Der G20-Gipfel in London ist vorbei. Der Drops ist gelutscht und man wird wohl noch einige Zeit das wundersame „Klassenfoto“ in Erinnerung behalten, auf dem sich die Regierungschefs feixend zeigten – während draußen die Menschen um ihre Zukunft bangten.

Was aus den beschlossenen Maßnahmen wird – man wird sehen… Wirklich schmerzen kann die Berichterstattung in den Medien, bei der man jedwede ehrliche Solidarität für die Sorgen der Demonstranten vermisst. Immerhin mehrere 10.000 Menschen werden als „Altlinke“, als „Krawall-Demonstranten“ und als Störer auf dem Weg zu einer gerechten Lösung rhetorisch in Sippenhaft genommen.

Sie werden verhöhnt, verspottet und süffisant als Naivlinge – „ungehört, unbeachtet, unbedeutend“ – abgetan. Und so fragt man sich, was sich wohl im Brustkorb so manches Redakteurs befinden muss, da es wohl kein Herz sein kann – zumindest kein Herz für die hier ausgedrückte Not und Ohnmacht der Menschen. Wofür, dieser Gedanke kommt auf, sind die Medien da, wenn sie schon nicht dafür sorgen, dass eben diese Menschen gehört und beachtet werden, um so auch die Bedeutung zu bekommen, die ihnen zusteht? Was hat er also gebracht, was wird er bringen der Gipfel der Unverschämtheiten.

Vor 20 Jahren war doch alles noch ganz anders: „Wir sind das Volk!“ titelte jedes Käseblatt in dicken Lettern und stellte sich so hinter die DDR-Bevölkerung, die eben solchen Mut bewies und gegen Ungerechtigkeit aufbegehrte wie es die Menschen heute weltweit tun. Doch heute ist die Ungerechtigkeit ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Systems, mehr noch, sogar dessen unbedingte Grundlage – auch in den großen Medienhäusern. Wer sich beklagt wird niedergeschrieben, versendet und der Lächerlichkeit Preis gegeben.

Man gibt sich schlau, abgeklärt und gibt vor, den Durchblick zu haben, verkauft politische Entscheidungen mit gewandter Zunge wie Heilwässerchen auf einem Kirmes. Man plappert nach, zitiert und wiederholt die Unwahrheiten der „Experten“ bis zum Abwinken. Manchmal gibt man sich schockiert, tut so, als würde man die Menschen in ihrer Sorge abholen, schimpft auf das System, nur um Auflage und hohe Quoten zu machen. Emotionen sind willkommen, aber nur als rhetorisches Rattenfängerinstrument.

Alles nur Show…

Schon im Vorfeld des Gipfels lief der PR-Apparat auf Hochtouren. Zunächst wurde immer wieder die Gewaltbereitschaft und Konzeptionslosigkeit der zu erwartenden Demonstranten beschworen und aufgebauscht. Das rebellische Volk wolle London womöglich in Schutt und Asche legen, gäbe „Eat the Bankers!“ als allgemeine Parole aus und sei eigentlich – wie immer – nur auf Störung der Ordnung aus. Bankern der City of London wurde angeraten auf Arbeitskleidung, Schlips und Kragen, zu verzichten, da man sonst für nichts garantieren könne…

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Gleichzeitig wurde die Harmonie unter den Gipfelteilnehmern inszeniert. Jeder Vertreter signalisierte der heimischen Presse, er wolle natürlich nur das Beste. Doch zugleich erklärte man, dass man natürlich nicht zu viel erwarten dürfe.

Dann gab es Bilder vom allgemeinen Kuschelkurs zu sehen. Man sah, wie sich Barack und Michelle Obama und die Queen (die Queen?) kuschelten, wie Politiker ganz entspannt in den Gängen des Buckingham Palastes plauderten und im besten Einvernehmen über die Rettung der (Finanz-)Welt unterhielten. Alles Show, alles nur für die Kameras inszeniert und von den Medien in den entsprechenden PR-Kanäle, Nachrichten, Diskussionen, Leitartikeln und Sondersendungen verwurstet.

Die Botschaft: „Wenn wir schon keine Angst haben, dann habt ihr bitte schön auch keine. Solange ihr schön konsumiert und Euch ansonsten raus haltet, wird alles zu einem guten Ende führen.“ Das soll, das muss reichen – und wenn nicht, dann gibt es ja immerhin noch ein Aufgebot von 32.000 Polizisten, die sich des Mobs annahmen und für einen geregelten Ablauf im allgemeinen Chaos der Gefühle sorgten.

