Auf der Webseite von Spickmich.de können Schüler ihre Lehrer bewerten.

Zwar findet die Kritik anonym statt, aber genau das kann verleiten und aus dem eigentlich sinnvollen Selbsregulativ ein Einfallstor für üble Nachrede, Verleumdung oder Mobbing-Aktionen machen. Anonyme Lehrerbewertungen sind zulässig, so entschied jetzt der Bundesgerichtshof und wies damit die Klage einer Lehrerin ab, die gegen das Bewertungsportal vorgegangen war. Doch dieser Fall steht auch für ein grundsätzliches Verständnis des demokratischen Dialogs.

Mein Schulzeit liegt zwar schon etwas zurück. Ich kann mich aber noch genau an eine Debatte erinnern, die wir Schüler damals mit unserer Klassenlehrerin angezettelt hatten: Es ging um die Frage, warum wir Schüler nicht in unseren Talenten individueller gefördert werden, sondern stattdessen unsere guten Leistungen in einem Fach durch schlechtere in anderen Fächern herunter gezogen würden.

Eine Unterhaltung die ziemlich schnell beendet war. „Ich bin Eure Lehrerin und so läuft das nun mal.“ So konnte es sein, dass ein musisch talentierter Schüler wegen seiner Mathe-Note schlechte Aussichten für die Zukunft zu erwarten hatte – oder umgekehrt. Damals hatten wir Schüler uns im Nachhinein ausgemalt, wie es wohl wäre, wenn wir unsererseits Lehrer bewerten könnten.

Wer mag schon gern Kritik?

Dann kam das Internet und mit ihm wurden die Karten ganz neu gemischt. Von nun an konnten die Hersteller nicht so ganz astreiner Produkte ihren Kunden nicht mehr so einfach einen Maulkorb umlegen oder jeden Widerstand beiseite klagen. Von da an waren weder Götter in Weiß, die Ärzte, noch Politiker oder eben auch Lehrer vor der Kritik ihrer Konsumenten, Wählen oder eben Schützlinge sicher. Ein Problem? Für die jetzt in der Kritik stehenden ehemaligen Autoritäten ganz bestimmt. Aber für Demokratie und Gesellschaft?

In dem konkreten Fall bei Spickmich geht es um eine Lehrerin, die ganz und gar nicht damit einverstanden war, selbst in das Feuer der Spickmich-Kritiker zu geraten und sich dort einer Bewertung zu stellen. Vielleicht wollte sie aber ganz generell einen für sie ungerechten Sachverhalt, den umgedrehten Spieß, unterbinden. Hierfür kämpfte sie sich gleich über mehrere Instanzen bis zum BGH durch – und verlor. Das Gericht beurteilte die Meinungsfreiheit höher als die Persönlichkeitsrechte. Im Grunde wunderbar, denn wer möchte sich schon über die Freiheit seiner Meinung beklagen? Doch wo liegen eigentlich die Grenzen? Kann zum Beispiel ein Mensch der es nicht gut mit jemanden meint, diesem übel nachreden und sich dann auf die Freiheit seiner Meinung berufen? Gilt diese Freiheit nur bei positiver Kritik? Entspringt der Wunsch seine Persönlichkeitsrechte zu behaupten nicht auch einer Meinung? Ein Fall der schwerer wiegt als er aussieht.

Spickmich: Wer braucht Autoritäten?

Man könnte eine grundsätzliche Debatte darüber führen, inwieweit eine Gesellschaft Autoritäten braucht die ihrerseits weniger stark kritisiert werden dürfen als alle diejenigen die nicht als solche anerkannt werden. Andererseits haben wir uns nicht geschichtlich schon mal gehörig in die Nesseln gesetzt – gerade wir Deutschen – in dem wir bis zur Selbstaufgabe autoritätenhörig waren?

Es geht gar nicht so sehr um die besagte Web-Plattform, gar nicht unbedingt um die Verletzung individueller Persönlichkeitsrechte, sondern vielmehr um das Grundprinzip gesellschaftlicher Ordnungen. Braucht eine Gesellschaft Schichten, braucht sie Eliten, braucht sie Autoritäten? Und wenn ja, wie haben diese mit dem Rest der Bevölkerung umzugehen – und soll, darf und kann mit ihnen umgegangen werden?

Nehmen wir allein die Medienwelt und ihre unersättliche Gier, dass Leben anderer Menschen zu durchleuchten, deren Innerstes nach Außen zu kehren, bei Höhen und Tiefen, Freude und Drama dabei zu sein. Kann man hier von freier Meinungsäusserung sprechen. Wo ist die Grenze?

Man braucht nicht nach Italien gucken, um zu verstehen wie wichtig es ist, zum Beispiel bei Politikern genauer hinzusehen… Eine elementare Daseinsberechtigung der Medien liegt in ihrer Möglichkeit, den Mächtigen auf die Finger zu schauen und sie notfalls abzustrafen, wenn sie sie gegen die Interessen der Gesellschaft handeln. Doch nur allzu oft ist bei den Medien von heute davon nichts mehr zu spüren.

Wer will den Dialog?

Unsere Gesellschaft ist an einen Punkt gelangt, getrieben durch eine Wirtschaftskrise die mehr und mehr zu einer systemischen Krise heran wächst, wo wir Einiges zu hinterfragen haben. Ganz bestimmt gehört das Prinzip der Autoritäten und elitären Kreise mit dazu. Denn diese scheinen immer weniger auf unsere Persönlichkeitsrechte zu achten. Wenn wir lediglich auf „die da oben“ vertrauen, so stehen wir am Ende wahrscheinlich allein und im Regen da. Ein öffentlicher Diskurs, auch wenn er auf einer – eher noch harmlosen – Ebene wie bei Spickmich.de geschieht, zeigt, dass wir eigentlich den Dialog bräuchten.

Doch überall dort wo dringend geboten, in Politik, Wirtschaft und eben auch an Schulen und Universitäten, hat sich der demokratische Diskurs bisher nicht wirklich durchgesetzt. Mit etwas Glück regt dieser Fall zum Nachdenken an und vielleicht schafft er sogar neue Formen demokratischer Auseinandersetzung. Traurig wäre es, wenn es lediglich zu einer Ausweitung von Ungerechtigkeit führen, sprich lediglich der Finger auf andere zeigen würde. Denn das ist kein Dialog, sondern nicht viel mehr als gegenseitige Schuldzuweisung.

Web 2.0 gut und schön. Noch ist die Mauer der Kommunikation nicht eingerissen. Noch dulden Experten kaum Widerspruch und werten Gegenmeinungen als Beweis des Unverstandes ab. Doch Gesellschaft und Internet lassen nicht locker und schaffen immer neue Formen des Meinungsaustausches, dem sich unsere Eliten nicht entziehen können.

Während die einen versuchen, zum Beispiel Soziale Netzwerke für sich zu okkupieren, habe andere bereits erkannt, das der Dialog mit seinen Kunden, Wählern, Patienten, Schülern und Studenten etc. genau das ist, was unsere Demokratie auf dem Papier von uns fordert: Ein Gleichgewicht zwischen freier Meinungsäußerung und Persönlichkeitsrechten zu finden. Eine Aufgabe an der wir uns verheben könnten, wenn wir sie nicht als Chance verstehen.

Bildquelle: Spickmich.de