Jeden Montag beschäftigen wir uns mit einer grundsätzlichen Frage. Höchst hypothetisch, suggestiv und meinungsmachend. Dieses Mal lautet sie: Was wäre, wenn es keine Parteien gäbe?
Es gibt viele Fragen, die sich recht einfach beantworten lassen. Wo man schnell eine Meinung zur Hand hat und sie auch nicht wirklich hinterfragt – da man meint, man könne wohl gar nicht so falsch liegen. Und dann gibt es Fragen, die nur auf den ersten Blick überschaubar erscheinen. Bei denen man aber ganz schön ins Grübeln kommen kann. Zu dieser Art Frage gehört unsere heutige. Sie lautet: „Was wäre, wenn es keine Parteien gäbe?“
Das ist Demokratie – Andreas Dorau
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Wie wäre die Welt, wenn es keine Parteien gäbe?
Wäre sie besser? Überschaubarer? Gäbe es ein Hauen und Stechen? Wer würde dann die Macht an sich reißen? Es fällt gar nicht leicht, sich so eine Welt auszumalen. Doch so ein Gedankenspiel lohnt sich allemal. Aber bevor man sich dieses Bild ausmalt, sollte man sich anschauen, wie der derzeitige Zustand – mit Parteien – denn aussieht.
Für wen entscheidet eigentlich der Politiker – für uns?
Im ersten Moment denkt man: Huch! Eine Welt ohne Parteien? Aber, wer soll denn dann diese ganzen (ach so) komplizierten Sachverhalte beurteilen, mit den wir uns als Gesellschaft beschäftigen müssen? Wer soll die Entscheidungen treffen, die jeden Tag zu treffen sind? Wer repräsentiert uns dann? Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass es uns gut geht, das Schaden von uns als Volk, von uns persönlich abgewendet wird?
Es scheint gar keine Alternative zu geben. Denn sollen WIR etwa alle für uns selbst entscheiden? Wer filtert die Interessen, sorgt dafür, dass schnell reagiert wird, wenn es darauf ankommt? Die Politiker natürlich! Und diese Politiker sind nun mal in Parteien zuhause. Das ist ihre politische Heimat.
Im zweiten Moment beschleicht einen aber ein unschönes Gefühl: Ist es denn wirklich so? Vertreten Volksvertreter wirklich das Volk? Tun sie das, was ich täte, müsste ich entscheiden? Wägen sie alle Interessen ab, und tun sie dann wirklich dass, was allen gut tut?
Im alltäglichen Leben haut das eher selten hin. Wer kann es allen Recht machen? Schon im Kleinen ist das oft unmöglich. Wie soll es dann also im Großen funktionieren, muss man sich fragen? Doch, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Politiker für alle entscheidet gegen Null geht, für wen entscheidet er dann? Für diejenigen, die ihn gewählt haben? Für diejenigen, die ihn persönlich unterstützen? Ganz für sich allein?
Der Parteien-Einheitsbrei
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Die Partei – ein Club von Karrieristen?
Eine Partei ist eine Art Club, eine Interessenvertretung wie es heißt, in der Menschen zusammenkommen, um sich unter dem Dach einer Gesinnung wiederzufinden. So wird es zumindest dargestellt… Und wie wird man nun ein (einflussreicher) Politiker?
Wenn wir uns die Parteienlandschaft anschauen, so finden wir hier zunächst einmal Menschen, die irgendwie in ihren Parteien nach oben gelangt sind, an Einfluss und Geltung gewonnen haben. Die im Vordergrund stehen, in den Talkshows und Nachrichten das Sagen haben. Aber warum sie? Wer steigt die Sprossen hinauf – und wer bleibt auf den hinteren Bänken hocken, darf zwar im Wahlkampf Kugelschreiber verteilen, aber ansonsten die Klappe halten? Wie ist denn überhaupt so eine Partei aufgebaut?
Eine Partei ist ein Gebilde, dass man sich – wie die meisten Organisationen – wie eine Pyramide vorstellen kann. Eine Pyramide, innerhalb derer man aufsteigt, wenn, tja wenn man es irgendwie schafft, sich gegen andere durchzusetzen. Um also an die Spitze einer Partei-Pyramide zu gelangen, bedarf es genügend Konkurrenzdenken. Man muss sich in einem Wettbewerb gegen andere durchsetzen. Vielleicht bekommt man hierbei Hilfe innerhalb der Organisation, von denjenigen, die weiter oben stehen. Doch an erster Stelle steht der persönliche Einsatz.