Während also die Politiker alles taten, um sich von der besten Seite zu zeigen, verliefen die Demonstrationen – glaubt man den Mainstream-Medien, wirkungslos im Sande, waren eher lästiges Drumherum. „Wir sind das Volk!“, tja, das konnte man in diesen Tagen nirgendwo mehr lesen. Dafür gab es die obligatorischen Bilder, krakeelende Chaoten, blutige Köpfe und sogar einen Toten, dem man hätte vielleicht noch helfen können, wären die Ordnungskräfte doch nur durch die grölenden Massen vorgedrungen. Mit anderen Worten: Der Gipfel war klasse, die Demos eine einzige Pleite.

Es ist doch schön, wenn man sich so einig ist. Und so ganz nebenbei wurde auch jenes Wortmonstrum der wunderbaren „Weltordnung“ in fast gleichlautenden Leitartikeln bemüht, das, angesichts des immer größer werdenden Chaos weltweit wie der blanke Hohn klingt. Was heißt denn Welt, wenn man viele Länder erst gar nicht an den Tisch ruft – und wo bitte ist im Moment auch nur irgendetwas in Ordnung?

Und was kam aus?

Der Erwartungsdruck war hoch, doch schon im Vorfeld wurden die anzustrebenden Ziele ständig weiter herab geschraubt. Man solle am besten nicht zu viel erwarten. Warum auch, es geht ja nur um unseren Planeten, um Milliarden von Menschen und ein in sich hochgradig korruptes System, das bis zum heutigen Tage so weiter läuft, weiter wuchert und weitere Brandschneisen zieht.

Auf der Website der Bundesregierung findet man folgende 7 Punkte. Dort heißt es:

“ Im Bewusstsein der Verantwortung für den Erfolg des Treffens von London war Konsens, dass…

1. der Internationale Währungsfonds (IWF) und das Forum für Finanzstabilität (FSF) beauftragt werden sollen, die Umsetzung des in Washington beschlossenen Aktionsplans zu überwachen und voranzutreiben.

Ja, wunderbar. Kommt vielleicht etwas spät, doch hört sich natürlich gut an. Ist es aber nicht so, dass insbesondere der IWF nicht ganz unschuldig an der Krise ist? Immerhin steht er doch wie keine andere Organisation für die neoliberale Philosophie freier Kapital- und Gütermärkte. Er steht für einen Club der Mächtigen (siehe G7), der sich anmaßt, kleineren und vor allem schwächeren Entwicklungs- und Schwellenländern eine für sie verheerende Politik aufzuzwingen (Stichwort: IWF-Strukturanpassungsprogramme). Das es hier eine Wandlung vom Saulus zum Paulus geben könnte, erscheint doch sehr unwahrscheinlich. Also kein gutes Zeichen, wenn man wirklich neue Wege vorgibt gehen zu wollen.

2. alle Finanzmärkte, -produkte und Marktteilnehmer – auch Hedgefonds und andere private Anlagegesellschaften, von denen ein systemisches Risiko ausgehen kann – werden einer angemessenen Aufsicht oder Regulierung unterstellt werden müssen.

Nun ja, der Verdacht liegt nahe, dass die Geschäfte der letzten Jahre bereits genug Geld in falsche Hände spülten. Jetzt dreht man den Hahn zu – oder eben doch nicht. Man bestellt ein Kontrollgremium, um sie zu überwachen. Man muss nicht drei Mal raten, um darauf zu kommen, dass dieses Gremium nicht von den Bürgern bestellt/gestellt wird, nicht einmal von Experten die in der Vergangenheit gegen diese Art Kasino-Geschäfte kämpften. Wer sind also die Bewacher und wer bewacht wiederum sie? Was geschieht mit den Milliarden, die bereits verzockt wurden? Wenn das eigentliche Geschäft schon gelaufen ist, und keiner eine echte Kontrolle garantieren kann – das lief ja bei den Bankenaufsichten auch nicht gerade doll – dann darf diese Maßnahme als genauso hohl bezeichnet werden, wie die bereits zerplatze Spekulationsblase.

