Die Mordserie des »Braunen Trios« entsetzt und beschämt. Man kann kaum glauben, dass die Drei tatsächlich ohne Hilfe von Polizei und Verfassungsschutz so lange unerkannt morden und betrügen konnten. Schnell sprechen Politik und Medien jetzt vom »braunem Terror« – doch schüttet man damit nicht vielleicht am Ende das Kind mit dem Bade aus? Grund genug, sich mit diesem Alarmzustand mal näher zu beschäftigen.

Der Begriff »Terror« wird ja mittlerweile inflationär verwendet. Selbst der nebulöseste Diktator nennt die Oppositionellen einer Demokratiebewegung in seinem Land »Terroristen«, ohne dass ihm das Wort dabei schwer über die Lippen ginge. Kein Wunder eigentlich, kann man doch mit diesem Zauberwort so vieles so schön rechtfertigen… Zum Beispiel, um Waffen aus anderen Ländern zu beschaffen, politische Unterstützung, oder zumindest ein augenzwinkerndes Stillschweigen. Auch bei uns wurde es schon mehr als einmal bemüht, um ganz allgemein gegen die eigene Bevölkerung gerichtete Maßnahmen durchzusetzen: Strengere Überwachungsgesetze, die Aufweichung des Datenschutzes (Stichwort »Vorratsdatenspeicherung«) oder die Zensur des Internets (Stichwort »Netzsperren«).

Privatssphäre opfern?

Und wer weiß – vielleicht könnte man damit auch ein so umfassendes Überwachungs-Software-System wie Indect als notwendiges Übel durchdrücken? Damit könnten dann Vorratsdaten, Aufzeichnungen von öffentlichen Video-Kameras, Gesichtserkennung und weitere Infos via sozialer Plattformen wie Facebook und Twitter endlich, endlich miteinander kombiniert und ausgewertet werden. Ein erste Test mit Indect soll ja bei der Fussballweltmeisterschaft in Polen durch geführt werden – wir wissen doch nun schon mittlerweile, dass Fussball-Fans so überaus gewaltätig sind, dass derlei Überwachungsmaßnahmen das geringere Übel sind (Achtung: Ironie).

Doch mit der Privatsphäre wäre es dann wohl endgültig vorbei. Niemand könnte dann noch anonym durchs Leben gehen… Aber ließen sich damit auch wirklich Straftaten verhindern? Zumal ja, wie im aktuellen Fall, die Aufsichtsbehörden wohl Teil dieser Operationen, zumindest durch den Aufbau und die Unterstützung von Infrastrukturen, waren.

Doch wie wir alle wissen, ist der größte Teil der Fußballfans nur Fan und nicht Hooligan; ist der größte Teil der Menschen nur Mensch und eben nicht Terrorist. Und doch kehrt sich mit modernsten technischen Entwicklung irgendwie die Beweislast um. Per se ist jeder verdächtig – man weiß eben nur noch nicht welcher Tat. Jeder, auch der Harmloseste unter uns, kann unter dem Vorwand der »Aufstachlung« zu einem Kriminellen werden ist die Gesetzeslage erst einmal geschaffen – und sei es nur deshalb, weil er seinen Unmut darüber äußert, dass er genau dabei ausgespäht wird. Verrückter geht es nicht.

Wer fragt nach den Ursachen?

Wer dann wen terrorisiert, ist schließlich nur noch eine Frage der Perspektive… Allein schon unter den heutigen Bedingungen könnte man – wenn man sich mal vom eigenen Schicksal ein bisschen weg bewegt und sein Mitgefühl auf Menschen ausweitet, die einem unbekannt sind… ja vielleicht sogar fremd – die Frage stellen: was denn unter »braunem Terror« so genau zu verstehen ist? Der hintergrund.de beschäftigt sich jedenfalls in einem aktuellen Blogpost damit.

Dort heißt es unter anderem: »Was sie weniger bis gar nicht interessiert ist die Frage nach dem Grund für derart fanatische Ausländerfeindschaft jener inländischen Bürger, die doch weder zum Greifen noch zum Kasernieren oder Abschieben von Ausländern und erst recht nicht zur Ausübung von Gewalt gegen sie befugt sind? Deswegen kommt den Protagonisten der angelaufenen öffentlichen Debatten auch nicht in den Sinn, dass hier vielleicht gut erzogene Deutsche, die von ihren Regierungen gelernt haben, dass ‚das Boot voll ist‘, dass zu viele Ausländer ‚das deutsche Volk durchrassen‘, die deswegen die Parole ‚Lieber Kinder statt Inder‘ für angesagt halten und die schließlich jenen Vertretern demokratischer Parteien zustimmen, die nicht nur Bedenken gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft anmelden, sondern allen Integrationsbemühungen am liebsten eine Absage erteilen würden …«.

