Sehr geehrte Anne Will-Redaktion,

»Sehnsucht nach einer besseren Welt – brauchen wir mehr ‚Gutmenschen‘?« – das war die Frage, die letzten Sonntag in Ihrer Sendung diskutiert werden sollte. Wir – die Betreiber des Blogs www.fuereinebesserewelt.info – haben uns darauf gefreut. Doch mit dem Fortschreiten der Sendung geriet Ihr Fernsehspektakel immer mehr zu einem Fall des Fremdschämens, der Enttäuschung und des schalen Nachgeschmacks…

Denn es ging in Ihrer Sendung gar nicht um die Frage, wie wir eine bessere Welt erreichen können – wie wir soziale Ungerechtigkeiten, Krieg, Hunger, Sklaverei, Flucht und viele Dinge mehr in dieser Welt bekämpfen können. Es ging nicht um die Frage, wie sich dabei Berufspolitiker, Interessenverbände (wie beispielsweise NGOs oder kirchliche Vertreter) und Otto Normalverbraucher ergänzen und gegenseitig inspirieren können.

Nein, zu sehen bekamen wir lediglich ein PR-Spektakel, bei dem es darum ging, Frau Margot Käßmann anzugreifen und zu diskreditieren – wohl stellvertretend für den »moralisierenden Wutbürger«, der vielen Politikern zu unbequem wird. Zu sehen bekamen wir nämlich auch den Versuch der Politiker »nicht schlecht dazustehen« – wobei unklar blieb, ob Herr Lindner mit seiner gegenüber Frau Käßmann gemachten Äußerung nur sich und seine Partei (FDP) im Speziellen meinte oder seinen Berufsstand im Allgemeinen…

Doch soll hier die unzeitgemäße und möglicherweise auch wenig überzeugende PR-Strategie eines Herrn Lindner nicht im Vordergrund stehen. Es geht um Ihre Sendung und Ihre »Moderation«. Sie, Frau Will, und Ihre Redaktion wissen um den gesellschaftlichen und politischen Zustand unserer Welt: Sie wissen, dass wir eine Besserung brauchen. Eine Besserung für diejenigen, die durch die Maschen der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche fallen und als unproduktiv gelten – ja, gar als überflüssig. Sie wissen, dass eine wachsende Zahl von Menschen allein in der Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgibt, an das Gute zu glauben. Sonst hätten Sie sicherlich nicht diesen Titel für Ihre Sendung gewählt, wohl in der Hoffnung auf bessere Einschaltquoten…

Und so locken Sie mit Ihrem Titel: „Sehnsucht nach einer besseren Welt – brauchen wir mehr ‚Gutmenschen‘?“ einen Grünen wie Winfried Kretschmann in Ihre Sendung. Nicht, um mit ihm über Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zu sprechen oder über die Energiewende. Nein, sondern ganz offensichtlich nur um ihn vorzuführen! Sie stellen den Vorwurf der Wahllüge (Stuttgart21) in den Raum – obgleich in Ihren Sendungen ganz nach Belieben das Argument von der »Unkündbarkeit von Verträgen« hervorgekramt wird oder nicht: geht es um Manager-Boni sind sie es nicht; geht es um den Atom-Ausstieg, sind sie es doch; geht es um Stuttgart21, sind sie es nicht – aber nur solange die CDU am Regieren ist…

Man braucht kein Anhänger der Grünen zu sein, um Ihren Winkelzug zu erkennen. Man braucht (und das ist einer der Momente akuten Fremdschämens) nur in Ihre Augen zu schauen, Frau Will: Das Leuchten der Freude, als Sie glaubten, Herr Kretschmann sei nun in ihr zuvor fein säuberlich ausgelegtes Netz getappt: »Ach tatsächlich – na, wir haben da einen kleinen Einspieler vorbereitet«. Man braucht kein Anhänger der Grünen zu sein, um sich zu fragen: Ist das noch Journalismus?

Frau Käßmann dürfte unter ähnlichem Vorwand ins Studio gekommen sein – nämlich in der Hoffnung, sich für eine bessere Welt äußern zu dürfen… Doch was geschieht? Eine zweifelhafte Zweiteilung der Welt in die moralisierenden Idealisten auf der einen Seite – und die pragmatischen Realpolitiker auf der anderen beginnt. Als müsste es hier einen Grenzverlauf geben… Aber halt mal – war es nicht in einer Ihrer Sendungen, in denen der Vergleich zwischen Guttenberg und Käßmann explizit gesucht wurde? Wurde da das moralische Verhalten zweier in der Öffentlichkeit stehender Personen nicht ausdrücklich verglichen? Wäre es nicht das wichtige Anliegen einer guten Moderatorin gewesen, den Gästen die Frage zu stellen, ob wir nicht MEHR Moral und Ideale in der Politik brauchen – ob es nun um die Erreichung politischer Ziele geht oder um die »persönliche« Lebensführung und Berufsplanung?