3. wir Sanktionsmechanismen entwickeln wollen, um besser gegen die Gefahren geschützt zu sein, die von unkooperativen Jurisdiktionen, einschließlich Steueroasen, ausgehen.

Wenn man den Begriff Steueroasen hört, dann ist es auch nicht mehr so weit bis zur Fata Morgana, jenem Lichtschein und Abbild des Tatsächlichen, der optischen Täuschung, wie man sie in der menschenleeren Wüste erleben kann. Da stellt sich doch zuerst die Frage, welche Sanktionen gemeint sind… Wirtschaftsboykott, militärische Optionen? Strecken diese Länder nun ihre Waffen, öffnen sich ihre Safes und geben sie das Geld reumütig an das beraubte Volk zurück? Irgendwie fällt es schwer daran zu glauben, doch sollte man sich hier von der Fantasie der Ermittlungsbehörden überraschen lassen. Vielleicht sind ja hier die Milliarden aus den Spekulationsgeschäften zu finden, vielleicht jedoch fingert man auch an der Büchse der Pandora. Man darf wirklich gespannt sein.

4. die Banken in guten Zeiten zusätzliche Eigenkapitalpuffer aufbauen sollen, um für schlechte Zeiten künftig besser gerüstet zu sein.

Ach, wollen wir das nicht alle? Jetzt fragen wir doch einfach mal was das ist, eine gute Zeit? Ist es der Zeitraum, in denen die Banken ihrem ohnehin nicht unbedingt ehrwürdigen Geschäft nachgehen, und ihr Geld auf wundersame Weise vermehren? Das Geld reicher Leute, Organisationen und Länder an arme Menschen, Organisationen und Länder zu verleihen und dafür Zinsen zu verlangen? Ist es das Recht zu verpfänden und Menschen ihren Besitz unter dem Hintern weg zu ziehen, wenn mal jemandem die Puste ausgeht? Oder ist es die Fähigkeit, Kapital geradezu aus dem Nichts zu schöpfen? Wünschen wir uns tatsächlich DIESE guten Zeiten zurück? Wollen wir wieder zusehen, wie der größte Teil der Welt auf der Strecke bleibt, wenn diese Banken unheilige Allianzen mit der Politik und Wirtschaft eingehen, um unser Staatsvermögen zu verprassen? Möchten wir wieder unsere Augen verschließen, und uns freuen, dass zumindest wir selbst von einem „gesunden“ Bankensystem profitieren, auch wenn das andernorts Pleite, Armut, Hunger, Tod und Verderben bringt?

5. wir auf dem Londoner Gipfel Gespräche über eine globale Charta für nachhaltiges Wirtschaften aktiv unterstützen, die auf marktwirtschaftliche Kräfte setzt, aber Exzesse verhindert, und schließlich zur Schaffung eines globalen Ordnungsrahmens führt.

Hm, da ist er wieder, der „globale Ordnungsrahmen“. Wer will sie nicht, die Ordnung, in so chaotischen Zeiten? Doch noch einmal stellt sich die Frage, ob davon auszugehen ist, dass dieselben Leute die uns in die Krise brachten, nun für Ordnung sorgen werden. Nachhaltig wirtschaften hört sich prima an, aber was heißt es in diesem Zusammenhang… „länger Geld verdienen“? Wenn es tatsächlich um eine Weltwirtschaft gehen sollte, die sich um die Bereinigung der vergangenen Vergehen sorgt, dann wird niemand etwas dagegen haben. Doch genau das scheint, angesichts der bisher genannten Punkte, nicht gemeint zu sein. Und noch einmal stellt sich die Frage der Kontrolle und Überprüfbarkeit. Warum sollen wir einem Hund die Aufsicht über die Wurst, oder besser, dem Fuchs über den Hühnerstall geben? Wieso nur? Ist das Vertrauen nicht längst verspielt?

6. wir zur akuten Krisenbewältigung nur Maßnahmen ergreifen, die den Wettbewerb in geringst möglicher Weise verzerren, und wir dies auch von den anderen G20-Mitgliedern erwarten; wir ferner keine protektionistischen Maßnahmen ergreifen werden und uns für einen raschen Durchbruch bei den WTO-Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde einsetzen.

