Japan treibt nach dieser unglaublich tragischen Katastrophe immer noch fieberhaft die Rettungsarbeiten voran – und in Deutschland nehmen die Menschen wie sonst kaum Anteil: Rund rund 450 Mahnwachen mit etwa 110.000 Menschen bundesweit soll es laut RP Online gegeben haben, bei denen die Menschen den Opfern der Katastrophe in Japan gedachten – und zugleich gegen die Kernkraft demonstrierten.

Schon bei der seit Wochen geplanten Menschenkette vom AKW Neckarwestheim nach Stuttgart – Endpunkt war der Amtssitz von Ministerpräsident Mappus, einem der härtesten Verfechter der Atomenergie, dem vorgeworfen wird, eine zu lasche Atomaufsicht zu führen (eine vom Betreiber EnBW 2007 selbst beantragte Nachrüstung soll zum Beispiel trotz Laufzeitverlängerung immer noch nicht begonnen worden sein) – kamen spontan mit 60.000 Menschen mehr als gedacht, um eine 45 km lange, komplett geschlossene Menschenkette zu bilden. Die Forderung: der Ausstieg aus dem Austieg.

Ein deutliches Wiederaufleben der Anti-Atomkraft-Bewegung ist schon länger zu spüren. Doch die atomare Bedrohung in Japan mobilisiert anscheinend noch sehr viel mehr Menschen. „Es ist unvorstellbar, was hier passiert“, sagte Jochen Stay, Sprecher der Kampagne .ausgestrahlt laut www.welt.de. Nachdem die Initiative seit Samstag via Web zu Mahnwachen aufgerufen hat, hat die Resonanz enorm zugenommen. „Das ist Protest 2.0.“, zitiert die Welt Stay. Wegen der großen Nachfrage sei gar der Server des Vereins teilweise überlastet und die Seite nicht erreichbar gewesen…

Die Google Map zeigt die Mahnwachen in Deutschland.

Und so sollen bundesweit letztlich mehr als 110.000 Menschen in 450 Städten zusammen gekommen sein. Der NDR schreibt auf seiner Website: „800 Menschen demonstrierten in Hannover, in Braunschweig kamen 600 Teilnehmer zusammen, in Göttingen 400 und in Uelzen 200. Die Polizei meldete aus Celle 200 und aus Nienburg 50 Teilnehmer bei Protestaktionen. Auch in Hildesheim Emden, Cuxhaven, Lüneburg, Dannenberg und Lüchow versammelten sich zahlreiche Menschen. Am maroden Endlager Asse waren 40 Atomgegner zusammengekommen, im nahegelegenen Wolfenbüttel 120. Die IG Metall brach für eine Mahnwache eine Versammlung in Salzgitter ab. Die 200 Delegierten fuhren in einem Autokorso gemeinsam zum Schacht Konrad und schlossen sich der dortigen Mahnwache an.“

Und wie reagiert die Bundesregierung auf die Meinung des Volkes? Klar ist, dass sie bislang einen sehr umstrittenen, aber eindeutig Atom-Lobby-freundlichen Kurs gefahren ist. Doch – Geißler sei Dank – man hat ja aus Stuttgart 21 und dem unangenehmen Eigenwillen der Bevölkerung, der sich mit Hilfe von Datenkraken wie Twitter und Facebook und Co im Wildwuchs potenziert, gelernt… Und so reagiert die Kanzlerin im Duett mit Umweltminister Röttgen „diplomatisch“: Bloß nichts Falsches sagen oder tun. Bloß sich nicht festlegen. Die Guttenberg-Affäre hat halt wohl doch so ihre Paranoia zurück gelassen.

Man kann sich richtig gut vorstellen, wie die Krisenstab aus Bundeskanzlerin, Vizekanzler und Umweltweltminister, gemeinsam mit ihren „Experten“ und PR-Beratern, in ihrem „Krisenstab“ eine Strategie für die eigentliche Krise – die Vertrauenskrise – entwarfen. Noch einmal die Wähler ignorieren, das geht im Superwahljahr nicht so richtig. Was also tun? Wenn man sich mal anschaut, wo in Deutschland die Kern- und Forschungsreaktoren so untergebracht sind (die Karten unten zeigen: lediglich in Sachsen-Anhalt steht nichts), dann ist höchste Eile angesagt. Und so will die Kanzlerin mit einem sogenannten Moratorium nun die Laufzeitverlängerung für drei Montare stoppen – und Zeit schinden.

Credit: Das Bild stammt von www.ausgestrahlt.de

Ob uns das reicht? Nach Guttenberg – nachdem sich anscheinend eine Mehrheit von parkettsicherem Auftreten Sand in die Augen streuen ließ – scheint alles möglich. Nach der Premiere von Stuttgart 21 könnte es auf ein Demokratie-Spektakel à la Geißler-Schlichtung hinaus laufen: eine Schlichtung, bei der das Ergebnis schon im Vorfeld fest steht, und bei dem es nur darum geht, sich eine scheinbare Legitimität zu geben. Es könnte aber – angesichts der massenhaften und spontanen Aktionen, die ihre Verwandte durchaus auch in anderen Ländern finden – auch zu einer neuen Bewegung kommen, die sich diesmal nicht mehr so leicht abbügeln lässt, will die Politik nicht ihr letztes bisschen Glaubwürdigkeit einbüßen. Wir sind gespannt.

Die Karte von Wikipedia zeigt nicht nur die Atomkraftwerke Deutschlands, sondern auch die Wahltermine 2011 in den jeweiligen Bundesländern.

Das Aufmacherbild stammt von www.ausgestrahlt.de