Faire Rohstoffe? Faire Herstellung? Fair verkauft? Fair entsorgt? Faire Smartphones & Computer sind überfällig – aber gar nicht so einfach herzustellen… Faire-IT-Experte Sebastian Jekutsch sprach mit uns über den aktuellen Stand von FairPhone, Nager IT & Co – und wohin die Entwicklung gehen muss.
Wie bist Du zu dem Thema gekommen?
Ich selbst bin Informatiker und arbeite den ganzen Tag vor dem Computer. Und ich bin ein Fan des Fairen – ich kaufe faire Kleidung, wenn ich kann, und faire Lebensmittel. Es hat zwar eine Weile gedauert bis ich auf die Idee kam, dass Elektronik auch fair sein könnte. Aber dann war mir das Thema sehr wichtig. Seit rund 3 Jahre recherchiere, veröffentliche und arbeite ich in diesem Bereich: Ich betreibe das Blog http://blog.faire-computer.de/ und berichte im Magazin des FIfF (Forum für InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, http://fiff.de/).
Wo liegen aus Deiner Sicht die schlimmsten Missstände: Bei der Rohstoffgewinnung, der Fertigung, der Müllbeseitigung?
Also zunächst einmal stimmt es, dass man sich die gesamte Herstellungskette ansehen muss. Wo hier die schwerwiegendsten Missstände herrschen mag ich gar nicht beurteilen. Bei der Rohstoffbeschaffung sind es sicherlich die teilweise sklavenartigen Arbeitsbedingungen. Viele Rohstoffe aus diversen Ländern – sei es aus Afrika oder auch aus Kolumbien – werden von Menschen gefördert, die damit zwar ihren Lebensunterhalt verdienen, aber komplett abhängig sind. Darunter auch viele Kinder. Das finde ich das Schwerwiegendste.
Bei der Fertigung und Herstellung der Geräte herrscht ein Stand, wie wir in vor über 100 Jahren hatten. Das heißt es könnte vieles sehr viel besser sein. Das Schwierigste ist, dass es keine Gewerkschaften gibt, die eine positive Entwicklung befördern könnte.
Hinsichtlich der Entsorgung von Elektroschrott gibt es in der EU eigentlich ganz gute Gesetze. Doch es gibt natürlich schwarze Schafe, die inoffiziell Elektroschrott nach Afrika schiffen – mit den entsprechend negativen Folgen, dass Menschen – und auch hier wiederum Kinder – unter gesundheitsgefährlichen Bedingungen die Rohstoffe aus dem Müll wieder heraus trennen, um sich ihre Existenz zu sichern.
Also man sieht: In Sachen IT gibt es viele Bereiche, in denen man für sehr viel mehr Fairness sorgen muss. Auch beim Transport könnte man sich noch Verbesserungen vorstellen. Selbst hier bei uns in Deutschland ist ja nicht alles so hundertprozentig sauber, wenn man sich zum Teil die Arbeitsbedingungen in großen Elektronikmärkten ansieht.
Welche Rohstoffe stecken eigentlich in so einem Smartphone? Die Hersteller des FairPhones haben das mal ausgestellt…
Welche Lösungen gibt es denn? Was machen die klassischen IT-Hersteller schon heute?
Hier gibt es Unterschiede: Apple stellt seine Geräte zum Beispiel gar nicht selbst her, sondern lässt diese von sogenannten Kontraktoren produzieren. Aber sie führen sogenannte Audits bei ihren Zulieferern durch und veröffentlichen diese Informationen zum Teil auch. Andere Hersteller – wie etwa Samsung – haben eigene Elektronikabteilungen, in denen sie die Geräte herstellen. Diese lassen die Audits dann von externen Dienstleistern durchführen, veröffentlichen sie in der Regel aber nicht.
Apple ist hier – als ein Beispiel – zwar relativ transparent, könnte aber noch sehr viel mehr machen. Meine größte Kritik ist, dass Apple seine Kontraktpartner zwingt, so extrem billig und effizient zu arbeiten, dass sich die Arbeitsbedingungen gar nicht ändern können. Denn um die engen Zeitrahmen dieser harschen Vorgaben einhalten zu können, müssen die Partner kurzfristig ganz viele Menschen einstellen und an der Sicherheit sparen.
