Wenn ich nachts am Rechner sitze und es mir bei der Arbeit manchmal zu still wird, lass ich gern mal im Hintergrund etwas laufen, ein Hörspiel, ein Filmchen oder sogar etwas TV. So auch gestern. Irgendwann, ich las gerade einen Text über die mediale Schlammschlacht um die gestrigen Pro-Gutti-Demonstrationen, als im TV DSDS begann – „Deutschland sucht den Superstar“. Ein Format dass ich für gewöhnlich nicht verfolge und schon beim Vorspann weg zappe. Diesmal war ich zu sehr in den Text, ins Klicken und Recherchieren vertieft, und habe es rund 10 Minuten über mich ergehen lassen. 10 Minuten die es in sich haben.

Ich nehme solche Sachen für gewöhnlich erst nur als Klangkulisse wahr und summe vielleicht etwas mit, wenn ich mal einen Song kenne. Wenn es kracht und zischt, dann gucke ich natürlich ganz instinktiv näher hin – wie es wohl die meisten täten. Und wenn es etwas Ungereimtes, Eigenartiges, Merkens- und Bemerkenswertes dort geboten wird, bleibe ich sogar hängen und beobachte es wie einst meine Vorfahren den hungrigen Bären am Horizont.  Doch dann reibe ich mir irgendwann die Augen, erkenne dass das Gebotene wohl doch keine Gefahr für meine Sippe darstellt, und widme mich wieder meiner Sache. Doch gestern, bei der DSDS-Sendung war das etwas anderes. Hier wurde mein Beschützerinstinkt doch irgendwie angesprochen, klingelten die Alarmglocken und juckte es mal wieder mächtig in den Fingern.

Vielleicht kennt Ihr diesen Moment der von vielen so beschrieben wird, als würden einem Schuppen von den Augen fallen? Als würde der Groschen fallen? Als hätte es gerade gefunkt? Ja? Dann stellt Euch mal alles gleichzeitig vor. Dann wisst Ihr, wie ich mich gefühlt habe. Dabei war die Erkenntnis gar nicht neu und habe ich schon häufig hier oder in Zeitschriften darüber geschrieben…doch dieses Mal war es keine Kopferkenntnis, sondern ein Gefühl – ein sehr mächtiges dazu.

Wir leben in einem PR-Film

Werbung, Public Relations – oder „Öffentlichkeitsarbeit“, wie man das etwas vornehmer nennt – Meinungsmache,… es gibt allerlei Wörter für das was aus unserem Leben geworden ist. Und, wir können uns dem noch nicht einmal dann entziehen, wenn wir uns dem bereits entzogen haben! Wir behaupten (vielleicht), dass wir mit unserer Meinung über den Dingen stehen, sie aus einer intellektuellen Distanz betrachten, unvoreingenommen und unmanipuliert sind, aber das stimmt nicht. Wir alle sind bereits – hart ausgedrückt – Sklaven einer Wahrnehmung die nicht die unsere ist. Wir glauben das nur. An DSDS wurde mir das gestern noch einmal richtig deutlich vor Augen geführt, da es (bei einigem Nachdenken und sich nicht ablenken lassen) so hübsch offensichtlich wird.

Wir leben in einem PR-Film. Es gibt keinen Bereich, der hier ausgenommen ist. Auch wenn wir alle Zeitungen meiden, den Fernseher aus dem Fenster schmeißen, und das Radio hinterher. Wenn wir nur noch Bücher lesen, vielleicht sogar diejenigen aus „besseren Zeiten“. Wir werden spätestens als die Herdentiere, die wir nun mal für gewöhnlich sind, wieder eingeholt. Treffen den Nachbarn auf einen Plausch am Gartenzaun, reden kurz mit der Frau an der Kasse, dem lieben Verwandten am Telefon uswusf. Auch wenn wir eine unsichtbare Mauer um unseren Verstand legen würden, sobald wir unsere Sinne einschalten, sobald wir nachdenken mit dem was wir in unserem Leben gelernt haben, sind wir wieder mittendrin. Inmitten dem Gespinst aus gemachten Wahrheiten und Überzeugungen. Wir erleben nicht nur PR um uns herum, wir leben IN ihr.

Ein gutes Beispiel ist die Sendung von gestern.