Oh lala, diesen Satz sollte man sich einrahmen. Denn immerhin führte Wirtschaftsprotektionismus in das Dilemma was wir heute erleben. Das hört sich ein wenig nach dem Wolf an, der als Großmutter verkleidet Rotkäppchen seine guten Absichten bekundet. Die USA ohne Protektionismus? Eine neue Bescheidenheit in der EU? Keine aggressive Firmenpolitik bei den multinationalen Konzernen? Herrlich! Endlich also kommen kleine Staaten, Kleinhändler und der kleine Mann zu ihrem Recht.

Endlich zählt die Meinung der (demonstrierenden) Bevölkerung wieder etwas, oder nicht? Der Wettbewerb soll also nicht verzerrt werden? Dumm nur, dass es – wenn es so weiter geht – wohl gar keinen Wettbewerb mehr geben wird. Internationale Konzernmonopole, Länder die ihre Märkte abzuschotten beginnen…, Uneinigkeit über milliardenschwere Konjunkturpakete selbst innerhalb des Gipfels. Es wäre ein Wunder, wenn sich hier nicht wieder die größten Keulen durchsetzten. Eine Absage an den Protektionismus ist nur dann möglich, wenn alle (!) Beteiligten zu ihrem Recht gelangten, doch genau das ist bis heute eine Utopie.

7. die Mittelausstattung des IWF verdoppelt werden muss, damit er seinen Mitgliedern bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten schnell und flexibel helfen kann.

(Update: siehe auch Videotipp)

Natürlich, gebt dem Fuchs im Hühnerstall einen neuen Satz scharfer Zähne, dann wird er das Problem schon lösen. Müsste nicht erst einmal – und das von allen – entschieden werden, ob der IWF wirklich die Organisation unseres Vertrauens ist? Wird das Geld, dass er seinen säumigen Zahlern zukommen lässt ohne Zinsen und ohne Auflagen, bzw. Eingriffe in seine Entscheidungsfreiheit gewährt? Hier geht es nicht um das Geld der Politiker und ihrer Wirtschaftsberater, sondern um das Vermögen und die Schulden der Bevölkerung. Doch diese hat nichts zu sagen – und das soll kein Protektionismus sein?

So wird das nichts

Während weltweit die Märkte mit Milliardenbeträgen geflutet werden, Geld das irgendjemand – zuzüglich Schulden – zurückzahlen muss, und die Inflation mit rasanten Schritten voran treibt, feixen die Politiker der verantwortlichen Industrienationen in die Kameras. Sie geben unser Geld mit vollen Händen aus und nennen das Konjunkturbelebung. In einem TV-Kommentar wurde der verblüffte Zuschauer dazu ermuntert, sich beim Konsum auf keinen Fall zurück zu halten, da dieser die beste Arznei gegen die Krise sei…

Wenn der Weisheit letzter Schluss darin besteht, lediglich das kaputte System neu zu beleben, dann deutet der Plan entweder auf eine völlige Missachtung der gebotenen Weitsicht hin oder ist so durchtrieben, das er nicht einmal davor zurück schreckt, aus den Menschen noch das Letzte heraus zu pressen, sie abhängig zu machen und damit in der Hand zu haben. Ganz gleich warum, dieser Plan dürfte scheitern. Selbst wenn er zu einer Genesung des alten Systems führt, so lässt er doch jedwede Reflexion vermissen, ist wirtschaftlich ein Spiel mit dem Feuer und wird letztlich in eine weltweite Depression einmünden.

Diese neue „Weltordnung“ ist nichts weiter als ein gigantisches Chaos, dass als Druckmittel für genau das herhalten wird, was laut G20-Gipfel doch vermieden werden soll. Für einen Weltwirtschaftsprotektionismus, der nur einer Handvoll Menschen dient und den Rest auf der Strecke lässt. Die Zukunft sollte und muss mehr verheißen, als ein Leben in Schulden und Finanzknechtschaft, sowie einem Dauerdasein als Konsumroboter.

Bundespräsident Horst Köhler sagte bei seiner Rede zur Krise, dass wir alle über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Ehrlicherweise hätte erwähnt werden müssen, dass dies nur für den geringsten Teil der Weltbevölkerung zählt. Der Rest durfte diese „Verhältnisse“ schultern und hoffte ein Leben lang auf bessere Zeiten. Zeiten auf die er bei diesen Maßnahmen noch lange warten dürfte.

Bildquelle: www.ravishlondon.com/g20