Der Oskar für Datenkraken – so werden die Big Brother Awards auch genannt. Denn jedes Jahr zeichnet eine Jury – bestehend aus Vertretern unterschiedlicher Organisation wie etwa dem Chaos Computer Club, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) oder der Deutschen Vereinigung für Datenschutz den bekannten Negativpreis an Unternehmen, Behörden und Einzelpersonen. Und auch dieses Jahr gaben sich bekannte „Big Player“ wieder einmal die Ehre: Apple, Facebook oder die Daimler AG…

Vielleicht zunächst einmal die Auszeichnungen, die uns in unserem praktischen Alltag direkt berühren könnten: Wahrscheinlich hat fast jeder ein Facebook-Profil. Macht ja auch Spaß, sich auf die Suche nach verflossenen Bekannten, Freunden und Verwandten zu machen und ihr Leben künftig ein bisschen genauer im Auge zu behalten. Das der Anbieter nun unsere Daten sammelt, um darauf Profit zu schlagen – und auch dem amerikanischen Geheimdienst zur Verfügung zu stellen – ist ja nun hinlänglich bekannt. Angeblich lachen auch alle Menschen dieser Welt darüber, dass wir Deutsche (wir Panikmacher und Angsthasen) damit überhaupt ein Problem haben. Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle doch noch mal zu bedenken geben, was auf der Website des Big Brother Awards steht:

„Die gesammelten Daten speichert Facebook in den USA – Zugriff für Geheimdienste möglich, Löschen nicht vorgesehen. Per „Freundefinder“ und „Handy-App“ eignet sich Facebook Telefonnummern und Mailadressen aus den Adressbüchern der Nutzer an. Der „Gefällt-mir“-Button auf fremden Webangeboten verpetzt auch ohne Anklicken alle Besucher der Seite an Facebook. Mit Facebook wuchert eine Art zentrale „Gated Community“ im Netz, in der Menschen auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Hier herrscht die Willkür eines Konzerns und der verdient mit systematischen Datenschutzverstößen Milliarden.“

Mehr Infos dazu gibt es auf der Website des Big Brother Awards. Und nur so nebenbei: In Amerika – und jeder weiß, dass die Amerikaner uns um Längen voraus sind – wird schon über Facebook-Exit-Strategien diskutiert. Eine weitere Anregung wäre ggf. der „Quit Facebook Day“ (www.quitfacebookday.com). Alternativen gibt es übrigens auch schon – nämlich die Opensource-Facebook-Alternative Diaspora (https://joindiaspora.com).

 

Noch einfacher dürfte eine Contra-Strategie bei Big-Brother-Preisträger Apple sein: Der Award moniert nämlich, dass Apple Besitzer eines iPhone dazu zwänge, den aus Datenschutz-Sicht zweifelhaften App-Nutzungsbedingungen zu zustimmen:

„Die Kunden haben quasi keine Wahl, den 117 iPhone-Display-Seiten mit Datenschutzbedingungen nicht zuzustimmen, denn sonst könnten sie ihr teures Gerät maximal zum Telefonieren nutzen. Insbesondere die Lokalisierungs- oder Standortdaten der Nutzer werden von App-Betreibern und Werbekunden gerne genutzt, um speziell zugeschnittene Werbung zu platzieren“, schreiben die Award-Ausrichter.

Wer nicht vollkommen vom Zwang zum Statussymbol in Besitz genommen ist, dürfte leichten Herzens auf das iPhone verzichten können. Wer noch ernster nehmen will, verweigert sich auch dem iPad oder „normalen“ Apple Rechnern. Das ist sicherlich nicht nur aus Gründen des Datenschutz sinnvoll: Auch wegen einer Selbstmord-Serie unter den Arbeitern seines Zulieferers Foxconn stand Apple ja nun jahrelang unter heftiger Kritik.

Weitere Preisträger aus der Wirtschaft sind die Modemarke Peuterey, vertreten durch die Düsseldorfer Modeagentur Torsten Müller, weil das Unternehmen latu Big Brother Awards RFID-Chips in ihren Kleidern versteckten; der Verlag für Wissen und Information in Starnberg, der zwar keine Bücher verlegt, dafür aber Schulkindern Adressdaten im Tausch gegen Büchergutscheine aus der Nase ziehen soll; sowie die Daimler AG, weil sie von ihren Mitarbeitern nicht zulässige Bluttests verlangen soll.

Aber nicht nur die Wirtschaft, auch öffentliche Organisationen schrecken vor zweifelhaften Praktiken natürlich nicht zurück. So soll der Deutsche Zoll beispielsweise den Unternehmen Exporte und Importe erleichtern, die ihre Beschäftigten mit russischen Antiterrorlisten abgleichen; Dr. Prof. Dr. Gert G. Wagner erhält den Preis stellvertretend für alle am Zensus 2011 beteiligten (www.zensus2011.de, weitere (kritischere) Infos gibt es zum Beispiel auch bei Netzpolitik.org); und auch der  Niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat sich eine „Auszeichnung“ verdient dafür, dass er zum ersten Mal bei den Demonstrationen gegen die Castor-Transporte Drohnen zum Ausspähen der Demonstranten eingesetzt hat.

Sicher ist es nicht hilfreich, bei jedem neuen Online-Service und jeder technischen Weiterentwicklung in Zähneklappern und Kassandrarufe auszubrechen. Doch ist es definitiv sinnvoll, sich immer mal wieder bewusst zu machen, welche technologischen Mittel Unternehmen und staatliche Einrichtungen „gegen“ uns in der Hand haben. Ich höre schon, wie der ein oder andere nun sagt: „Ich hab doch nichts zu verbergen“. Sicher, das stimmt. Doch machen wir uns hin und wieder auch bewusst, dass sich so eine Situation auch wieder ändern kann. Wir haben in Deutschland im letzten Jahrhundert zwei Diktaturen erlebt, in denen es (lebens)gefährlich sein konnte, das „rechte“ zu tun oder zu denken. Hätten diese Regime die heutigen, technischen Möglichkeiten gehabt – die Geschichte wäre vielleicht nicht auszudenken zu gewesen.