Aus dem Augenwinkel, beim Durchforsten der Tagesmeldungen, sprang mir immer wieder der Streit zwei Kandidatinnen ins Auge. Die eine habe dies, die andere habe das gesagt. Die Wogen schlugen hoch, die größte Tageszeitung des Planeten schrieb darüber und hunderte (wenn nicht tausende) kleiner, kleinerer und kleinster Satelliten-Medien nahmen sich der Sache an.  Für mich Unsinn, uninterssant. unwichtig. Denkste. Erst gestern, als ich diese 10 Minuten-Horror-Vision hatte, wurde mir das Prinzip deutlich um die Ohren geschlagen: Der Streit ist gemacht. Die Medienhäuser die über ihn zunächst berichten, verdienen viel besser daran, wenn – und es ist ja eine Call in Show – möglichst viele Menschen sich erhitzen und zum Telefonhörer greifen. Denn Anrufe bringen bei diesem Format das Geld.

Streit bringt Emotionen. Emotionen fordern Taten. Taten bringen Macht.

Oder hier:

Streit bringt Emotionen. Emotionen fordern Anrufe. Anrufer bringen Geld!

Deshalb wird der Streit nicht nur dokumentiert, abgefilmt, wenn er sich nun mal zuträgt, sondern er wird gemacht und gepusht. Nichts Neues sagt Ihr? Bestimmt… aber dann erinnert Euch an die Debatte um die Sarrazin-Thesen oder jüngst den Streit um Karl-Theodor zu Guttenberg! An Tunesien, Ägypten, Libyen. An Afghanistan. An den Wahlkampf von Barack Obama. usw. Denn hier ist es genauso, funktioniert es genauso. Man schaffe eine Problem, sorge dafür, dass es ganz mächtig aufgebauscht wird, man sorge dafür dass sich Gruppen bilden, emotionalisiere sie und treibe noch weitere Keile hinein. Dann koche man das Ganze eine Weile im eigenen Saft, sorge dafür, dass die Welt darüber rede, sich der einen oder anderen Gruppe anschließe und am besten gar nicht erst an Einigung, an Versöhnung denke – oder nach dem „Retter“ schreit. Schon läuft der Deal. Schon rollt der Rubel. Schon lassen sich die Karten der Macht ausspielen. Man muss lediglich dafür sorgen, dass man selbst es ist, der hier die Lösung anbietet.

Ohne Worte:

Quelle: RTL
Dieses Prinzip lässt sich auf alles, sogar die aktuelle Krise in Nordafrika, sprich derzeit Libyen, übertragen. Die Menschen kämpfen für eine Sache, ihre Sache – das glauben sie zumindest. Doch in Wirklichkeit werden ihre Gefühle, ihre Handlungen ihre Hoffnungen wie an den langen Fäden eines Marionettenspielers gehalten. Bei DSDS war dies mehr als deutlich, schrie doch der Submoderator – als die Wogen gerade mal schön hochgekocht worden waren – in die Kamera, dass das nun der Zuschauer zuhause mit seinem Anruf eingreifen möge, um seinen Einfluss geltend zu machen. Das war bestes Kasperltheater, wo der Kasper fragt, wo der Teufel blos sei, während dieser bereits hinter ihm steht. Die Menge johlt, schreit, gebärdet sich wild – und greift zum Telefon.

Deutschland sucht den Sündenbock

Ob TV-Show, politische Auseinandersetzung, Wahlkampf, moralische Debatten – jede auch noch so kleine Auseinandersetzung – ja, auch die Fragen der Modewelt – unterliegen diesem PR-Konzept: Problem schaffen, Problem aufbauschen, Problem wie gewünscht auflösen. Dann geht es eben nicht um den Superstar, sondern um den Sündenbock der für Deutschlands Niedergang herhalten muss, um den Politiker mit Obama mit Lichterglanz, um eine Beteiligung in einem Krieg, um die Verteidigung eines total kranken Wirtschaftssystens, um den Erhalt des Konkurrenzgedankens, worum auch immer. Alles liegt NICHT in der Hand des Betrachters, sondern in den Händern derer die für die Betrachtungen die Optionen schaffen, die Alternativen und dann die Lösung.
In Libyen gibt es einen wild gewordenen Diktator? Nun gut, dann muss die Liga der Gerechten, dann muss die NATO, müssen die UN-Truppen eben einmaschieren und für Ordnung sorgen (am besten dauerhaft)! Wir haben diesen Diktator jahrelang mit Waffen, Spitzeltechnologie und Geld versorgt? Egal, jetzt wird übernommen, jetzt geht es um die Menschlichkeit. Jetzt können wir nicht mehr länger zusehen. Denn wir wollen ja die Demokratie. Da muss man die Sache schon mal etwas härter anfassen.

