Wie wissen wir, wie gut ein Produkt ist, wenn es verpackt ist? Der Barcode sagt es uns – bei einem Besuch bei codecheck.info
Alles begann Anfang dieses Jahrtausends in Kuba: Roman Bleichenbacher, Student an der Hochschule für Gestaltung in Basel, verbrachte mehrere Monate in Kuba und lernte dort, wie man auf dem Wochenmarkt eine reife von einer unreifen Mango unterscheidet. Wieder in der Schweiz, stand er mit seinem neuen Qualitätsbewusstsein plötzlich vor der Frage, wie wir hier im Westen eigentlich die Qualität unserer Lebensmittel beim Einkauf einschätzen… Alles ist so schön bunt verpackt, aber was steckt eigentlich drin? Das Ende vom Lied war Codechecker.info, ein Wiki für Produktinformation. Per Webcam oder Handy-Kamera kann man den Barcode scannen und so die Inhaltsstoffe seiner Lebensmittel checken. Roman Bleichenbacher erklärte uns das im Interview genauer…
Roman Bleichenbacher: Angefangen hat es mit der Idee von einem Kühlschrank, der eine bewusste Ernährung zu einer Art Spiel macht: Man legt die Produkte in diesen Kühlschrank und stellt mit einem Regler die Qualität seiner Ernährung ein. Also wenn man zum Beispiel das Gefühl hat, dass man ein Feinschmecker ist, dann muss man entsprechend einkaufen, sonst spuckt der Kühlschrank die Sachen einfach wieder aus.
Damit stand ich natürlich vor der Frage: Wie kann ein technisches Gerät wie ein Kühlschrank herausfinden, was in Lebensmitteln steckt? Bei meinen Recherchen habe ich entdeckt, dass es auf allen Verpackungen diese Strichcodes gibt, die Lebensmittel weltweit eindeutig kennzeichnen. Das ist an sich ein super System. Es ist bloß schade, dass es bis dahin nur für Registrierkassen genutzt wurde und die Verbraucher gar nichts davon haben.
Das hat mich ein bisschen enttäuscht und mir gezeigt, dass es doch noch einige Grundlagenarbeit braucht. Und dann habe ich den Gedanken lange hin und her gewälzt und habe mich letztlich dafür entschieden, genau so eine Datenbank aufzubauen, in der die Verbraucher über die Barcodes mehr Informationen bekommen können.
Wie funktioniert Codechecker heute – und welche Informationen findet man?
Roman Bleichenbacher: Wir arbeiten mit Experten zusammen, wie dem WWF, Greenpeace, Öko-Test oder die Verbraucherinitiative. Diese liefern uns aktuelle Informationen. Beispielsweise schlüsseln sie auf, was in E250 steckt, welche Gütesiegel es gibt oder andere Hintergrundinformationen – wenn es etwa um Fische geht, ob diese zu überfischten Arten gehören. Neuerdings zeichnen wir auch Produkte aus, die Palmöl enthalten – und berichten natürlich auch über die Problematik von Palmöl in Lebensmitteln.
Ansonsten funktioniert Codechecker im Prinzip wie ein Wiki: die Community der Verbraucher gibt die Angaben, die auf einem Produkt aufgedruckt sind, in unsere Datenbank ein. Werden diese Daten gespeichert, werden diese mit den Informationen aus der Experten-Datenbank abgeglichen und verlinkt.
Auf diese Weise haben wir mittlerweile über 100.000 Produkte zusammen getragen – und täglich kommen Hunderte von Produkten dazu. Darüber hinaus können bereits vorhandene Informationen permanent aktualisiert und ergänzt werden, zum Beispiel wenn noch ein Produktfoto fehlt oder ein Eintrag einen Tippfehler enthält oder ähnliches.
Diese Art des Crowdsourcing ist wichtig, denn Codechecker selbst ist ein gemeinnütziger Verein mit derzeit sechs festen Mitarbeitern und wir könnten natürlich niemals täglich Hundertausende von Produkten aktualisieren. Das heißt Codechecker ist nur möglich, weil es darum herum diese Community an Verbrauchern gibt.
Wie groß ist denn die Community und aus welchen Ländern kommen die Leute?
Roman Bleichenbacher: Aktuell sind es über 6 Millionen Unique Visitors pro Jahr. Es gibt natürlich einige Power-User, die immer wieder kommen und ganz genau die Angaben überprüfen und auch eingeben. Aber es gibt eben auch ganz viele, die nur einmal ein Produkt ergänzen.
Wie kam es eigentlich von der Diplomarbeit zum gemeinnützigen Verein und wie lange hat das gedauert?
Roman Bleichenbacher: Das war eigentlich ganz interessant, denn meine Professoren bezweifelten bei meiner Diplomarbeit, dass die Nutzer diese ganzen Angaben tatsächlich selbst zusammentragen würden. Das war im Jahr 2002 und damals war Wikipedia noch nicht so bekannt, das Wort »Web 2.0« gab es überhaupt noch nicht. Daher hab ich damals auch eine eher schlechtere Note bekommen.
Aber ich hab mich nicht beirren lassen und habe Codechecker als Prototypen ins Internet gestellt. Von da an war die Sache ein Selbstläufer: Die User haben die Seite selbst gefunden, fanden das super und haben angefangen, Produkte einzugeben und mir E-Mails zu schreiben. Irgendwann war die Flut an Mails so groß, dass ich mir dachte: Entweder stelle ich die Site nun ab oder ich mach das richtig weiter.