Und wie muss ein Mensch beschaffen sein, um sich hier zu behaupten? Darf er mit ganz eigenen Ideen an den Mitstreitern vorüber ziehen? Darf er anderen Menschen den Vortritt lassen? Darf er umsichtig sein? Kann er das Wohl aller über das eigene stellen? Gelangt er in der Hierarchie nach oben, wenn er sanftmütig ist und nicht zu den Platzhirschen zählt? Wenn er uneigennützig ist, und sich persönlich zurück nimmt, wenn er (auch hinter den Kulissen) bescheiden und leise bleibt? Wohl kaum…
Schlachtfeld Politik – Die finstere Seite der Macht – Die Story im Ersten
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Doch was bedeutet das in der Konsequenz? Welcher Typus Mensch wird am Ende an der Spitze eines solchen Parteigebildes stehen? Man kann sich das ziemlich gut denken, denn wir sehen es ja tagaus tagein. Und wenn wir dann noch schauen, von wem die Politiker und ihre Parteien sich abhängig machen, dann bleiben eigentlich nur noch ein paar wenige Grundeigenschaften über, die es einem Menschen ermöglichen, uns zu vertreten – unsere Interessen wahrzunehmen. Und uns als Wähler bleibt nur zu hoffen, haben wir erst einmal gewählt.
Wer wählt hier eigentlich wen?
Ganz gleich, ob man nun kommunal wählt, auf Bundesebene oder sogar international – zum Beispiel bei der Europawahl… Wir bekommen zwar Tonnen bedruckten Papiers vorgelegt. Aber wie häufig stimmen die Ankündigungen, die wir in den Wahlprogrammen lesen wirklich? Wie häufig stimmt das, was uns ein Politiker sagt, bevor er dann wieder einige Jahre für uns Entscheidungen trifft? Man hat oft den Eindruck, dass diese Versprechen stärker von Werbetextern und Juristen beeinflusst sind, als von dem tatsächlichen Wunsch etwas zu verbessern.
Erst- und Zweitstimme – Wie funktioniert die Bundestagswahl?
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Wir wählen also eine Partei, einen Politiker und dann erst bildet er seine Regierung, sucht sich die Leute, die ihm beim politischen Geschäft unterstützen. Oder wir kennen vielleicht das Team, wissen aber nicht, wie es später in konkreten Situationen entscheiden wird. Uns fragen wird dieses Team später nicht mehr. Wir haben unsere Stimme bei der Wahl im wahrsten Sinne des Wortes abgegeben.
Und wenn wir uns überlegen, dass der Einfluss den wir auf die tatsächlichen Entscheidungen haben, erst dann entsteht, wenn wir ihnen mit Tausenden Menschen gemeinsam durchsetzen, dann wissen wir auch, wo er liegt, wenn wir allein sind. Der Politiker, die Partei, ist an dieser Stelle nicht mehr vom Volk, von uns, abhängig. Wohl aber von den zahllosen Interessenverbänden, die sich massiv einbringen, ob mit Geld, mit Einfluss, mit Wissen oder auch nur medialer Präsenz. Ohne Lobbying keine Politik, ohne Politik, kein Politiker und ohne Politiker keine Entscheidung.
Lobbyismus für Dummies – Wie wird Einfluss auf die Politik geübt?
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Politik ist also nichts weiter, als die durch das Volk legitimierte Vertretung von Interessen einiger weniger. Auch wenn wir das Gegenteil gesagt bekommen: Und ob die damit verbundenen Entscheidungen zu unserem Wohle gereichen, erkennen wir meist erst, wenn es zu spät ist.
Politik: Ein gesellschaftliches Perpetuum Mobile mit Konsequenzen
Es heißt zwar immer: Wenn Ihr etwas verändern wollt, dann geht doch in die Politik. Doch wenn man nicht gerade in einem hierarchischen System, mit anderen Menschen um einen Posten kämpfen will, um dann Dinge durchzusetzen, die ein paar Leutchen im Hintergrund wollen, dann ist das nicht der beste Tipp, oder?
Jede Generation muss sich nicht nur die Freiheit des Individuums bewahren, sondern auch die Möglichkeit, aktiv in das politische und gesellschaftliche Geschehen einzugreifen – es zu korrigieren, wenn es aus dem Ruder läuft. Das System der Parteien ist jedoch zu einem Perpetuum Mobile geworden, einer Maschine die von alleine läuft, der wir nur noch bei der Arbeit zuschauen können. Jahrelang haben wir uns gesamtgesellschaftlich weitgehend herausgehalten. Erst langsam erkennen wir die Dimensionen der Folgen. Wer die Verantwortung abgibt, darf sich nicht wundern, wenn er sich vor Entwicklungen gestellt sieht, die ihn am Ende nicht mehr beachten.