Sie und Ihre Redaktion allein werden wissen, warum Sie sich einen Menschen wie Martin Lindner als Käßmann-Inquisitor in einer Sendung mit einem Titel wie diesem zur Seite gestellt haben – einen Mann der nicht eben für seine mäßigenden und wohlmeinenden Worte bekannt ist. Seine Äußerungen waren jedoch ein weiterer Fall zum Fremdschämen. Nein, nicht (nur) weil er mit »realpolitisch« erhobenem Zeigefinger Frau Käßmann den symbolisch erhobenen Zeigefinger untersagen wollte (siehe Bild / Quelle: ARD). Sondern weil in ihm all die Arroganz Ihres Sendekonzeptes sichtbar wurde: zu verräterisch war der Moment, in dem Herr Lindner den wahren Grund für seine (und wohl auch die redaktionellen) Attacken gegen Frau Käßmann und den »Gutmenschen« an sich preisgab: bei aller Kritik gegen das unredliche Verhalten von Politik und Wirtschaft, solle er nicht so schlecht dastehen. War das der eigentliche Auftrag Ihrer Sendung? Nein, dann ist das kein Journalismus mehr!

Nicht viel besser der Medienwissenschaftler Norbert Bolz als moralischen Codex der Angreifer. Seine Argumentation: Frau Käßmann reichere erstens Ihre Aussagen unrechtmäßig mit »kirchlichem Mehrwert« an (was auch immer das sein soll). Zweitens solle sich die Kirche zu politischen Fragen des Zeitgeschehens nicht äußern – ihm sei unwohl dabei… Doch wie unwohl muss einem »Gutmenschen« sein, wenn sich die Kirchen in ungerechten, ja unchristlichen Zeiten lautlos zurückhält? Erstaunlicherweise sagte er nichts über Parteien, die doch das christliche »C« in ihren Namen tragen – oder gegen eine Kanzlerin Merkel, die auf einem Kirchentag auftaucht (um dort zu verkünden, sie wolle Förderprogramme für Arbeitslose auf den Prüfstand zu stellen…)

Fragen über Fragen, die einem Journalisten – und guten Moderatoren – geradezu auf der Zunge brennen. Fragen, die leider ungestellt blieben. Genauso wie die Frage, ob es nicht doch die unrealistischen Weltverbesserer sein können, die ab und an der Realpolitik solch einen Druck machen, dass sie sich dann eben doch bewegt? Dazu hätten Sie als Moderatorin einen Sebastian Krumbiegel ruhig ein bisschen mehr am Gespräch beteiligen können… Oder wurde er als argumentatives Leichtgewicht eingeladen? Hätten sich viele andere »Gutmenschen« diese Art verfemenden Meinungsjournalismus nicht hätten gefallen lassen?

Unser Fazit: Es fällt jetzt schon schwer, sich für das Gute einzusetzen in einem System, das Konkurrenzkampf, Eigennutz und Gewinnstreben belohnt. Doch es fällt noch schwerer mit anzusehen, wie eine journalistische Instanz wie die ARD – die allein durch ihren Sendeauftrag zu Neutralität und Ausgewogenheit verpflichtet ist (und dafür von uns auch teuer bezahlt wird) – mit Gepflogenheiten des anständigen Journalismus bricht. Es schmerzt im Kopf und tut im Herzen weh, wenn man mit ansehen muss, wie Menschen ihr Amt, ihre Stellung, ihre Macht und auch ihr Wissen nur nutzen, um ein journalistisches Gericht über die zu verhängen, die ihren Eigeninteressen schaden könnten – und das noch nicht einmal schlecht verhüllen müssen.

Aber wird dabei nicht eine Angst deutlich? Die Angst vor dem »Wutbürger«? Genährt durch die Bewegungen in Nordafrika, im Nahen Osten, in China, Russland, den USA und zunehmend auch in Europa…(siehe Griechenland und Spanien)? Längst merken die Politiker und Medien, dass sie nicht mehr allein regieren können – in keinem Land, ob es sich nun »demokratisch« nennt oder nicht. Sie verlieren die Kontrolle – jedoch nur solange, wie sie sich gegen einen echten Dialog sträuben. Einen Dialog, der dringend notwendig ist. Ein Dialog, der in Ihrer Sendung hätte statt finden können – wenn Sie es gewollt hätten! Es wird Zeit sich selbst zu schämen und dies nicht ständig anderen zu überlassen.

Eine bessere Welt ist möglich!
Das Blog fuereinebesserewelt.info