Hier sehen sich die Unternehmen sicherlich auch selbst in der Zwangslage, mit anderen Herstellern konkurrieren zu müssen – und doch sehen wir, dass es neuerdings Anbieter gibt, die explizit faire IT anbieten: Das FairPhone oder die faire Maus von Nager IT… Wie beurteilst Du das?
Nehmen wir das FairPhone: Das Tolle daran ist, dass sie alles, was möglich ist, so fair wie möglich machen wollen. Das ist natürlich schon mal toll, denn bei anderen Anbietern steht der Profit allein im Vordergrund. FairPhone ist keine Aktiengesellschaft und hat nicht den Marktdruck der Investoren – was jedoch auch dazu führt, dass das FairPhone technisch gesehen nicht gerade aktuell ist. Das gleiche gilt für die Maus, obwohl sich hier in den letzten Jahren nicht so viel verändert hat und das deshalb kaum eine Rolle spielt.
Und es gibt Unterschiede bei diesen beiden Anbietern: Nager ITs Ziel ist es, ein möglichst faires Gerät herzustellen. Das führt unter anderem dazu, dass die Maus eben nicht mehr in China hergestellt wird, weil dort eine faire Herstellung so gut wie unmöglich ist. Statt dessen wir es zu einem großen Teil in Deutschland produziert.
Das FairPhone geht einen anderen Weg und will dort Verbesserungen bringen, wo es besonders schlimm ist. Deshalb beziehen sie ihre Rohstoffe zum Teil aus Ost-Kongo und lassen ihr Gerät in China fertigen – nur eben die möglichst faire Variante. Die ist nicht ganz so fair, wie es insgesamt machbar wäre, aber eben unter diesen Bedingungen ist es möglichst fair.
Das zeigt aber auch, wie wenig Marktmacht diese Unternehmen haben: Das FairPhone wurde bislang in einer Stückzahl von 25.000 produziert – das ist die Menge, die die Zulieferer von Apple an einem Tag erzeugen. Dafür rüsten viele Hersteller noch nicht mal ihre Maschinen um… sie bearbeiten normalerweise nur Millionenaufträge.
Deshalb können solche kleinen Firmen zwar zeigen, was heute schon alles machbar wäre. Aber sie haben natürlich nicht die Möglichkeit, tatsächlich etwas zu bewegen. Das kann man nicht kritisieren, sondern einfach nur feststellen. Ansetzen müssen wir deshalb bei den großen Herstellern. Und wir müssen die Gesetze ändern. Nur hier sehe ich Chancen, wirklich etwas zu ändern.
Erste Test-User begutachten die Prototypen des FairPhones. Im Herbst gab es die erste Lieferung. Derzeit ist das faire Smartphone ausverkauft – man muss bis zum Sommer auf die nächste Marge warten… (http://www.fairphone.com/)
Du sprichst von einem »wir« – das sind wahrscheinlich wir alle, oder? Siehst Du denn, dass sich eine wahrnehmbare Menge von Menschen für faire IT einsetzt und ein Bewusstsein dafür entwickelt?
Das Bewusstsein kommt langsam. In 20 bis 30 Jahren werden wir eine Auswahl an fairen IT-Produkten haben – auch wenn wir dann vielleicht zwischen einem möglichst technisch modernen Gerät und einem, das eben vor allem fair hergestellt wurde, wählen müssen. Aber es wird dann eine Auswahl geben. So wie es heute schon fairen Kaffee und faire Bananen gibt.
IT-Produkte sind eben einfach viel komplizierter. Beim Kaffee müssen einfach die Bohnen fair geröstet und gemahlen werden. Bei Kleidung ist das schon komplizierter: Da gibt es die Rohstoffe – die Baumwolle – und dann den ganzen Herstellungs- und Lieferprozess. Hier gibt es auch mal Produkte mit fairer Baumwolle, mal mit fairen Verarbeitungsbedingungen oder eben auch komplett faire Produkte. Und so ähnlich wird das künftig auch mit fairer IT sein.