Peter Kruse über Netzwerke und Hierarchie
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Die Konsequenzen sehen wir in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, im Sozialen, im Umgang mit der Natur, mit der Tierwelt, mit den Armen, mit den Schwachen. Das Primat der Effizienz hat sich eingeschlichen, hat uns belohnt, solange wir mitgemacht haben. Nun beginnt es immer mehr zu bestrafen, da das System zum Erliegen kommt. Das ist der Preis. Und der ist höher als alles das, was sich die Mehrheit bis heute vorzustellen vermag – oder besser, vorstellen will…
Und was ist die Alternative?
Und nun kommen wir zu der ketzerischen Frage zurück: Ist Politik ohne Parteien überhaupt denkbar? Es fällt sicher schwer, und der Gedanke ist heikel, doch er lohnt. Denn an allererster Stelle steht eine Selbsterkenntnis. Und diese besagt, dass wir unsere Verantwortung nicht einfach an der Garderobe der Geschichte abgeben können. Denn wir tragen die Konsequenzen. Wir, unsere Kinder und gewiss auch die nachfolgenden Generationen. Deshalb lohnt es, Demokratie weiter zu denken und, das vor allem, wieder am Verhandlungstisch gesellschaftlichen Miteinanders Platz zu nehmen. Was sind also die Alternativen:
– An sich selbst glauben: Das Ergebnis der Medienberichte scheint für viele zu sein, dass sie die Hoffnung aufgeben und sich sagen: „Hier kann ich nichts (mehr) tun…“ Doch das Gegenteil ist der Fall! Es gibt genügend Beispiele, wo eine Haltung, eine Gesetzgebung, ein Maßnahme über Nacht zur Makulatur wurde, weil die Menschen sie nicht akzeptierten.
– Volksentscheide: Der Bürger muss gefragt werden. Bei wichtigen Entscheidungen, so sieht es das Grundgesetz vor, ist er mit einzubeziehen. Zu oft, ist er in den letzten Jahren hier übergangen worden. Ab wann sind denn bitte schön Entscheidungen wichtig genug, um sie dem Volk zu gewähren? Dieses Mitspracherecht zwischen den Wahlen gilt es einzufordern.
– Druck in Brüssel machen: Auch wenn immer mehr Entscheidungsgewalt nach Brüssel abgegeben wurde: Wir, das Volk, sind die Quintessenz Europas – und nicht diejenigen, die uns hier vertreten. Brüssel ist nur ein Ort. Ein Ort, an dem Menschen sitzen, die uns vertreten. Hier gilt es, sich stärker einzumischen.
– Auskünfte einfordern: Man hat zu häufig den Eindruck, dass die Kriterien für eine Entscheidung nicht öffentlich erörtert werden. Doch wir haben ein Auskunftsrecht. Wir bezahlen nicht nur die Gremien die hier entscheiden, sondern auch die Politiker die ihnen angehören.
– Experten an den Tisch holen: Es gibt unzählige unabhängige Experten, die in Entscheidungsprozesse gar nicht erst einbezogen werden. Warum werden diese nicht in externe Fachgremien berufen. Nicht von der Parteien, sondern von der Bevölkerung?
– Öffentliche Diskussionen: Es finden kaum öffentliche Diskussionen um die wirklich wichtigen Themen statt. Und wenn, dann nur sporadisch. Warum gibt es keine Dauereinrichtung, in der sich Menschen aktiv an öffentlichen Diskussionen beteiligen können? Das Internet macht es möglich…
– Bürgergremien einrichten: Es gibt zwar diverse Organisationen, die sich die Aufgabe gestellt haben, die Politik, die Wirtschaft und die Medien usw. zu kontrollieren. Doch warum werden hier keine offiziellen Instanzen gegründet? Instanzen, die als Bürgergremien einerseits die Diskussionen aufnehmen, andererseits genau darauf achten, warum welche Entscheidungen getroffen werden.
Vielleicht brauchen wir sie wirklich, die Parteien. Doch wenn man wirklich konsequent darüber nachdenkt, erkennt man, dass unter den derzeitigen Bedingungen, Parteipolitik nicht ausreichen wird, um die Vielzahl der Probleme zu lösen. Hierarchien und Machtkämpfe werden niemals die besten aller Lösungen mit sich bringen. Also: Mund auf! Mitmachen! Anpacken! Verantwortung zeigen!
