„Je später der Abend, desto schöner die Gäste“, sagt man. Deshalb, und weil das Thema einen Kurs in Wundern versprach, haben wir uns gestern mal wieder ganz masochistisch die „Anne Will“-Talk Show angetan – und ein prima Beispiel für missglücktes „Negative Campaigning“ erlebt. Das Ziel der Sendung wurde gleich in den ersten Minuten klar: 1. Die derzeitige Wirtschaftssituation schön reden und 2. alle Sozialnörgler am besten als verkappte Kommunisten deklarieren. Immer weniger Menschen glauben das Eigenlob der Regierung und ihrer verlängerten Arme den Medienvertretern. Deshalb macht man es jetzt wie in Amerika die Tea Party-Bewegung…, man haut mit der großen Keule einfach permanent auf alles ein, was der politische Gegner will. Doch die Menschen wollen doch Lösungen, kein Gelaber.
Um es kurz zu machen… es war eine einzige Farce und man glaubte sich in einem Anfängerkurs für mediale Propaganda. Das Thema: „Wirtschaftsboom und Jobwunder – wer träumt da noch vom Kommunismus?“ zeigte schon im Vorfeld, dass es gar nicht um eine sachliche Analyse der Situation ging, die für eine wachsende Zahl in der Bevölkerung zusehends schlechter wird. Es ging auch nicht um die Frage, welche gemeinsamen Lösungen und welchen Konsens man nun finden müsse. Nein, aufeinander herum hacken war angesagt – und da nahm sich die „Talkmasterin“ Anne Will nicht aus. Von Neutralität keine Spur.
„Arbeit ist mehr als Geld verdienen“
Das ging auch gar nicht, denn die Auswahl der Gäste lies dies kaum zu. Einerseits war der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, geladen. Dieser saß mit sich zufrieden da und machte nur hin und wieder den „erklärenden Opa“, der uns die Köpfe wieder zurecht rückt und verrät, wie das mit der Wirtschaft in Wirklichkeit funktioniert. Nach Außen verteufelte er das „Kommunismus-Zitat“ von Gesine Lötzsch, der Vorsitzenden der Linkspartei und bekam gleichzeitig die Möglichkeit, sich und die Regierung zu feiern. Denkwürdig sein an Zynismus kaum zu überbietender Satz „Arbeit ist mehr als Geld verdienen“, denn es sei ja viel wichtiger, erst mal in die Arbeitswelt einzutauchen, als allein zuhause zu sitzen. So wie atmen ja auch wichtiger ist als Sauerstoff – denkt man… Er versuchte die Arbeitsmarktzahlen in den rosigsten Farben auszuschmücken, kam aber nicht so recht damit an. Denn vom tollen Aufschwung merken tut kaum einer was – es sei denn, Zeitverträge, Untertarif- und Billiglöhne usw. machen wirklich froh.
Ihm zur Seite saß der Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer, der wohl wegen seines Buches „Unter Linken“ geladen war. Anne Will zeigte zur Untermauerung seiner doch eher arroganten These, dass „(nur) die Linken keine andere Meinung duldeten einen Einspielfilm, bei dem man in einer Spiegle TV-Sendung einen CDU-Mann doch tatsächlich am Rande einer Kundgebung der Linken platzierte – nur um zu filmen, wie er von der vorbei ziehenden Menge angemacht wurde. Kein Wort davon, dass dies bei einem linken Infostand und einer rechten Demo nicht anders gewesen wäre. Und was würde wohl ein einem Vegetarierer-Stand bei einer Demo der Fleischesser (oder umgekehrt) geschehen, was einem Waffenfreak-Stand bei einer Friedens-Demo – und umgekehrt? Die Aussage war gleich Null.
Anne Will hatte übrigens die Sendung aufgemacht mit einem Filmchen über zwei Menschen die unter dem Regime der ehemaligen DDR gelitten und deshalb bei einer Veranstaltung der Linken demonstriert hatten – und dabei angegriffen wurde. Dies sollte die These noch erhärten. Jan Fleischhauer machte zu keiner Zeit den Eindruck, dass er seinerseits andere Meinungen zulassen wollte. Zusammen mit Brüderle schlug er lieber rhetorisch auf den nächsten Gast, Oskar Lafontaine, ein.