Deutschland schafft sich ab? Aber klar, dann sind die anderen Schuld. Wirtschaftskrise? Finanzkrise? Eurokrise? Nein, dass hat mit den Banken, ihren Beratern, mit Investoren und Spekulanten nur „systemisch“ zu tun, die helfen uns ja dabei das Problem zu lösen. Nein, daran sind ganz andere Sündenböcke schuld… die Armen zum Beispiel. Die Hartz IV-Empfänger, die Moslems, wer auch immer – aber WIR NICHT!

So geht das. So machen wir aus der Not eine Tugend, aus der Lüge eine Wahrheit. Wir drehen einfach alles auf den Kopf. Doch darin liegt nicht das eigentliche Ziel der PR-Strategen. Diese handeln nach der alten (aber bewährten) Maxime: Teile und herrsche!

Streit bringt Emotionen. Emotionen fordern Taten. Taten bringen Macht.
So einfach ist das.

Ihr kennt doch das Bild vom „Lachenden Dritten“?
Genau so ist es hier.

Macht einfach die Hintertür auf und geht

Wir leben zwar in einer durch und durch gemachten PR-Welt, in der nichts dem Zufall überlassen wurde und es kein Entrinnen zu geben scheint. Doch das stimmt nicht.

Erstes könnte man den (vornehmlich) jugendlichen mal zeigen – vielleicht an den Schulen – welche Macht diese Medienformate über sie haben. Man könnte ihnen zeigen, wie sie sich von der Modeindustrie an der Nase herum führen lassen. Man könnte Sendungen in TV und Radio, oder Artikel darüber bringen, wie die Erwachsenen nach den gleichen unseeligen Methoden manipuliert werden, wie sie sich in ein Meinungslager hinein zwängen lassen, die sie vergessen lassen, dass es jemanden gibt der BEIDE, Kasper UND Teufel, spielt. Im Fall Guttenberg lassen sich beide Seiten zum Spielball machen, sobald sie ihre Zeit damit vertun sich um diese Nebensächlichkeiten zu kümmern. Diese PR-Story sollte ihre kostbaren Gefühle nicht vergeuden. Es gibt so viel Wichtigeres zu tun. Das meiste davon spielt sich direkt um uns herum ab. Dort sollte man seine Aufmerksamkeit hin richten, dort sollte man sich engagieren, dort sollte man seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Und wenn es weit weg sein soll: Über eine Milliarde Menschen hungern auf diesem Planeten, warten auf Hilfe.

Es geht vielen Menschen gar nicht gut. Sie sind Opfer des gnadenlosen Wirtschaftssystems geworden und kommen kaum über die Runden. Allein bei uns in der Stadt lebt jedes vierte Kind an der Armutsgrenze. Darüber lohnt es sich zu entrüsten und nicht über diesen gemachten Hokuspokus. Solange wir uns zu sehr damit befassen, zu sehr darauf eingehen, uns sogar noch emotional in das hinein stürzen, was uns das mediale Kasperltheater vormacht, werden wir die Probleme nicht mal im Ansatz lösen. Das ist alles Budenzauber, lächerliches Tischfeuerwerk gegen das was uns erwartet, wenn wir uns an diesen profanen Dingen abreagieren, anstatt das Offensichtliche, die Not, den Mangel um uns herum zu sehen. Wir machen die Medienbetreiber reich, die Akteure mächtig, lassen sie und ihre Inszenierungen Macht über unsere Gefühle und Handlungen haben.

Damit muss Schluss sein. Mir haben diese 10 Minuten gereicht. Doch für all die anderen gemachten Szenarien reicht ein einzelner Ausschaltknopf nicht aus. Hier sind wir und unsere Taten gefragt, frei nach dem nun gewendeten Motto:

Zusammenhalt bringt Selbstbestimmung. Selbstbestimmung fordert Verantwortung. Verantwortung löst Probleme.

Erst wenn wir diese Verantwortung selbst ergreifen und nicht PR und Medien überlassen, werden wir tatsächlich damit beginnen die Probleme der Zukunft zu meistern.

Macht einfach die Hintertür auf und geht!!!

Bildquelle:
Pixelio.de, Rike