Bildquelle: Doreen Bierdel (pixelio)
Ich halte die derzeitige Parteiendemokratie nicht für der Weisheit letzter Schluss. Solange Parteien und Politiker sich abhängig machen von anderen, wirtschaftlichen Kräften, sind sie in ihrer Entwicklung vorgezeichnet und bei Entscheidungen befangen. Die Frage ist: Welche Organisationsform könnte es geben, die sich nicht mit privilegierten Interessen gemein macht? Könnte es eine Form geben, die noch demokratischer ist als heute, auch im Sinne der Interessenvertretungen? Derzeit wird grundsätzlich zunächst einmal in wirtschaftlichen Maßstäben gedacht – und das sehr kurzfristig. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen sind oft kein Thema. Und die sozialen und ökologischen Folgen schon mal gar nicht. Es wäre spannend, sich mal eine andere Art Parlamentarismus zu überlegen, welche nicht auf Basis von Konkurrenz, Hierarchie und persönlicher Vorteilsnahme funktioniert.
Ein guter Beitrag. Ich halte es für auch für äußerst sinnvoll, ein auf Mehrheitsentscheidung basiertes Bevölkerungsveto/Bevölkerungswiderspruch gegen dubiose schädliche Entscheidungen von Politikern einzurichten (wie z.B. TTIP). Ein Bevölkerungsveto kann beantragt werden, der Antrag wird für alle öffentlich und dann wird offiziell über einen Zeitraum abgestimmt, ob dieses erstellt werden soll oder nicht. Solange kann die betroffene Entscheidung politisch nicht durchgesetzt werden. Stimmen mehr Leute für die Durchsetzung des Vetos, sorgt das Veto dafür, dass die politische Entscheidung nicht durchgesetzt werden kann, solange wie die Bevölkerung einer Aufhebung wieder durch Mehrheitsentscheidung zustimmt. Stimmen mehr Leute gegen das Veto, kann die betroffene Entscheidung von Politikzuständigen weiter beschlossen oder wieder aufgelöst werden. Leute, die nicht am Veto abstimmen, enthalten sich.
Hallo David, Dein Beitrag gefällt mir gut. Ja, die kleine Frage „Was wäre wenn…?“ wirklich ist mächtig. Mächtig, da sie uns geradezu zwingt, frei zu denken und uns das bisher nicht Gegebene vorzustellen.
Doch noch mächtiger ist das Wort „Warum?“, insbesondere, wenn man es mehrfach hintereinander fragt. Man dringt unweigerlich in Tiefen eines Sachverhaltes ein, die einem sonst versperrt sind, weil man sich nur allzu schnell mit einem „Darum!“ zufrieden gibt.
Was für eine schöne Frage. Generell liebe ich so offene Fragen, sie erweitern den Erfahrungsraum. Ich habe sogar mal einen Artikel darüber geschrieben:
http://www.vision-blog.info/was-ware-wenn-wunderfragen-und-ihre-wirkung/
Meine Meinung zur Frage? Was ist den die Grundlage der Politik? Doch dass es früher nicht möglich war, alle Interessen der Bürger abzufragen. Deswegen wählte man Repräsentaten. Doch mit den heutigen Technologien wird es mehr und mehr möglich.
Ich habe einen Traum. Einen Traum, dass irgendwann die Geschicke eines Staates von Freiwillen und Fähigen gesteuert werden. Kontrolliert werden sie von allen. Bei Wikipedia klappt so etwas ja auch. Aber bis dahin sind wohl noch ein paar Hürden zu nehmen.
Das braucht uns nicht die Augen dafür zu verschließen, dass auch Aufklärer Menschen sind. Selbst wenn sie das Richtige tun, handeln sie nicht notwendig aus den richtigen Motiven. Gekränkte Eitelkeit, Sucht nach Publizität, Querköpfigkeit – all das kann im Einzelfall eine Rolle spielen. Im konkreten Fall ist damit zu rechnen, dass auf jede Weise versucht werden wird, den Charakter des Whistleblowers zu schwärzen. Bei der Beurteilung seines Falls darf das jedoch keine Rolle spielen: Dieser Mann hat der Demokratie einen gewaltigen Dienst geleistet. Einiges deutet überdies darauf hin, dass Snowden selbst noch in der Höhle des Löwen nahe liegenden Versuchungen widerstand.
Wahrscheinlich kämen die selben alten verkrusteten Strukturen wieder. Denn was ist bitteschön die Alternative?? Bei den Piraten klappt auch nicht mit der Bürgerbeteiligung. Und dann gibt es immer Idioten, die das torpedieren. Was passiert mit denen?
Ich glaube nicht, dass wir chaos hätten, wenn wir die Parteien einfach abschaffen würden