafft, beide Seiten zu überzeugen – davon, dass er weder „zu schwarz“ noch „zu weiß“ ist.

Die Bedenken, dass sein „Yes, we can!“ reine Wahlkampftaktik ist, scheint zumindest hier in Deutschland – vielleicht kann man auch sagen Europa – ziemlich verbreitet. Er selbst hat zum Ende seines Wahlkampfes seine Haltung Stück für Stück verweichlicht (Krieg, Wirtschaft, Klimaschutz). Das schürt solche Zweifel natürlich noch – und so wird sich zeigen, wes Geistes Kind er wirklich ist, wenn er praktisch am Zug ist und sich der gigantischen Verantwortung stellen muss.

Nichtsdestotrotz ist diese Wahl ein gutes Zeichen. Nicht nur ein Zeichen, dass viele Amerikaner einen Schritt weiter sind im Kampf gegen den Rassismus. Sondern auch ein Zeichen dafür, wie groß die Masse der Menschen ist, die eine andere Welt will. Der überragende Sieg dieses – scheinbar aus dem Nichts kommenden – Kandidaten zeigt, wie groß und wie stark diese Sehnsucht ist. Das sollte uns allen, die wir von einer besseren Welt träumen, noch mal vor Augen führen, wie viele wir sind!

Selbst wenn ihm der Weg von ganz anderen Kreisen geebnet wurde, so scheint doch ein grundsätzlicher „Wechsel“ in der Politik genau das zu sein, was die in der Weltgemeinschaft schlummernden Sorgen, Wünsche und Hoffnungen anspricht. Das tut gut zu wissen… und das könnte am Ende sogar wichtiger sein als die Frage, ob Obama den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht wird.

Den Amerikanern selbst könnte die Erfahrung, dass sie einen „Außenseiter“ vor allem durch die Unterstützung mit vielen Kleinspenden (und natürlich Stimmen) an die Macht bringen konnten, Schubkraft geben – egal wie die Realpolitik des Barack Obama nun letztlich wirklich aussieht. Denn es hat ihnen gezeigt, wie machtvoll sie sind, wenn sie gemeinsam hinter etwas stehen und sich für etwas einsetzen – ein Lebensgefühl oder eine Geisteshaltung, die den Amerikanern ja eigentlich grundsätzlich schon ein bisschen mehr zu eigen ist, als beispielsweise uns Deutschen.

Es fragt sich, ob so eine politische Karriere auch bei uns denkbar wäre und lässt den Verdacht zu, dass es noch einiges bedarf, bevor der Ruf nach einem „Change!“ auch innerhalb europäischer Grenzen so eindeutig erschallt. (Auf der anderen Seite: Vielleicht aber ist es ganz gut, dass wir in Deutschland zum Beispiel (noch) weniger auf Show-Effekte und mehr auf Inhalte setzen und es länger dauert, bis uns die Euphorie packt. Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, dass diese ja nun mal nicht automatisch zu einer besseren Politik führt, sondern auch im Desaster enden kann…)

In diesem Sinne sagen wir zunächst: Herzlichen Glückwunsch Herr Obama. Und wir hoffen nun, dass ein Teil der amerikanischen Euphorie und Aufbruchstimmung ins „alte“ Europa herüber schwappt. Es bleibt also auf den ersten Blick die Freude über die Zeichen, die das amerikanische Volk nicht zuletzt auch der Weltgemeinschaft gibt. Auf den zweiten Blick drücken wir skeptisch die Daumen in der Hosentasche. Die Welt kann einen Wechsel gebrauchen – einen ehrlichen Wechsel der Verhältnisse und zwar lieber heute als morgen. Die Aussicht darauf kann und sollte uns helfen, auch in unseren Breitengraden mehr zu wollen, mehr zu fordern und uns auch aktiver dafür einzusetzen. Ein bisschen Euphorie und ziviler Gestaltungswille kann nicht schaden.

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