Also hab ich Codechecker bei einem Wettbewerb eingereicht und auch gleich den Preis gewonnen – das war der Switch Innovation Award. Später habe ich noch den Community-Preis bei der Ars Electronica bekommen, den zwei Jahre zuvor die Wikipedia gewonnen hatte. Das hat mich alles so motiviert, dass ich Codechecker entsprechend weiter gemacht hab. Ja, und dann kamen eben so viele positive Rückmeldungen von den Nutzern, die sich gefreut haben, dass es das gibt, weil ihnen diese Transparenz bislang immer fehlte.
Unser Ziel ist es ja, eine Diskussion über die Qualität von Lebensmitteln zu erzeugen und bei den Verbrauchern das Bewusstsein zu wecken, dass nicht nur der Preis zählt – sondern dass es auch andere Qualitätsmerkmale von Produkten gibt. Das bezieht auch ein, dass wir kleinen und lokalen Herstellern die Möglichkeit bieten, mit guten Nischenprodukten eine entsprechende Öffentlichkeit zu bekommen, die sie ansonsten mit ihren Werbe-Budgets nicht so ohne weiteres erreichen könnten.
A pro pos Hersteller: wie war die Reaktion der Lebensmittel-Industrie? Ich schätze mal, die waren weniger begeistert…
Roman Bleichenbacher: Das ist ganz unterschiedlich. Die Betriebe, die hochwertige Produkte anbieten, finden Codechecker natürlich super, weil sie hier ja auch entsprechend herausgestrichen wird. Bei gewissen Herstellern ist es hingegen natürlich schon so, dass sie nicht so viel Freude mit uns hatten. Da kriegen wir schon auch mal den einen oder anderen Anruf von einem Brand-Manager einer großen Firmen, der so überhaupt kein Verständnis hat und unbedingt mit uns in Diskussionen einsteigen will über – zum Beispiel – künstliche Süßstoffe. Da gibt es ja unterschiedliche Meinungen, ob die nun gut sind oder nicht. Dabei aggregieren wir nur die Informationen und Bewertungen der bereits genannten Experten.
Geht es dann hauptsächlich darum, die Menschen zu informieren – oder wollt ihr auch, ähnlich wie dies beispielsweise FoodWatch verfolgt, auch politischen Druck ausüben?
Roman Bleichenbacher: Unser Ziel ist Markttransparenz – und da kann bei uns natürlich ein ganz anderes Bild entstehen, als das, das man aus der Werbung kennt. Das heißt wir wollen natürlich in gewisser Weise dagegen halten, sodass das Bild eines Produkts nicht nur über die Werbung gemacht wird. Wir sehen auch ganz eindeutig, dass der Verbraucher Macht hat. Was er kauft oder nicht ist einfach relevant. Die Firmen beobachten das genau. Also Transparenz zu schaffen und vor allem auch Alternativen zu zeigen, die gleich oder gar besser sind, das ist unser Ziel. Dabei versuchen wir die Informationen zu den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Soziales zusammen zu bringen. Auf diese Weise kann jeder Verbraucher selbst entscheiden, welche Aspekte davon für ihn relevant sind und eine Entscheidung treffen.
Seit es Codechecker gibt, ist da das Bewusstsein für Qualität gestiegen?
Roman Bleichenbacher: Aufgrund unserer E-Mail-Zuschriften erkennen wir außerdem ganz klar eine Verschiebung: immer mehr Verbraucher entscheiden sich, Marken zu wechseln. Das sieht man zum Beispiel sehr gut an dem Bereich der Naturkosmetik. Als wir begonnen haben war das ein ganz kleiner Markt, mittlerweile ist daraus ein regelrechter Boom geworden. Ich sehe wirklich eine positive Entwicklung.
Dabei hängt viel an der Aufklärung. Wir beobachten, dass es in etwa 25 Prozent der Menschen grundsätzlich egal ist, was sie da kaufen – da ist meist nur der Preis wichtig. Nur etwa 15 Prozent der Verbraucher würden tatsächlich Zeit aufwenden, um wirklich gute Produkte zu finden. Und der große, mittlere Teil – wenn man dem eine Entscheidungshilfe anbietet, die schnell und bequem funktioniert, dann gucken sie gerne drauf und nutzen das auch. Das heißt, man kann das Bewusstsein auf jeden Fall fördern.
Das hat man zum Beispiel bei der Diskussion um die Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln gemerkt: Da waren einige regelrecht erschrocken, als sie gemerkt haben, was sie da eigentlich konsumieren. Zum Beispiel bei Frühstücksflocken – da steht etwa ganz groß »Ohne Zuckerzusatz« drauf. Aber die getrockneten Früchte darin enthalten per se schon sehr viel Zucker. Und so haben die Leute das Gefühl, sie äßen keinen Zucker, dabei würde beispielsweise ein Diabetiker ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. Also derzeit ist es bei Lebensmitteln schon wirklich sehr schwierig zu erkennen, was darin steckt. Von daher wäre eine Ampel eine gute Sache.
Das sind doch gute Nachrichten – vielen Dank für das Gespräch!
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