Erinnert das nicht irgendwie an die unselige Diskussion über den neuen Konservativismus und ein gewisses Brandbuch eines Thilo Sarazin mit den entsprechenden Thesen gegen ausländische Mitbürger unter uns – frei nach dem Motto: »Man wird ja wohl noch mal was sagen dürfen!«? Wie groß ist dann der Schritt zum »Man wird ja wohl noch was dagegen unternehmen dürfen!«? Gerade deshalb, weil die Deutschen nun mal aus ihrer eigenen Geschichte nur mäßig gelernt haben. Doch wichtiger ist nun, an dieser Stelle die Frage: Wie repressiv wird unser Staat, wenn er er repressive Stimmungen zulässt, gegen die er dann vorzugehen vorgibt? Oder ganz einfach gesagt: Schüttet man am Ende hier nicht das Kind mit dem Bade aus. Oder halten wir es bereits kopfüber an den Füßen von uns weg…

Könne denn, so die Frage des Autors des hintergrund.de-Artikels weiter Freerk Huisken, ehemaliger Professor für politische Ökonomie an der Universität Bremen, auch von »braunem Terror« die Rede sein, wenn die Mauern um Europa – offiziell demokratisch legitimiert – hoch gezogen werden? Immerhin bezahlen nicht wenige Flüchtlinge dies mit ihrem Leben, vor allem im Mittelmeer. Könne denn auch von »braunem Terror« die Rede sein, wenn es darum geht, den Asyl-Bewerbern und »Sans Papiers« in Deutschland das Leben so schwer zu machen, dass sie freiwillig in Länder ausweichen, in denen sie physisch bedroht sind – oder sich gleich hier das Leben nehmen?

Alles nur eine Posse?

Nein – das ist dann wohl doch zu krass, was? Nein, so kommt auch der Autor zum Urteil, von »braunem Terror« könne man hier wahrlich nicht sprechen und begründet: »Es handelt sich in diesen Fällen deswegen nicht um ‚braunen Terror‘, weil all diese … Maßnahmen erstens nicht von fanatischem Ausländerhass, sondern von politisch kalkulierter Ausländerfeindschaft zeugen, weil sie zweitens nach Recht und Gesetz verfügt werden, weil sie drittens nicht aus dem Untergrund, sondern in aller Öffentlichkeit im polizeilichen Obergrund passieren und weil sie viertens regelmäßig mit ‚Bekennerschreiben‘ versehen sind, die sich in allen deutschen Tageszeitungen als Informationen der Innenminister über neue Maßnahmen zum Schutz der Heimat vor illegalen Ausländern und als Statistiken über deren erfolgreiche Durchsetzung lesen lassen«.

Es handelt sich also offenbar um eine politische Posse, ein Budenzauber, mit Richtungsdrall. Doch gefällt uns die Richtung? Gefällt uns, was daraus entstehen könnte? Wenn man mal kurz einen Seitenblick auf die noch junge Occupy-Bewegung bei uns in Deutschland wirft, um sich dann zu fragen: Wer alles würde denn unter sich verschärfenden Gesetzen, Überwachungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen fallen? Wer hätte zuerst darunter zu leiden? Offenbar handelt es sich nicht um ein Vorgehen gegen korrupte Finanzjongleure, bestechliche Politiker oder eben jene Beamten die Organisationen jenseits der Verfassung logistisch, intellektuell, organisatorisch und finanziell unterstützen, oder?

Wir sollten uns schämen

Nun, sollte uns dies nicht etwa ebenfalls »beschämen«, wie Frau Merkel sich zu den vom o.g. Trio verübten Morden äußerte? Sollten wir uns nicht eingestehen – sicher, so schlimm die Morde sind, die endlich aufgeklärt und entsprechend bestraft werden sollten – dass wir selbst in unserer Arglosigkeit und Gleichgültigkeit zulassen, dass Tausende von Menschen sterben? Oft unter schlimmsten Qualen auf dem Mittelmeer oder in irgendwelchen Lagern arabischer Despoten, mit denen Deutschland einen Abschiebevertrag hat. Ja, es ist leicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Und es ist unglaublich schwer, sich das eigene Versagen einzugestehen. Das gilt wohl auch für Frau Merkel… und die Politiker, die am liebsten eine große Mauer um Europa, vielleicht auch um Deutschland ziehen wollen – aber trotzdem stets von der »globalisierten Welt« sprechen.

Angesichts der Probleme, die sich nun mal mit Mauern nicht lösen lassen; und angesichts des »Terrors«, welcher immer auch einen Ursprung hat, wird die Diskussion über Gerechtigkeit, Solidarität und Gemeinschaft – GERADE in einer globalisierten Welt – immer wichtiger. Denn so hoch könnte keine Mauer sein, als dass diese von uns gemachten Probleme sie nicht irgendwann überwinden. Oder wollen wir stattdessen lieber eine orwellsche Lösung? Eine Welt, in der wir schlichtweg keine Probleme mehr haben, da wir nicht darüber sprechen oder diejenigen die es wagen aus unserer Mitte schnell wieder verschwinden?

Wir wollen eine solche Welt nicht haben. Wir wollen über die Ursachen sprechen – und diese anpacken. Denn nur so lässt sich die Mauer überwinden die wir bereits gebaut haben. Die Mauern in unseren Köpfen.