Dieser saß nun auf der Strafbank und versuchte sich der Drei zu erwehren – und eierte dabei äußerst unglücklich herum. Als ehemaliger Bundesvorsitzender der Linken wurde er sozusagen in Sippenhaft genommen. Um ein schnelles Wort nie verlegen, bügelte er die Drei immer wieder ab, machte zudem Jan Fleischhauer auf das Mitarbeiterbeteiligungskonzept beim Spiegel aufmerksam, dass im Grunde nichts anderes sei als eine Bürgerbeteiligung am Wohlstand, so wie er selbst es ja auch fordere. Bekennen oder benennen wollte er nicht; alles wirkte doch sehr zurecht gelegt. Herrn Brüderle wies er immer wieder auf die geschönten Arbeitsmarktzahlen und die Folgen des Turbokapitalismus hin. Brüderle verwehrte sich dagegen und meinte, dass wir in Deutschland doch gar keinen Kapitalismus hätten. Lafontaine, auch eher als ein großer Fan seiner selbst bekannt, war in der Defensive, doch verstand es nicht, seinen Worten etwas Uneigennütziges zu geben. Man hatte immer noch den Eindruck, hier spricht ein Parteivorsitzender.
Dokumentarfilmerin setzt Pittbull-Diskutanten auf den Topf
Die kleine Keif- und Sichselbstbeweihräucherungsgruppe musste erst von der Dokumentarfilmerin Aelrun Goette auf den Topf gesetzt werden. Sie bat darum, mit der unwürdigen Propaganda aufzuhören und endlich mal über Lösungen und Perspektiven zu reden. Das Publikum dankte es ihr, und ich ganz ehrlich auch. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Ganze etwas von übelster Propaganda, denn das Negative Campaigning von Will, Brüderle und Fleischhauer war tump, durchsichtig und gelinde gesagt sehr bösartig.
Da passte es auch, dass Anne Will, als sie den letzten Gast, den Politik- und Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, empfing – der von der real existierenden Armutsentwicklung erzählte – mit den Worten „ja, sie sind ja auch ein Linker. Ist es da vielleicht kein Wunder, dass Sie auf solche Zahlen kommen?“… und aus dem Feixen und Lachen nicht mehr heraus kam. Für eine Moderatorin einer Öffentlich Rechtlichen Sendeanstalt eigentlich unwürdig, wenn nicht die Sendeanstalten selbst schon so tief am Boden läge.
Das war keine gute Sendung, sondern reinste Propaganda – bezahlt von unseren Gebühren. Hier sollten vordergründig die Linken angegriffen werden, doch genauso ging es darum alle Menschen die den sozialen Warnruf erschallen lassen in die Ecke der Kommunisten zu stellen. Platter geht es gar nicht. Denn auch wenn man die Linken für fragwürdig hält, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen ist nicht links, sondern menschlich. Das zu begreifen wünscht man diesen Menschen, die sich für dubiose Interessengruppen als Propagandisten vor den Karren spannen lassen. Es geht doch um viel mehr als dieses politische Affentheater. Es geht um unser aller Zukunft. Da sollte es egal sein, welche Parteiprogrammatik ein Fernsehsender verfolgt, ob eine Initiative Neue Marktwirtschaft ihre Adepten in die Fernsehshows schickt, ob ein Medienkonzern wie Bertelsmann Anteile beim Spiegel hält, ob ein Minister seinen Sitz mit Klebstoff bestreicht uswusf.
Der Bürger hat die Propaganda satt!
Das alles durchschaut der Bürger schon lange und er hat es so was von satt! Er will endlich Menschen sehen die sich redlich und ohne Eigennutz für ihn einsetzen – und das scheint irgendwie keine Partei und kaum ein Medienanbieter mehr drauf zu haben. Zumindest das hat uns die Sendung abermals gelehrt.
Randnotiz: Klasse übrigens der Versprecher von Anne Will, Stichwort „Kaputtalismus“ (siehe Video oben)… 🙂
Bildquelle:
Pixelio.de, Gerd Altmann/Carlsberg1988
Hallo! Habe mittlerweile schon furcht davor, dass bald alle die was Soziales und Verbesserungen wollen als Kommunisten abgestempelt werden.
Gruß Hans