Es hat zwar ein erstaunlich lange gedauert, bis unseren Parteien auffiel, dass das Internet etwas mit Politik, Gesellschaft und Demokratie zu tun hat – aber immerhin: Am 3. März gab es den Antrag auf eine Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags „Internet und digitale Gesellschaft“. Nun sind die insgesamt 34 Mitglieder benannt, die entscheiden sollen, welchen politischen Nutzen und das WWW künftig liefern kann.

Zunächst zur Aufgabe und Bedeutung der Enquête-Kommission: Seit 1971 gibt es die Möglichkeit, solch eine interfraktionelle Arbeitsgruppe einzuberufen. Eingereicht wurde der Antrag auf Initiative der FDP. Sie soll dem Parlament Handlungsempfehlungen jenseits des Tagesgeschäfts geben und besteht aus 17 politischen Vertretern – die den fünf Bundestagsfraktionen nach Proporz entstammen – und 17 ExpertInnen, die die Parteien (ebenfalls nach Fraktionsstärke) berufen. Letztere sollen unabhängig und nicht weisungsgebunden sein – ein Blick in die Liste der 17 Experten deutet aber eher darauf hin, dass zumindest zum Teil das parteipolitische Gerangel los geht:

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Internet-Experten der CDU

  • Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bitkom, einem Lobby-Verein der Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., die sich bspw. gegen die Vorratsdatenspeicherung – aus wirtschaftlichen Gründen – und für Netzsperren einsetzt.
  • Social-Media-Expertin Nicole Simon, die eigentlich eher ziemlich inaktiv zu sein scheint derzeit.
  • Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Musikindustrie, der sich für die Ahndung von Musik-Netzwerken einsetzt.
  • Harald Lemke, als hessischer Staatssekretär verantwortlich für die Weiterentwicklung des polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystems ComVor bei der Polizei in Hamburg, für INPOL-neu beim BKA sowie die Einführung von POLAS und ComVor bei der hessischen Polizei.
  • Wolf-Dieter Ring, deutscher Medienpolitiker, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz – im Zusammenhang mit Betrugsvorwürfen gegen den Sender 9Live soll er wegen seiner teils inkonsequenten und von Medienexperten stark kritisierten Entscheidungen in die Kritik geraten sein. Außerdem wurde Ring vorgeworfen, von einem fragwürdigen Kredit an einen Mitarbeiter gewusst und geschwiegen zu haben.

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Internet-Experten der FDP

  • Künstler und Bürgerrechtler padeluun, der unter anderem mit dem Bürgerrechts- und Datenschutzverein FoeBud zusammen arbeitetet.
  • Hubertus Gersdorf, Inhaber der Bucerius Stiftungsprofessur für Kommunikationsrecht an der Universität Rostock
  • eBay-Manager Wolf Osthaus

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Internet-Experten der SPD

  • Alvar Freude, Mitbegründer des Arbeitskreises Zensur
  • Lothar Schröder, der als Bundesvorstandsmitglied bei Verdi für Telekommunikation und IT zuständig ist
  • Wolfgang Schulz, Medien- und Kommunikationsrechtler sowie Mitglied des Direktoriums des Hans-Bredow-Instituts
  • Cornelia Tausch, Leiterin des Fachbereichs Wirtschaft und Internationales beim Verbraucherzentrale Bundesverband.

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Internet-Experten der Linken

  • Annette Mühlberg von der Gewerkschaft Verdi
  • Constanze Kurz, CCC-Sprecherin und zuerst wegen ihrer kritischen Untersuchung von Wahlmaschinen aufgefallen.

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Internet-Experten der Grünen

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Auch wenn ich niemandem etwas Unredliches unterstellen möchte, so scheint mir doch die Berufung vor allem der Unionsexperten fragwürdig: Der Bitkom ist als Interessensvertreter bekannt, Wolf-Dieter Ring zumindest seinem Wikipedia-Eintrag (Stand 25. April) zufolge, ziemlich umstritten. Dieter Gorny wohl klar ein Vertreter der Musikindustrie, die ja bekanntermaßen nicht unbedingt für OpenSource oder gar Creative Common Licences ist.

Auffällig aber auch, dass gleich zwei Verdi-Mitglieder einberufen wurden und dass mit Freude, Mühlberg, Kurz, Beckedahl und padeluun gleich fünf Experten vertreten, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung engagiert hatten.

Und so kann man gespannt sein, zu welchen Ergebnissen die insgesamt doch recht heterogene Gruppe gelangt. Auf jeden Fall soll die Kommission von Blogs und Foren begleitet werden, die eine breite öffentliche Debatte zulassen sollen – also an alle: Beteiligt euch und redet mit! Die FDP ist anscheinend mal wieder unangenehm aufgefallen durch allzu schnelles Vorpreschen: Die Partei soll eine Website  gelauncht haben, mit der die „Community eingebunden und befragt“ werden solle, wie FDP-Abgeordnete Manuel Höferlin laut www.bundestag.de meint. Das wiederum den Linken-Abgeordneten Herbert Behrens enttäuscht, der „parteipolitische Profilierungen“ dahinter vermutet.

Also – dann hoffen wir mal, dass die Kommission ein bisschen was vom kooperativen Geist des Web 2.0 annimmt, so etwas wie Schwarmintelligenz entwickelt und sich nicht auf die üblichen Sandförmchen-Kämpfe einlässt. Zum Wohle unserer Demokratie, Kultur und Gesellschaft…

Infos auf www.bundestag.de
Bericht zur Komission von heise.de
Bildquelle: www.cheswick.com (Internet-Mapping Project)