Inwiefern hängt denn die geplante Obsoleszenz – also das künstliche Veralten von Geräten – mit ihrer fairen Herstellung zusammen?
Das ist ein schwieriges Thema – ich persönlich beschäftige mich ja eher den sozialverträglichen Aspekt an der IT-Herstellung. Und die geplante Obsoleszenz ist eher ein umwelttechnischer Aspekt. Ich bin überzeugt, dass die Obsoleszenz bei IT vor allem in unseren Köpfen entsteht: Sobald eine neue Generation von Geräten auf dem Markt ist, erscheint uns unser »altes« Geräte als veraltet. Obwohl das technisch gesehen gar nicht der Fall ist.
Etwas anderes ist das Zusammenspiel von Hard- und Software: Hier müssen nicht wenige Unternehmen ihre Computer austauschen, um aktuelle Software installieren zu können. Ähnlich ist es mit dem Reparieren, das vermeintlich nicht mehr sinnvoll ist, weil es neu zu kaufen günstiger ist.
Die faire Maus von Nager IT gibt es in drei verschiedenen Farbvarianten (https://www.nager-it.de/).
Was kann man denn als Otto Normalverbraucher heute schon tun, um faire IT zu unterstützen?
Das ist eine schwierige Frage. Leider sind wir noch nicht so weit, dass man sagen könnte: Kauft dieses oder jenes faire Gerät. Derzeit haben sie alle noch ihre Vor- und Nachteile. Das FairPhone kann man beispielsweise derzeit gar nicht kaufen, sondern sich nur auf die Warteliste der Geräte setzen lassen, die Anfang Juni entstehen.
Wir stehen da am Anfang der Entwicklung. Deshalb sollte man auf jeden Fall aufpassen, welche neuen Geräte entwickelt werden. Denn so wie das FairPhone wird es künftig noch weitere Geräte geben. Ansonsten kann man natürlich an die Organisationen spenden, die die Missstände aufdecken und für positive Entwicklung sorgen. Ja, und insgesamt aufmerksam sein und neue Entwicklungen weiter sagen.
Ihr organisiert einen Fair-IT-Salon und arbeitet in einem Arbeitskreis zu dem Thema. Kann man denn da mitmachen?
Es gibt einen Arbeitskreis für faire Beschaffung und in diesem Rahmen haben wir in Hamburg den Salon Faire Elektronik organisiert. Wer sich dafür interessiert, kann natürlich gerne kommen und dort Experten treffen, die alle Fragen beantworten können. Außerdem gibt es einen Arbeitskreis, der sich monatlich trifft. Interessierte können sich einfach an die Adresse sj–ät–fiff.de wenden… Wer einfach nur informiert werden möchte, wenn wir zu einer öffentlichen Veranstaltung einladen, kann sich unter http://lists.fiff.de/cgi-bin/mailman/listinfo/fair-it-hh-newsletter eintragen.
Vielen Dank für das Gespräch!
P.S. Das Hintergrundbild hinter Sebastian Jekutsch stammt von MandiBerg (via flickr).
Danke für die Analyse. In folgendem Punkt habe ich eine andere Meinung.
Das Fairphone hat zwar ein am Weltmarkt unterlegenes Volumen. Aber die Kunden können mit dem Kauf Signale setzen und die großen Anbieter in die Knie bzw. zum Umdenken zwingen. Jeder Konsument hat es selbst in der Hand. Die globalen Produzenten werden ohne Konkurrenzdruck nie auf die veränderten Kunden Ansprüche reagieren.
Fairphone ist eine Investition in die Zukunft wert (technischen Spezifikationen sind für den herkömmlichen Nutzer absolut ausreichend).
Hallo Deshawn, danke für Deinen Hinweis, der in der Tat insofern gut ist, als das er hilft klarzustellen, dass Sebastian das – wenn ich das in unserem Gespräch richtig verstanden habe – auch so sieht!